«Igniv», so heisst das Gault-Millau-Restaurant von Kultkoch Andreas Caminada in Bad Ragaz. Das Konzept des Lokals: Die Gäste teilen sich verschiedene Speisen, und serviert wird alles auf Schalen und Platten. Am Herd steht Caminadas «Schüler» Silvio Germann. Ein Gespräch mit ihm.
In der Küche steht nicht Andreas Caminada selbst, sondern der Gourmet-Koch Silvio Germann. Er hat jahrelang zusammen mit seinem Chef gekocht und schwingt nun alleine den Kochlöffel. «Unsere Gäste sind das beste Sprachrohr überhaupt», ist seine Meinung. Ein Gespräch über ein spezielles Restauranterlebnis.
Silvio Germann, Ihr Gasthaus gehört zu den Top-Gastrobetrieben der Ostschweiz. Was zeichnet das Haus in erster Linie aus?
Ich denke, in erster Linie sicher das Sharing Konzept, welches wir auf einem sehr hohen Level versuchen, zu zelebrieren. Der Gast soll sich bei uns geborgen und wohl fühlen.
Wie schwer ist es grundsätzlich, sich in der Gastroszene einen Namen zu machen?
Ich denke, einen Hype auszulösen ist nicht sehr schwierig. Diese Aufmerksamkeit jedoch langfristig zu erhalten und immer präsent zu sein, das ist definitiv die grössere Herausforderung. Es sehr wichtig, dass unsere Gäste happy nach Hause gehen. Denn wenn jemand etwas Positives von uns erzählt, ist das unbezahlbar. Dementsprechend sind unsere Gäste das beste «Sprachrohr» überhaupt.
Was ist schwieriger, eine Spitzenposition zu erreichen oder sie anschliessend halten zu können?
Das «an die Spitze kommen» erfordert viel Herzblut und auch etwas Glück. An der Spitze zu bleiben ist der härtere Teil. Man muss viel Durchhaltewillen und Engagement beweisen und dies über lange Zeit. Aber da wir vom IGNIV selbst immer noch am Anfang stehen und noch sehr jung sind, kann ich die Frage wohl nicht abschliessend beantworten. Wir hatten das Glück, jedes Jahr Erfolge verzeichnen zu dürfen, das hat uns als Team sehr motiviert und zusammengeschweisst. Klar möchte man immer mehr, aber wir dürfen auch stolz und glücklich sein, mit dem was wir bis jetzt schon erreicht haben. Wichtig ist, dass wir authentisch bleiben und täglich unser Bestes geben.
Muss man heute vermehrt mit Überraschungen und Innovationen auftrumpfen? Oder verlangen Gäste in erster Linie Beständigkeit?
Mit unserem Sharing-Konzept bieten wir ein sehr junges und dynamisches Konzept an. In unserem «kleinen Menü» werden ca. 20 verschiedene Gerichte serviert, welche die Gäste dann untereinander teilen können. Diese Komponenten allein, bringen schon viel Überraschung mit. Zudem kann das Sharing-Erlebnis auch noch mit Surprise-Komponenten ergänzt werden. Aufgrund dieser Faktoren möchte ich die Gäste nicht auch noch mit zu vielen Komponenten und Techniken überfordern. Die Gerichte sind produktnah und sollen gut schmecken.
Wo holen Sie sich grundsätzlich die Inspiration für neue Kreationen?
Ich rede sehr viel mit dem Team. Jeder bringt seine Inputs mit rein. Manchmal ist man kreativer und könnte die ganze Karte umschreiben und dann gibt es Tage da geht gar nichts.
Wie würden Sie selbst Ihre Kreationen beschreiben?
Gute Grundprodukte, lecker gekocht und schön präsentiert.
Wie gross ist der Druck, der durch die Gault Millau-Punkte entsteht?
Ich habe ein super Team in der Küche und im Service, welches unter den Fittichen von Francesco Benvenuto steht. Ausserdem komme ich jeden Tag mit viel Freude zur Arbeit. Druck verspüre ich nicht, ausser Andreas Caminada kommt zum Essen. (lacht)
Im Zeitalter der Internet-Bewertungen und Social-Media-Kommentare darf sich ein Gastro-Betrieb praktisch keine Fehler mehr erlauben. Ist der Druck in Ihrer Branche allgemein gestiegen?
Ich denke, dass Social-Media-Kanäle durchaus ihre negativen Seiten haben. Umgekehrt haben sie aber auch viele positive. Einige Plattformen, wie beispielsweise Gronda, haben eine weltweite Reichweite und sprechen Leute, welche sich in der Gastro- und Hotelszene bewegen an und wenn diese Plattform dann ein Video von einem Gericht vom IGNIV postet, bekomme ich Nachrichten aus Asien oder Chile. Solche Erlebnisse geben einem ein positives Gefühl. Aber klar ist bei uns auch nicht alles positiv und mit Kritik im Internet muss man umzugehen lernen. Das wichtigste ist, die Quintessenz aus den Feedbacks zu entnehmen und aus den Fehlern lernen.
