Die St. Gallerin Maura Hegi hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Mit dem eigenen Unternehmen Ecoleader tut sie dies, indem sie Firmen in ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Themen berät. Politisch ist sie in der GLP aktiv. Eine Idealistin sei sie nicht. Eher Realistin.
Maura Hegi, es gibt Politikerinnen und Politiker, die mit dem Slogan «100 Prozent umweltfreundlich» für sich werben. 100 Prozent? Ist das überhaupt möglich?
Nein, das ist es nicht. Alleine mit unserer Existenz beanspruchen wir die Umwelt. Der Mensch benötigt Ressourcen für das Leben; er muss sich kleiden, fortbewegen, essen. Aber, Entscheidungen kann er umweltfreundlich fällen.
Tun Sie das konsequent? Also beispielsweise immer, wenn Sie von A nach B reisen? Haben Sie für diesen Interviewtermin demnach die Treppe genommen und nicht den Lift?
Erwischt. Ich habe tatsächlich den Lift genommen. Keine wirklich umweltfreundliche Entscheidung, zumal es auch noch ein sehr alter Lift war. Von A nach B bewege ich mich zu Fuss, mit dem Velo oder dem ÖV.
Sie sind also nicht konsequent.
Ich bin überhaupt nicht perfekt. Ich weiss allerdings, dass diese Liftfahrt nur einen sehr, sehr kleinen Teil meines Energieverbrauchs darstellt. Ich setze da lieber und bewusster bei den grösseren Hebeln an. Man muss die verschiedenen Möglichkeiten immer in Relation setzen. Ansonsten sieht man irgendwann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wenn ich den ganzen Winter über zwei Grad weniger heize, erziele ich den grösseren Impact, als wenn ich stets die Treppe nehme. Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit weiss ich, wo die massgeblichen Faktoren zu verorten sind.
Und übergeordnet gesehen sind diese in erster Linie bei den Unternehmen und nicht bei den Privatpersonen?
Korrekt. Natürlich kann jede und jeder seinen Beitrag leisten. Aber um wirklich etwas bewegen zu können, muss man bei den Firmen ansetzen. Und genau das tue ich. Die 100 weltweit grössten Unternehmen sind je nach Quelle für 70–80 % des globalen CO₂-Ausstosses verantwortlich.
Sie begleiten Firmen seit rund eineinhalb Jahren selbstständig mit Ecoleader. Kommen diese zu Ihnen, weil Sie effektiv etwas bewirken wollen, oder geht es mehrheitlich einfach darum, der eigenen Marke einen grünen Anstrich zu verpassen?
Es gibt beide Seiten. Für einen reinen «Greenwashing»-Bericht gebe ich meinen Namen allerdings nicht her. Da versuche ich dann Antworten zu erhalten. Woher kommt der Druck? Was wurde schon umgesetzt? Was sind denkbare Ziele? So beginnt dann nicht selten ein spannender Prozess. Andere sind effektiv motiviert, etwas zu verändern. Die sind offen für Neues und sehen auch die Chancen und wissen, dass mit den richtigen Massnahmen nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch eine deutliche Verbesserung erzielt werden kann.
Was sind hierfür die häufigsten Ansätze?
Die Beiträge können sehr unterschiedlich sein. Was ich allerdings viel thematisiere, ist das Verantwortungsgefühl. Es geht um ein Verständnis für die gesamte Lieferkette, vorgelagert wie auch nachgelagert. Mir ist es wichtig, meinen Kunden aufzuzeigen, dass der Fokus nicht nur auf den eigenen Betrieb gelegt wird. Und hierbei hat sich in den vergangenen Jahren schon sehr viel bewegt. Nachhaltigkeit ist ein Change-Prozess, und niemand kann sich der Verantwortung entziehen.
Sie treten also quasi als die strenge Lehrerin auf?
In keiner Weise, nein. Weder beruflich noch privat. Ich bin keine Spielverderberin. Wir alle wollen leben. Und Unternehmen möchten Erfolge erzielen. Mit innovativen Ansätzen kann es aber gelingen, den Fünfer und das Weggli zu bekommen. Ein Unternehmen, das seinen Plastikverbrauch reduziert, reduziert auch die Ausgaben. Eine Firma, die Diversitätsthemen ernst nimmt, erhält eine andere Kommunikationskultur und wird attraktiver auf dem Arbeitsmarkt. Man wird ein Thema für Talente, an die man vorher gar nicht herangekommen ist.
Was hat Diversität mit Nachhaltigkeit zu tun?
Nachhaltigkeit basiert per Definition auf den drei Säulen «Umwelt», «Soziales» und «Governance» – ESG. Sie schliesst also auch Themen wie Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, Chancengleichheit oder das hochaktuelle Thema Compliance mit den neuen Regulierungen in der Schweiz sowie in der EU mit ein. Ich bin beispielsweise auch keine technische Umweltspezialistin, sondern habe ein Studium in internationalen Beziehungen abgeschlossen. Ich bin Nachhaltigkeitsspezialistin und vermag es, meine Kunden auf strategisch übergeordneter Ebene zu allen diesen Themen zu beraten.
