Als Mitglied des Schweizer Parlaments erhalte ich regelmässig Briefe und E-Mails von Bürgerinnen und Bürgern, in denen Anliegen zu verschiedenen politischen Themen vorgebracht werden.
Diese Einblicke sind wichtig, denn sie vermitteln mir Sichtweisen von Personen ausserhalb meines persönlichen Freundes- und Bekanntenkreises, und unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Wohnort. Mit der Coronakrise ist nicht nur die Zahl solcher Briefe und vor allem E-Mails exponentiell gestiegen. Auch die Tonlage hat sich massiv verschärft.
Oft stehen hinter diesen Einsendungen dramatische und bewegende Schicksale. Doch vor allem spüre ich einen zunehmenden Dogmatismus. SARS-CoV-2 ist nicht nur ein Virus, sondern auch ein Pilz. Ein veritabler Spaltpilz, der unsere Gesellschaft ziemlich unabhängig von Parteigrenzen spaltet. Wer verhindern will, dass die Wirtschaft an die Wand gefahren wird, ist ein potenzieller Mörder. Und wer für strikte Massnahmen plädiert, ist der Totengräber der Wirtschaft. In diesem Spannungsfeld den richtigen Weg zu finden, ist sehr schwierig.
Grundsätzlich möchte ich am Schweizer Mittelweg festhalten. Denn wir werden auch die nächsten Monate, bis hoffentlich eine sichere Impfung möglich sein wird, mit dem Virus leben müssen.
Wir können die Gesellschaft nicht lahmlegen, müssen aber Schutzkonzepte konsequent umsetzen. Und wo die Infektionszahlen als vorlaufender Indikator für die Hospitalisierungen aus dem Ruder laufen, müssen die Kantone verschärfend eingreifen können.
Dieser Mittelweg wird Hardlinern auf beiden Seiten der von Corona gespaltenen Gesellschaft nicht gefallen. Aber es ist wohl der einzige Weg, dem Spaltpilz einigermassen Paroli zu bieten und die Gesellschaft doch noch zusammen zu halten.
Nicolo Paganini (*1966) ist Nationalrat (CVP) im Kanton St.Gallen.
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