Gibt es bei Gästen immer mal wieder solche, die meinen, es besser zu wissen, als Sie?
Das gibt es! Aber sehr selten und wenn, dann höre ich ihnen gerne zu. Auch ich kann noch viel lernen, wieso also nicht auch von Gästen?
Aus welchen Regionen können Sie Gäste bei sich empfangen? Wie weit ist das «Einzugsgebiet»?
Wir haben das Glück, sehr viele einheimische Gäste zu haben, welche uns auch regelmässig besuchen. Das ist sehr wertvoll und freut uns mega. Durch das Hotel haben wir aber auch Gäste von «around the World». Das macht es sehr spannend.
Herrscht unter den regionalen Betrieben ein hohes Konkurrenzdenken oder ist es eher ein «Miteinander»?
Es ist ein Miteinander und das ist, meiner Meinung nach, auch der richtige Weg. Ich treffe mich sicher einmal pro Woche mit Roger Kalberer (Schlüssel in Mels). Wir können über Gott und die Welt sprechen und bleiben so in ständigem Austausch.
Nachhaltigkeit ist das Thema der Stunde. Kann man sich heute als Koch überhaupt noch einen Namen machen, ohne den Fokus klar auf regionale Produzenten und Produkte zu legen?
Ich denke schon, auch in der Schweiz. Aber ich finde, wir sind auf dem richtigen Weg und Regionalität ist sehr wichtig. Die Produkte, welche wir von den lokalen Produzenten beziehen dürfen, sind top und schmecken umso besser, wenn man weiss, woher sie kommen. Aber wir verwenden auch ab und zu mal eine Langustine oder einen Heilbutt.
Gibt es bestimmte Trend-Zutaten, die bei Ihnen ganz sicherlich niemals Verwendung finden werden?
Sag niemals nie. Aber ich bleib lieber bei den einfachen Produkten.
Wie geht Ihr Lokal mit dem Thema Food Waste um?
Dieses Thema fängt bereits in der Ausbildung an. Die Lernenden sollten von Beginn an sensibilisiert werden. Das bedeutet: Abschnitte von Gemüse oder Fleisch werden für Fonds und Saucen weiterverarbeitet – genau so handhaben wir das auch in unserem Alltag.
Sind Sie auf vegane und vegetarische Gäste vorbereitet?
Wir kontaktieren jeden Gast, bevor er zu uns kommt und fragen, ob es irgendwelche Allergien/Unverträglichkeiten gibt oder ob der Gast spezielle Essenswünsche hat. Deshalb können wir uns auf alles sehr gut vorbereiten und für jeden Gast ein schönes Menü zaubern.
Wird man als Spitzenkoch überhaupt noch von Freunden zum Essen eingeladen?
Bis jetzt schon noch und ich hoffe, es bleibt auch so. Köche sind meistens die einfachsten Gäste, aber für meine Schwiegermutter ist es glaub immer noch nicht so einfach.
Holt sich ein Spitzenkoch auch manchmal eine Pizza oder einen Döner in der Imbissbude um die Ecke?
Auch das muss mal sein. Eine richtig gute Pizza geht fast immer. Ich treffe mich ab und zu mit Kochkollegen in Zürich. Letztes Mal waren wir Pizza essen. Die war so gut, jeder hat 2 gegessen.
Jeder Mensch isst gewisse Nahrungsmittel ungern oder gar nicht. Wie geht ein Koch beim Probieren damit um?
Ich koche eigentlich nur Dinge, die mir auch persönlich schmecken. Nur so kann man das Maximum aus dem Nahrungsmittel rausholen.
Was muss für Sie ein gutes Essen auslösen?
Bei einem Restaurantbesuch schau ich nicht nur auf das Essen. Das Gesamterlebnis muss passen. Dieses fängt bereits mit dem Empfang vom Service an. Zudem habe ich gemerkt, dass auch die Begleitung den Restaurantbesuch beeinflusst.
Wir bei uns im IGNIV legen grossen Wert darauf, dass wir jeden Gast, bereits wenn er zur Tür reinläuft, mit Namen begrüssen können. Das gibt dem Gast das Gefühl, wahrgenommen zu werden und wir wollen auch vermitteln, dass jeder Gast willkommen und uns wichtig ist.
Welches Ihrer Gerichte ist im Moment das Allerbeste, welches Sie anbieten?
Die Forelle mit dem Zwiebelsud ist momentan mein Favorit. Sollten Sie unbedingt probieren.
Nadine Linder war Redaktorin von «Die Ostschweiz».
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.