Drei Parteien haben bei den St.Galler Kantonsratswahlen Sitze verloren. Aber ohne Frage: Irgendwie sind sie doch alle Sieger. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man die Reaktionen am Tag danach sichtet. Ist es einfach Schönreden - oder sind es schon Wahrnehmungsstörungen?
Pius Kessler vom Regionaljournal Ostschweiz von Radio SRF war nicht zu beneiden im Livegespräch am Montagabend. Bei ihm sassen die Präsidenten der Kantonalparteien von SVP, FDP und SP. Die drei Parteien, die am Wahlsonntag Sitze verloren haben. Und in diese Richtung fragte Kessler auch, und das immer wieder. Wie geht man mit dem Verlust um? Wie kam er zustande? Was heisst die Niederlage nun für das weitere Vorgehen?
Und seine drei Gegenüber - man sah es quasi sogar in einer Radiosendung förmlich - schienen sich gegenseitig verdutzt anzustarren, und aus ihren Antworten klang heraus: Verlust? Niederlage? Verloren? Wir? Aber nicht doch!
Natürlich bestätigte die Elefantenrunde die nackten Zahlen. Was sollte sie auch sonst tun? Sie sind ja schwarz auf weiss verbürgt. SVP minus 5 Sitze, FDP minus 4, SP minus 2. Und in allen Fällen war vor den Wahlen Sitze gewinnen oder wenigstens halten die Parole. Wie lassen sich diese Sitzverluste also schönreden?
Problemlos, indem man einfach andere Aspekte betont. Bei der SP zum Beispiel, so ihr selbst nicht wiedergewählter Kantonalpräsident Max Lemmenmeier, hat man es geschafft, mehr Frauen in die Fraktion zu bringen und junge Kandidaten aufzubauen - als Versprechen für die Zukunft gewissermassen. Dass die Sitzverluste der SP die Zugewinne ihrer Verbündeten, der Grünen, quasi halbierten, scheint eine kleinere Rolle zu spielen. Walter Gartmann, Präsident der SVP, betonte gefühlte 15 Mal, dass seine Partei immer noch die bestimmende Kraft im Parlament ist. Und FDP-Chef Raphael Frei hielt sich daran fest, dass seine Partei immer noch die drittstärkste ist - bescheidene drei Sitze vor der SP übrigens.
Man wünschte sich sehnlich jemanden, der hinsteht und sagt: «Wir haben verloren, wir haben etwas falsch gemacht, wir werden an uns arbeiten.» Zu hören bekam man das nicht.
Durchzogen war das Ganze mit Wahlspots für die eigenen Regierungskandidaten, die voraussichtlich alle noch einmal antreten. Am Dienstag wird man mehr wissen, FDP und SVP sitzen am Montagabend zusammen, die SP am Dienstag. Egal, wie die Frage in der Radiosendung lautete, in der Antwort steckte immer entweder Michael Götte oder Laura Bucher oder Beat Tinner, auch wenn das angeschnittene Thema mit dem zweiten Wahlgang für die Regierung gar nichts zu tun hatte. Keine Möglichkeit wird ausgelassen für Werbung in eigener Sache.
Und übrigens, wenn wir gerade dabei sind: Die im ersten Wahlgang nicht gewählten Kandidatin und die Kandidaten für die Regierung haben alle ausgezeichnet abgeschnitten, keine Frage. Auch hier: Enttäuscht? Wieso enttäuscht? War doch super!
Immerhin: Mit seiner persönlichen Niederlage ging Max Lemmenmeier sehr souverän um. Er zeigte sich nicht gross betroffen und meinte, er habe nun noch mehr Zeit für die Arbeit als Parteipräsident. Auch eine Sicht der Dinge.
Nicht alle schaffen es, so abgeklärt zu sein. Zum Beispiel Jörg Tanner, Gemeindepräsident von Sargans und nicht mehr gewählter Kantonsrat der Grünliberalen. Ebenfalls im Regionaljournal erklärte er die Gründe. Und zwar so: Es lag nicht an ihm, sondern an der Liste. Sinngemäss sagte Tanner, diese Liste habe - ausser ihm - aus zu unbekannten und zu wenig profilierten Kandidaten bestanden. Und wenn er etwas anders machen könnte, würde er die Liste anders zusammensetzen.
Stimmen tut es, was er sagt: Der Ex-Kantonsrat erreichte über 3100 Stimmen, ein hervorragendes Resultat, der Nächstplatzierte kommt auf gerade 819 Stimmen. Es war eine schwache Liste. Die Frage ist nur, ob man das so deutlich sagen soll gegenüber Leuten, die zusammen mit einem gerade einen Wahlkampf bestritten haben.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.