Ein weites Feld also mit sehr vielen offensichtlichen und versteckten Minen. Unternehmen müssen heute extrem aufpassen, keine Fehler zu begehen und damit einen Shitstorm auszulösen. Selbst eine Firma, die Unmengen von Arbeitsplätzen geschaffen hat, muss sich in erster Linie anhören, welche Missstände sie noch beseitigen sollte.
Ich verstehe diese Frustration. Und ich plädiere auch dafür, nicht immer nur die negativen, sondern auch die positiven Aspekte aufzuzeigen. Darauf achte ich auch in meinen Nachhaltigkeitsberichten, die ich für verschiedene Unternehmen, aber auch für die Bundesverwaltung und das VBS im Auftrag des Bundesrats verfasse. Transparent über die eigenen Nachhaltigkeitstätigkeiten zu berichten bedeutet, Schwierigkeiten, aber genauso Erfolge, zu kommunizieren.
Was sind Ihre grössten Erfolge, die Sie kommunizieren?
Gute Nachhaltigkeitsberichte sprechen für sich selbst, da werde ich natürlich gerne referenziert. Sagen zu können, dass ich den Nachhaltigkeitsbericht für die Schweiz schreibe, finde ich schon ziemlich cool. Viele Erfolgserlebnisse fallen aber eher bei meinen Kunden, manchmal im Hintergrund, an: Sie senken ihren Fussabdruck, innovieren ihre Produktion, gestalten ihr Portfolio nachhaltiger oder gewinnen Nachhaltigkeitspreise. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie die St. Galler Kantonalbank ihre Nachhaltigkeitsstrategie umsetzt, deren Erstellung ich begleiten durfte, dann macht mich das stolz.
Was weckte in Ihnen das Interesse für dieses Themengebiet?
Auf Regionalität und Saisonalität haben wir schon bei uns zu Hause immer geachtet. Ebenso haben wir Kleider weitergegeben oder getauscht. Ich habe mich dann intensiver mit dem Thema während meiner Masterarbeit befasst. Mir wurde klar, dass ich mich von der allgemein herrschenden Konsumart differenzieren will. Schliesslich landete ich dann auch beruflich in der Beratung für Nachhaltigkeit, bis ich mich vor rund zwei Jahren selbstständig gemacht habe.
Und schliesslich kam auch noch die Politik dazu …
Ich möchte mein Wissen über möglichst verschiedene Kanäle an den Mann und die Frau bringen. Die Politik ist hierfür eine weitere Möglichkeit.
Und wieso in der GLP und nicht bei den Grünen?
In gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themenfeldern vertrete ich meistens eine andere Ansicht als die Grünen. In dieser Ecke fühle ich mich nicht so wohl. Ich vertrete die Meinung, dass man Wirtschaft erfolgreich klima- und naturschonend betreiben kann.
Waren Sie schon einmal an einer Demo?
Ich war einmal an einer Klimademo in Zürich und vor Jahren auch an einem Frauenstreik. Das war noch spannend …
Das kann nun alles heissen …
Es ist wie an einem Konzert oder an einem Fussballmatch. Es herrscht ein Gemeinschaftsgefühl. Die Stimmung ist fantastisch. Alle sind gleicher Meinung, Fans der gleichen Mannschaft.
Wie ist Ihre Meinung zu den «Klimaklebern»?
Ich finde das keine sehr konstruktive Lösung. Ich verstehe, dass sie mit den Aktionen Aufmerksamkeit generieren wollen. Mein Job wird dadurch aber nicht einfacher.
In welchen Bereichen sündigen Sie gelegentlich?
Ich ernähre mich hauptsächlich vegan. Aber nicht nur. Sporadisch esse ich auch eine Pizza. Ich weiss, was die verschiedenen Nahrungsmittel für Auswirkungen haben. Kaffee beispielsweise benötigt in der Produktion Unmengen von Wasser. Dennoch trinke ich ab und zu einen. Nach einigen Jahren mit strikter Ernährung, während derer ich mir selbst überhaupt nichts mehr erlaubt habe, sagte ich mir: «Hey, es geht hier nur um einen kleinen Teil.» Seither setze ich, wie erwähnt, bei den grösseren Hebeln an.
Das heisst? Sie fliegen nicht mehr?
Nein, das heisst es nicht. Sie wollen von mir «absolute Aussagen», stimmt’s?
Ich nenne nur die Aspekte, die immer wieder diskutiert werden. Ärgert Sie das? Oder würden Sie solche Fragen als naiv bezeichnen?
Eher Zweiteres.
Danke.
