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Denunziation statt Debatte

Verschwörer und Beschwörer

Krisenzeiten sind Hochzeiten für Irre. Aber was, wenn auch die Wissenschaft versagt?

«Die Ostschweiz» Archiv am 16. Mai 2020

Es ist leider richtig, dass der Schauspieler Tom Cruise bei der Scientologen-Sekte ist. Es ist natürlich Unsinn, dass Bill Gates mit anderen Superreichen die Weltbevölkerung dezimieren will. Im Gegenteil, mit seiner Stiftung vollbringt er wahre Wunder in der Bekämpfung von Malaria und anderen Seuchen.

Aber Krisenzeiten sind immer ein Tummelplatz für Aluhut-Träger, Anhänger abstruser Theorien über dunkle Mächte, die im Geheimen wirken. Die kommen auch bei der aktuellen Corona-Krise aus ihren Löchern und beteiligen sich an Diskussionen und Demonstrationen.

Wer deshalb aber alle Staatsbürger in diese Ecke stellt, die Probleme damit haben, dass fundamentale Freiheitsrechte auf einen Schlag aufgehoben wurden, ersetzt Debatte durch Denunziation.

Vor allem, da die Begründungen für das Versetzen von Wirtschaft und Bevölkerung ins Wachkoma immer mehr unter Beschuss geraten. Niemand, vor allem die Urheber nicht, will noch von den Horror-Szenarien sprechen, die vor dem Lockdown herumgeboten wurden und in denen von bis zu 100'000 Toten in der Schweiz die Rede war. Aufgrund streng wissenschaftlicher Hochrechnungen natürlich. Angefeuert von dem englischen Epidemiologen Neil Ferguson, der vor bis zu einer Million Toten in Grossbritannien warnte.

Auch die zweite Begründung für den Lockdown am 16. März, ohne striktes Kontaktverbot werde die Reproduktionszahl R - lso wie viele andere steckt ein Infizierter an - dermassen steil ansteigen, dass das Gesundheitswesen an seine Grenzen komme oder gar kollabiere, gerät immer mehr in berechtigte Zweifel.

Im deutschen Innenministerium wurde gerade ein für Krisenbewältigung zuständiger Beamter von seinen Aufgaben entbunden. Er hatte, gestützt auf von ihm eingeholte Fachmeinungen, analysiert, dass es keinen zureichenden Grund gebe, den Lockdown nicht als Fehlalarm zu bezeichnen, der ungleich mehr Schaden anrichte als verhindere. Nachdem sich im Ministerium niemand für diese Schlussfolgerungen interessierte, wurde das Papier an die Medien durchgereicht.

Das sei nur eine – zudem falsche – Privatmeinung, kanzelte das Ministerium den hohen Beamten ab. Ohne auch nur eine der wissenschaftlich gestützten Schlussfolgerungen des umfangreichen Papiers zu widerlegen. Ähnlich erging es in der Schweiz der ETH. Im allgemeinen Werweissen, wie man ohne gesicherte Zahlenbasis überhaupt etwas über die Ausbreitung des Virus oder seine Gefährlichkeit sagen könne, entwickelte die ETH ein Modell, das offensichtlich der Realität am nächsten kommt.

Während sich die Schweizer Medien noch in Jubelartikeln über den nach eigenem Bekunden im Blindflug manövrierenden Bundesrat Berset und den alles einschläfernden BAG-Kommunikator Daniel Koch ergingen, zeigte das ETH-Modell, dass die Ansteckungsrate R bereits im steilen Sinkflug war – vor dem Lockdown vom 16. März. Als das kurz in den Medien für Aufsehen sorgte, versuchte die ETH, dieses Ergebnis wieder einzufangen. Entsprechende Titel seien «reisserisch, irreführend und falsch».

In Wirklichkeit habe das «beherzte Eingreifen» des Bundesrats die Schweiz gerettet. Nur: Ausser kleinen Verfeinerungen an dieser Auswertung aufgrund besserer Datenlage änderte die ETH nichts an der Analyse, dass wohl auch ohne Lockdown R schnell unter 1 gesunken wäre; Entwarnung.

Es gab nicht Zentausende von Toten, glücklicherweise. Jünger als 65 und ohne Vorerkrankung sind in der Schweiz nach offiziellen Zahlen bislang – keine Erfindung – 3 Personen an oder mit dem Virus gestorben. Drei.

Dennoch wurde der Lockdown beschlossen, eine Vielzahl fundamentaler Freiheitsrechte ausser Kraft gesetzt. Und ein Schaden von mindestens 100 Milliarden Franken angerichtet. Seit einer Woche wird versucht, Wirtschaft und Gesellschaft wieder hochzufahren. In Erwartung der wohl schärfsten Rezession der Neuzeit; 40 Prozent aller Schweizer Lohnempfänger befinden sich aktuell in Kurzarbeit. Fast jeder Zweite.

Zuerst ignoriert, dann hyperventiliert, aufs Ausland geschaut und ohne Augenmass auf die hysterischen Einflüsterungen des BAG gehört: So hat der Bundesrat regiert. Nicht meisterhaft bewältigte Krise, sondern ein Tiefpunkt Schweizer Regierungspolitik. Anders lässt sich das nicht bezeichnen.

Ach, und es wird ja auch immer Aufhebens darüber gemacht, dass nur sogenannte «Corona-Leugner» behaupten, dass COVID-19 einfach ein Grippevirus sei. Offenbar ist aber auch das BAG darauf eingeschwenkt: «Einerseits sind die Symptome von COVID-19 und einer Influenza-Erkrankung ähnlich. COVID-19 kann daher in die Statistik der grippeähnlichen Erkrankungen einfliessen.»

Es werden aber immerhin nicht nur Kritiker der offiziellen Linie der europäischen Regierungen entlassen. Das geschah nun auch endlich Neil Ferguson. Der war der englische Oberepidemiologe, der schon bei BSE und anderen Krankheiten vor Hunderttausenden von Toten gewarnt hatte. Auch bei Corona setzte er sich für eine strikte Quarantäne ein und warnte vor bis zu einer Million Toten in Grossbritannien. Aufgrund einer Datenbasis, die ein ehemaliger Mitarbeiter als das Computerspiel «Sim-City, nur ohne Grafiken» verspottete.

Nachdem Ferguson seine anderweitig verheiratete Freundin ohne die geringsten Schutzmassnahmen zu einem Stelldichein durch London kutschieren liess, reichte es: Er wurde gefeuert. Wenigstens ein unverantwortlicher Schwarzseher weniger.

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Autor/in
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