Sie verkaufte Fahrzeuge, die ihr nicht gehörten. Ertrog damit eine Viertelmillion Franken und verprasste alles im Casino. In sieben von neun Fällen sprach das Kreisgericht St. Gallen die Angeklagte nun allerdings frei. Verloren haben insbesondere ein leichtgläubiger Autohändler und der Staat.
61 Jahre ist sie alt, die Betrügerin aus Serbien. Eine Schule habe sie nie besucht, Analphabetin sei sie, sagte sie letzten Dienstag in stark akzentgefärbtem Hochdeutsch vor dem Kreisgericht St. Gallen aus. Seit 1985 wohnt die Frau in der Schweiz und ist nicht vorbestraft. Heute lebt sie von einer Invalidenrente und Ergänzungsleitungen. Viel zu wenig Geld habe sie und weil sie spielsüchtig sei, hat sie im Jahr 2015 mit einem relativ simplen Trick und viel Gutgläubigkeit des Gegenübers in gerade mal dreieinhalb Monaten rund eine Viertelmillion Franken ertrogen.
Bei einem Fahrzeughändler in der Innerschweiz kaufte sie am 30. Januar 2015 einen Land-Rover für 48'500 Franken. Dazu leistete sie eine Anzahlung von 5000 Franken. Der Restbetrag sollte mit 840 Franken pro Monat abgezahlt werden. Damit das Fahrzeug bis zur kompletten Tilgung der Schulden nicht weiterveräussert werden kann, füllte der Händler das Antragsformular für den Eintrag der Ziffer 178 «Halterwechsel verboten» im Namen seiner Firma aus. Mitsamt dem Fahrzeugausweis übergab der Händler das Formular der Angeklagten, damit diese das Auto beim Strassenverkehrsamt St. Gallen registrieren lassen könne.
Mit Hilfe eines Komplizen reichte die Frau aber nicht dieses, sondern ein abgeändertes Formular ein, dass sie als Antragstellerin und gleichzeitig als Löschberechtigte unterzeichnete. Als der Händler die Ziffer 178 auf dem Fahrzeugausweis sah, händigte er das Auto aus. Vier Tage später verkaufte die Angeklagte das Auto für 33'600 Franken weiter. Dieses Vorgehen wiederholte die Frau während der folgenden dreieinhalb Monate immer wieder, indem sie vorgab, eine reiche Frau zu sein, die für ihre Kinder Autos kaufe, wie die Staatsanwalt sagt.
Einen Teil des Geldes aus dem Wiederverkauf nutzte sie für die Anzahlung des nächsten betrügerischen Kaufs, den Rest – so sagt sie – verspielte sie im Casino. Da die Frau die Anzahlungen jeweils bar tätigte und auch mit den Ratenzahlungen nicht in Verzug gewesen war, schöpfte der Händler keinen Verdacht. «Das ist eine reine Schutzbehauptung» kontert der Pflichtverteidiger in seinem Plädoyer. In Tat und Wahrheit habe seine Mandantin nicht einmal die ganze Anzahlung, geschweige denn alle vereinbarten Ratenzahlungen getätigt. «Der Verkäufer hat sich äusserst leichtfertig verhalten!», argumentiert der Advokat. Denn beim letzten Fahrzeugverkauf hätte seine Mandantin monatliche Leasingraten von 5500 Franken berappen müssen. Es könne doch nicht sein, dass man da keine Abklärungen treffe, sagt er.
Eine geschlagene Stunde brauchte der Verteidiger um seine Forderung – einen Freispruch auf ganzer Linie – darzulegen. Dabei stützte er seine Argumentation im Wesentlichen auf zwei Pfeiler:
Der Geschädigte ist selbst schuld, weil er fahrlässig gehandelt hat.
Es war keine Urkundenfälschung, da nicht der Fahrzeugausweis (eine Urkunde) gefälscht wurde, sondern das Formular, das der Beamte für die Ausstellung des Ausweises benötigte.
Nie habe seine Mandantin vorgetäuscht, solvent zu sein. Das sei ein Schluss, den der Händler selbst gezogen habe. Der Garagist sei verpflichtet, sich an die Gesetzgebung bezüglich Kreditvergabe zu halten. Weil seine Profitgier derart gross gewesen sei, habe er seiner Mandantin ohne jegliche Abklärungen ein Fahrzeug nach dem anderen verkauft. Etwas spitzfindig schlussfolgerte er dann, dass es unmöglich sei, seine Mandantin des Betrugs zu verurteilen, weil wegen der gesetzeswidrigen Unsorgfältigkeit des Händlers gar nie ein Kredit gewährt wurde und die Angeklagte ihren finanziellen Verpflichtungen sowieso nie und nimmer hätte nachkommen können. Auch spricht er seiner Mandantin jegliche Arglistigkeit ab, da kein raffiniertes Lügengebilde sichtbar sei. «Es kann nicht sein, dass das Strafgesetz Verstösse gegen das Konsumkreditgesetz schütze!», mahnte der Verteidiger die drei Kreisrichter und forderte darum einen Freispruch und eine Abweisung der Zivilklage.
Der Staatsanwalt hingegen sah es als erwiesen, dass die Angeklagte wegen gewerbsmässigen Betrugs sowie der mehrfachen Erschleichung einer falschen Beurkundung schuldig zu sprechen sei. Er forderte eine 30-monatige Freiheitsstrafe, bei Gewährung des teilbedingten Strafvollzugs von sechs Monaten und 24 Monate bedingter Freiheitsstrafe unter Ansetzung einer Probezeit von drei Jahren.
12 statt 30 Monate
Das Kreisgericht St. Gallen unter dem Vorsitz von Christoph Bossart sprach die Angeklagte in sieben von neun Fällen des gewerbsmässigen Betrugs frei. «Dass eine Frau zwei Autos kaufe, das ist nichts Aussergewöhnliches. Doch spätestens beim dritten Fahrzeugkauf hätte der Verkäufer definitiv misstrauisch werden sollen», begründet er das Urteil und spricht von einer «Opfermitverantwortung». Das Gericht folgte auch der Argumentation des Verteidigers und sprach die Frau vom Vorwurf der falschen Beurkundung frei ebenso verwies es die Zivilforderung auf den Zivilweg. Für den Betrug wurde die Angeklagte zu einer bedingten zwölfmonatigen Freiheitsstrafe bei einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Die Untersuchungskosten von 20'500 Franken werden zu zwei Fünften der Verurteilten übertragen, der Rest trägt der Staat. Da bei der am Existenzminimum lebenden Frau eh nichts zu holen ist, trägt der Staat wohl auch die Kosten des Pflichtverteidigers. Diese belaufen sich auf knapp 13'000 Franken.
Die Verurteilte ist mit einem blauen Auge davongekommen. Verloren haben der leichtgläubige Autohändler, sein Schaden wird mit 288'000 Franken beziffert, und der Staat, der auf den Verfahrenskosten sitzen bleibt. Die Hände reiben dürfen sich das Grand Casino St. Gallen, wo die Verurteilte angeblich fast das ganze Geld verspielt, das aber mittlerweile ein Casinoverbot gegenüber der Frau ausgesprochen hat, und der Verteidiger, der so oder so für seine Arbeit vorläufig durch die Staatskasse entschädigt wird.
Ein Landesverweis der Verurteilten stand übrigens nie zur Diskussion, da die Straftaten vor der Einführung des entsprechenden Gesetzesartikels begangen wurden. Die Staatsanwaltschaft kann noch nicht sagen, ob sie das Urteil weiterziehen wird, wie sie auf Anfrage sagt.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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