Wer erbt, der gewinnt nicht zwangsläufig. Geld führt nicht selten dazu, dass sich familiäre Beziehungen, die zuvor als unzertrennbar galten, in einer Anwaltskanzlei förmlich in Wind auflösen. Im Gespräch mit Erbrechtexpertin Melanie Strässle von der Muri Rechtsanwälte AG in Weinfelden.
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Melanie Strässle, Streitereien ums Erbe hat schon ganze Familien zerrüttet. Was sind Ihre Erfahrungen, geht es in erster Linie meistens wirklich ums Geld oder eher um Missgunst bzw. das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden?
Erbschaften sind oft mit Emotionen verbunden. Wenn es Streit gibt, dann ha?ufig weil sich jemand ungerecht behandelt fu?hlt. Aber natu?rlich spielt hier auch immer Geld eine Rolle, weil z.B. ein Nachkomme zu Lebzeiten bereits mehr erhalten hat, als der andere oder der eine Erbe sich zu Lebzeiten um den kranken Erblasser geku?mmert hat und dies im Testament nicht entsprechend gewu?rdigt wird. Die bis anhin besten Familienverha?ltnisse ko?nnen im Falle des Ablebens eines Familienmitglieds zerru?ttet werden.
Kann man sich bei der Vertretung einer Partei auf klare rechtliche Grundlagen stützen oder geht es teilweise auch im Softfaktoren?
Rechtliche Grundlagen bilden das Gesetz und die Anordnungen des Erblassers. Vielfach pra?sentieren sich die Fa?lle in der Praxis aber nicht schwarz oder weiss. Oftmals spielen Beweisrisiken z.B. bei erhaltenen Zuwendungen zu Lebzeiten eine Rolle. Auch gibt es ha?ufig Bewertungs- oder Auslegungsfragen.
Wer Streitigkeiten – zumindest teilweise – abwenden möchte, sollte wohl in erster Linie ein felsenfestes Testament in der Schublade liegen haben. Welche gravierenden Fehler werden hierbei noch immer gemacht?
Wird ein Testament oder Erbvertrag ohne fachliche Unterstu?tzung abgefasst, besteht die Gefahr, dass der Wortlaut oder der Erblasserwille nicht eindeutig und klar sind oder es werden dabei Pflichtteile nicht beachtet. Ebenso kann es vorkommen, dass einzelne Verfu?gungen einander widersprechen oder formelle Fehler gemacht werden. Manchmal gelangt ein Testament sodann nicht zur Ero?ffnung, weil es nicht gefunden wird. Darum ist ein sicherer Aufbewahrungsort wichtig. Aus diesen Gru?nden ist jedem zu empfehlen, seinen Nachlass fru?hzeitig zu planen und sorgfa?ltig zu regeln. Dies fu?hrt erfahrungsgema?ss bei den Personen zu einer Erleichterung und zur spa?teren Vermeidung von unno?tigen Diskussionen und Streitereien unter den Hinterbliebenen. Je nach Ausgestaltung der Vermo?gens- und Familienverha?ltnisse ist die Einsetzung eines Willensvollstreckers ratsam, welcher dafu?r sorgt, dass die Erbschaft im Sinne des Erblassers geteilt wird und bei Streitigkeiten kompromissfa?hige Lo?sungen unter den Erben erarbeitet.
Eine aktuelle Geschichte aus den Boulevardmedien um einen verstorbenen Bauunternehmer zeigt: Selbst ein Testament kann keine Brandherde verhindern. Man kann es anfechten. Welche Argumente werden hierbei jeweils gerne eingeworfen?
Zu nennen sind etwa die Geltendmachung von verschiedenen schwerwiegenden Ma?ngeln, wie etwa ein Willensmangel oder die fehlende Verfu?gungsfa?higkeit des Erblassers zum Zeitpunkt des Abfassens des Testaments oder aber ein Formmangel, z.B. wenn das Testament nicht selbst von Hand niedergeschrieben wurde. Ha?ufig wird sodann geltend gemacht, dass ein Testament Pflichteile verletzt. Durch eine gute Beratung oder Vorabpru?fung des Testaments ko?nnen aber oftmals die genannten Fehler vermieden werden.
Kann man sagen: Je höher das Erbe, desto eher wird gestritten?
Das wu?rde ich nicht unbedingt sagen. Unabha?ngig von der Ho?he des Erbes kann es zu Streitereien kommen, denn, wie gesagt, spielt beim Erben oft nicht nur das Geld, sondern auch das Gefu?hl, benachteiligt worden zu sein, eine entscheidende Rolle.
Es gibt den Spruch, der besagt, dass bei einem Erbstreit letztlich vor allem die Anwälte als Gewinner hervorgehen. Haben Sie einer Partei auch schon einmal von einem besonders harten Vorgehen abgeraten?
Zu einer sorgfa?ltigen Mandatsausu?bung geho?rt auch, unsere Klienten u?ber die mo?glichen Prozessrisiken aufzukla?ren. Sehen wir – unter Beru?cksichtigung sa?mtlicher Umsta?nde – die Chancen in einem Prozess zu obsiegen als gering an, raten wir unseren Klienten von einem Prozess ab. Gerade gerichtliche Verfahren ko?nnen langwierig und entsprechend kostenintensiv sein, dies geben wir bei eher geringen Erfolgschancen auch immer zu bedenken. Mit gutem Verhandlungsgeschick kommt man in einem solchen Fall dann eher und gu?nstiger zum Ziel. Die Entscheidung obliegt aber am Ende dem Klienten.
Nun haben wir vor allem über gravierende Fälle gesprochen. Ihre Tätigkeit dürfte aber wohl in erster Linie «Alltagsgeschäft» sein, oder?
Das spannende am Erbrecht ist, dass sich jede Familienkonstellation – alleinstehende Person, Ehepaar mit/ohne Nachkommen, Patchwork-Familien etc. – und vermo?gensrechtliche Ausgangslage mit z.B. Liegenschaften, Familienunternehmen etc. wieder anders pra?sentieren und es somit keinen sogenannter «Standardfall» gibt. Zudem sind die Wu?nsche bzw. Bedu?rfnisse der Klienten in Bezug auf eine Vorsorge- und Nachlassplanung immer unterschiedlich und mu?ssen individuell betreut bzw. beurteilt werden.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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