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Interview

«Uns Kindern geht es nicht gut!»

Lara ist traurig. Lara ist wütend. Und Lara möchte nicht mehr zur Schule gehen. Es ist die Maskenpflicht, die der Elfjährigen dermassen zusetzt. Jetzt wehrt sie sich. Ein Gespräch mit einem Kind in einer Welt, die von Erwachsenen gemacht wird.

Nadine Linder am 25. März 2021

Mit ihrem Video, das über Social Media in den letzten Tagen unzählige Male angesehen und geteilt wurde, möchte Lara gehört und verstanden werden. Als Sprachrohr für viele Kinder und Jugendliche in der Zeit von Corona will sie sich einsetzen.

Lara Weya lebt zusammen mit ihrer Mutter und deren Freundin in Leuzigen. Einem idyllischen Vorort im Kanton Bern direkt an der Aare. Sie ist elf Jahre alt und ein ganz normales Mädchen. Sie hört gerne Billie Eilish, liebt Tik Tok und nervt gerne ihre Mutter. Alles ganz normal. Aber Lara leidet. Sie leidet in der 5. Klasse dermassen unter der Maskenpflicht, dass sie am liebsten gar nicht mehr zur Schule gehen möchte. Sie dachte daran, einen Tag zu streiken, um ein Zeichen zu setzen. Und dann kam alles anders.

Lara, Du bist so mutig. Wie kamst Du auf die Idee dieses Videos?

Eigentlich hatte ich ja vor, zu streiken. Aber da war auch die Angst, von den anderen Kinder gemobbt zu werden. Also suchte ich nach einer anderen Idee, um zu deponieren, was ich sagen möchte. Ich dachte, im Internet werde ich viel mehr Leute erreichen als wenn ich streikend vor dem Schulhaus sitze. So entstand die Idee zu diesem Video. Meine Mutter fand die Idee gut und hat mich beim Drehen unterstützt.

Wen möchtest Du besonders mit diesem Video erreichen?

Schwierig zu beantworten. Erreichen möchte ich so viele Menschen wie nur möglich. Menschen, die mich sehen und hören. Erwachsene, die darüber nachdenken sollen, wie es für uns Kinder gerade ist. Natürlich würde ich gerne auch unsere Politiker erreichen. Das wäre mein grösstes Ziel. Aber soweit bin ich wohl noch nicht.

Du leidest unter der Maskenpflicht. Wie lange trägst Du diese nun schon?

Das erste Mal trug ich letztes Jahr in den Ferien in Frankreich eine Gesichtsmaske. Dort galt die Maskenpflicht bereits. Auch für Kinder. Seltsamerweise fand ich es dort noch überhaupt nicht schlimm. Nein, ich fand es sogar irgendwie cool und mich schön damit. Die Maske empfand ich wie eine Art Accessoire. In der Schule trage ich seit sechs Wochen eine Maske. Der Kanton Bern hat beschlossen, dass alle Kinder sie tragen müssen. Ab der 5. Klasse und nach dem Ende der Sportferien.

Und wie fühlt es sich unter dieser Maske für Dich an?

Stickig fühlt es sich darunter an. Viel zu heiss. Und ich kriege einfach weniger Luft. Insbesondere, wenn meine Nase zusätzlich verstopft ist. Ich fühle mich dann sehr schnell nur noch schlapp und «gruusig». Ich würde am liebsten nur noch unter die Dusche, damit ich mich wieder ein bisschen frischer fühle. Am schlimmsten ist die Maske für mich immer am Montag. Diese Umstellung vom Wochenende, an dem ich zwei Tage lang keine tragen muss, zum Montag, an dem ich sie bis zu acht Stunden trage. Ich kriege dann regelmässig Kopfschmerzen. Am liebsten würde ich mir die Maske dann vom Gesicht reissen und vor Wut und Traurigkeit nur noch nach Hause laufen. Und dann denke ich mir, dass ich das nicht darf und bleibe trotzdem. Das traurige und wütende Gefühl bleibt aber.

Bist Du in Deiner Klasse alleine traurig und wütend wegen der Maskenpflicht oder geht es anderen auch so?

Anfangs war es so, dass alle darüber traurig und wütend waren. In meiner Familie und auch in der Schule. Inzwischen bin ich in der Schule damit sehr alleine. Es gibt zwar Kinder, die die Maske herunter nehmen, wenn die Lehrerin gerade nicht hinschaut. Dennoch bin ich die Einzige, die sich dafür einsetzen will, dass wir sie nicht mehr tragen müssen. Ich habe meinen Freundinnen von meinen Plänen erzählt, aber diese sagen dann: «So schlimm sind die Masken nun doch nicht.» Sie können damit leben. Ich aber nicht.

Denkst Du, dass wir Erwachsenen unterschätzen, was die Maskenpflicht für euch Kinder bedeutet?

Ja! Ganz klar ja! Dazu kann ich gar nicht viel mehr sagen. Ich sage einfach nur sehr deutlich Ja. Wir Kinder müssen es hinnehmen, damit aufwachsen, damit leben und können nichts dagegen tun. Dabei wird unterschätzt, was es für uns Kinder tagtäglich bedeutet. Wir tragen die Maske acht Stunden am Tag. In der Pause dürfen wir sie zwar für 20 Minuten herunter nehmen, aber nur in einem separaten Bereich des Schulhofs. Und dort müssen wir dann zwei Meter Abstand halten. Cool ist anders.