(Lacht). Es ärgert mich nicht. Aber es zeigt mir, dass meine Arbeit noch überhaupt nicht abgeschlossen ist. Diese Fragen sind für mich zu wenig differenziert. Ich kenne meinen Fussabdruck. Pauschale Antworten sind nur in wenigen Sparten anwendbar. Bei Flügen gilt es zu differenzieren. Was sind es für Flieger? Sind es Kurz- oder Langstreckenflüge? Ich sage auch nicht, dass jede und jeder eine Katastrophe für das Klima darstellt, wenn sie oder er Fleisch isst. Es kommt auf sehr viele Faktoren an.
Und folglich ist es für den Durchschnittsbürger nicht mehr verständlich. Bleiben wir bei mir, dem naiven Menschen. Ich fliege und kann eine CO2-Abgabe bezahlen. Mein Gewissen ist beruhigt, das Thema erledigt. Ist das noch naiver?
Nicht unbedingt. Immerhin haben Sie einen Beitrag geleistet. Aber ja, letztlich wissen Sie auch hier nicht genau, welches Kompensationsprojekt Sie unterstützen.
Ist es damit denn für mich schon getan? Ich zahle die Abgabe, geniesse nachher aber all-inclusive im Hotel, einen Taucherausflug mit einem Motorboot, mache Ausflüge mit dem Mietauto und kaufe billige Ware als Erinnerungsstücke. Da muss es in Ihnen doch förmlich kochen?
Wir sind nun für mich zu stark auf der Konsumentenseite. Es hat in diesem Spiel noch zwei weitere Akteure: Unternehmen und Staat. Was eine Privatperson nicht wissen kann, muss durch Transparenz offengelegt oder durch Hilfestellungen unterstützt werden, sodass jede und jeder eine informierte Entscheidung fällen kann. Es herrscht allgemein keine Kostenwahrheit. Flüge und Fleisch beispielsweise sind zu günstig. Wäre das nicht der Fall, würden gewisse Entscheidungen anders ausfallen.
Es gibt bekanntlich auch Personen, die abstreiten, dass eine Klimaveränderung stattfindet.
Spannend, dass man so eine Ansicht haben kann.
Im Grundsatz sagen diese Personen, dass das, was Sie mit Leidenschaft vertreten, kompletter Blödsinn ist.
Ich fühle mich da nicht persönlich angegriffen. Manchmal habe ich die Muse nachzufragen, das Mindset verstehen zu wollen. Oft sind das dann aber letztlich Gespräche, bei denen ich mich stark zurücknehme oder es beende, weil wir offensichtlich keinen gemeinsamen oder wissenschaftlichen Nenner finden und das Gegenüber vielleicht auch faktentaub ist …
Wiederum andere sehen die Problematik, werfen aber ein, dass die kleine Schweiz kaum etwas bewirken kann.
Sollten wir deshalb alle einfach den Kopf in den Sand stecken? Aber ja, ich musste mich auch vom Druck befreien, die gesamte Welt retten zu wollen.
Sind Sie demnach keine Idealistin?
Eher eine Realistin. Ich vertraue der Wissenschaft, welche sagt, dass 60 Prozent all unserer Emissionen in der Schweiz importiert sind. Dort muss man hinschauen. Und dort können auch wir alle etwas bewirken. Aber ich denke grösser. Deshalb arbeite ich weniger mit Konsumenten zusammen, sondern vielmehr mit Unternehmen sowie dem öffentlichen Sektor.
Hat Nachhaltigkeit mit Verzicht zu tun?
Nicht zwingend. Eher mit einem Umdenken. Man fällt andere Entscheidungen und hat nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Ich esse meine Pizza dann eben nicht wöchentlich, sondern monatlich.
Womit ärgert man Sie?
Mit Unwissen.
Also, wenn man so naiv fragt, wie ich es getan habe?
Nein. Sie haben immerhin gefragt. Unwissenheit gepaart mit Behauptungen ärgert mich.
Welches Unwissen herrscht denn beispielsweise mehrheitlich?
Beispielsweise sind viele der Ansicht, dass man kein Biogemüse kaufen sollte, das mit Plastik verpackt ist. Klar, Plastik ist ein Faktor. Aber in der gesamten Wertschöpfungskette spielen andere Bereiche eine deutlich grössere Rolle. Ist es in einem Gewächshaus angebaut worden und wurden demnach viel Energie und Wasser benötigt? Das ist nur ein Aspekt von vielen.
Ich bin nun der Spielverderber. Ich behaupte, die gesamte Gesellschaft ist dem noch gar nicht gewachsen und zieht in die eine Richtung, während ein kleiner Teil wie Sie versucht, Gegensteuer zu geben. Ich zweifle, ob ihr es schaffen werdet.
Wir sind auch noch nicht fertig.
Bin ich zu negativ?
Nein, aber ich wohl einfach optimistisch. Obwohl es anstrengend ist.
Und auch frustrierend?
Teilweise extrem, ja. Aber auch andere Betätigungsfelder sind nicht immer erfüllend. Aber ich bin glücklich, wenn ich eine Firma in die richtige Richtung bewegen kann. Zumindest bis der nächste Dämpfer kommt.
Zum Beispiel in Form einer Werbekampagne des Billiganbieters Temu …
Oje …
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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