Du möchtest die Maske nicht mehr tragen und wolltest diese Woche deshalb einen Tag streiken. Vor dem Schulhaus. Wie kamst Du auf diese Idee?

Meine Mami und ich gingen auf meinen Wunsch an zwei Demos. Wir haben zusammen demonstriert gegen den Klimawandel. Ich bin ein sehr grosser Fan von Greta. Viele haben sie nicht gerne. Ich schon. Sie war mein grosses Vorbild für die Aktion, die ich starten wollte.

Hättest Du dabei Unterstützung erhalten von anderen?

Nein, am Anfang wäre ich in meiner Schule sicher alleine gewesen. Ich wäre sogar ganz bestimmt alleine gewesen. Ich mache mir nämlich am meisten Gedanken. Aber ich kann mir vorstellen, dass mich mit der Zeit vielleicht auch andere unterstützt hätten. Wenn sie begriffen hätten, um was es mir geht.

Du hast Dich nun entschieden, es nicht zu tun. Warum?

Weil zu diesem Zeitpunkt mein Video schon so oft angesehen und geteilt wurde, dass ich einen zusätzlichen Streik als überflüssig empfand. Ich denke, ich habe im Internet mehr Menschen erreichen können als alleine vor dem Schulhaus.

Du sprichst in Deinem Video die Maskenpflicht an. Es geht Dir dabei aber bestimmt noch um mehr?

Von der Maskenpflicht bin ich selber tagtäglich betroffen. Aber ja, es geht um viel viel mehr. Es geht um vieles, was ich nicht verstehen kann. Warum wir in der Schule noch immer Masken tragen müssen, gleichzeitig die Läden wieder öffnen dürfen, die Restaurants aber nicht. Und Hauptsache Skifahren ist erlaubt…

Was denkst Du denn grundsätzlich über Corona?

Anfangs machten meine Mami und ich noch Witze über Corona. Zum Beispiel über das Hamstern von Klopapier. So banden wir eine leere Klopapierrolle an eine Schnur und gingen mit der im Dorf spazieren wie mit einem Hund. Und plötzlich war es aber nicht mehr lustig. Ich durfte meine Freundinnen immer weniger sehen. Dann war das Home Schooling für mich nicht so einfach. Ich lebte mich sehr schwer darin ein.

Was fehlt Dir denn aktuell am meisten und worüber regst Du Dich am häufigsten auf?

Ich könnte 1000 Dinge aufzählen, die mir fehlen. 1000 Dinge, die mir nicht einleuchten. 1000 Dinge, die für mich keinen Sinn ergeben. Die Maskenpflicht hat alles, was schon schlimm war, einfach noch schlimmer gemacht. Ich vermisse zum Beispiel unsere Campingferien in Frankreich mit der ganzen Familie. Ich vermisse aber auch ganz einfache Dinge, die früher einmal normal waren. Ich vermisse das Umarmen von Menschen. Dass wir einander richtig begrüssen können. Und so blöd es klingt, ich vermisse es sogar, den Lehrern am morgen die Hand zu schütteln.

Was würdest Du unserer Regierung gerne sagen, wenn sie Dir zuhören würde?

Das ist eine ganz schwierige Frage für mich. Ich würde am liebsten einfach alles erzählen. was mich im Moment bedrückt. Sie auffordern, mal an uns Kinder zu denken. Ich würde ihnen gerne von meiner Angst erzählen. Es macht mir nämlich Angst, dass ich meine restliche Kindheit und Jugend so verbringen muss. Und mir tun alle Kinder leid, die erst jetzt auf die Welt kommen. Ich hatte immerhin elf Jahre eine Kindheit ohne Corona. Die Babys von heute werden das normale Leben nicht mehr kennenlernen wie ich es durfte. Die Kinder, die nun auf die Welt kommen, werden nie wissen, wie schön es war vor Corona. Ich durfte immerhin noch ohne Impfpass fliegen.

Würdest Du Dich denn impfen lassen?

Nein. Und wenn ich nun dies sage, werde ich nun von der einen Hälfte der Bevölkerung angegriffen. Würde ich ja sagen, würde mich die andere Hälfte dafür hassen. Aber nochmals, ich würde mich nicht impfen lassen. Dann würde ich halt nicht mehr fliegen und irgendwo campen gehen oder in die Badewanne sitzen und so tun, als wäre ich am Strand.

Worauf freut sich Lara am meisten nach Corona?

Auch dies ist eine schwierige Frage. Wir wissen ja gar nicht, wann Corona vorbei ist. Ob es überhaupt mal vorbei sein wird. Ich hoffe natürlich darauf, denke aber nicht, dass es so sein wird. Aber ich freue mich so darauf, endlich wieder alle in den Arm nehmen zu können. Wir sind in der Coronazeit noch umgezogen, und ich habe meine eigenen Lehrer noch nie ohne Maske gesehen. Auch darauf freue ich mich. Und überhaupt wieder Menschen ohne Maske zu sehen. Ich freue mich, keinen Abstand mehr halten zu müssen. Einfach auf mein normales Leben. Falls es dies irgendwann wieder geben wird. Und natürlich auch darauf, selber keine Maske mehr tragen zu müssen.

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Autor/in
Nadine Linder

Nadine Linder war Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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