Wir werden uns damit abfinden müssen, dass wir auch im Jahr 2021 häufiger, als wir es möchten, von der allgegenwärtigen Pandemie werden reden müssen. Dabei würde ich doch lieber mal über hirnlose Sprach-Unsitten der Medien oder über das unnatürliche Duschverhalten unseres Katers schreiben.
Wir, damit meine ich neben dem Schreibenden natürlich dessen Leser(innen), oder in Anlehnung an die Stellenausschreibung einer deutschen Universität den, die oder das «Leser*in (m/w/d)» – die Klammerbemerkung nach dem verhunzten Hauptwort entziffere ich als «männlich/weiblich/divers» und frage mich, wie viel man eigentlich studiert haben muss, um verständliche Dinge in eine so unverständliche Form zu bringen. Nun gut, das betrifft nicht nur universitäre Stellenausschreibungen. Mir bleibt unvergessen, was ein ehemaliger Rektor der HSG einmal im kleinen Kreis sagte: Es sei nur gut, dass das Volk nicht zuviel davon erfahre, was da oben am Rosenberg manchmal alles an Dummheiten gesagt und geschrieben werde.
Aber das war jetzt nicht das Thema. Warum, so fragt sich mancher Medienkonsument, muss ich mir täglich so viel Covid-19-Pandemie am Bildschirm und in der Zeitung antun? Das hängt mit einem Phänomen zusammen, das etwa der Tagesschau-Moderator Florian Inhauser noch immer nicht begriffen hat, wenn er sagt, «das machte heute Schlagzeilen»: Nein, nicht die Dinge, auch keine Viren, machen die Schlagzeilen. Es sind die Redaktionen, also die Journalisten, die bestimmen, was in die Schlagzeilen kommt. Und das folgt ganz bestimmten Regeln.
Bei den Boulevard-Blättern heisst die Regel: Eine erfolgreiche Schlagzeile muss an den beiden Folgetagen nochmals Schlagzeilen generieren. Dabei entscheiden die Verkaufszahlen, ob das Thema «zieht». Heute sind es fast überall messbare Klickzahlen, die entscheiden, ob eine Geschichte weiter- oder zurückgezogen wird.
Damit wird klar, weshalb ein erfolgreiches Thema zur Lawine anschwillt: Wovon der Medienkonsument mehr wissen will, davon kriegt er mehr – meistens eben so viel mehr, bis er darin fast ertrinkt: More oft he same! Masse gebiert noch mehr Masse. Da wird der Lieferant am Redaktionspult dann tatsächlich zum Schleusenwärter, der die Corona-Schleuse bis zum Gehtnichtmehr öffnet, während für andere, womöglich relevantere Themen kein Durchkommen mehr ist.
Kommt hinzu, dass den Journalisten nicht ganz zu Unrecht nachgesagt wird, sie seien Herdentiere. Was in Zeiten von Grossredaktionen in Grossraumbüros grosser Medienunternehmen ja nicht so ganz unlogisch erscheint. Selbstverständlich gilt auch hier:Es gibt Ausnahmen. Welche die Regel bestätigen.
Medienkritik durch die Medien bleibt deshalb nötig, und es ist kein gutes Zeichen, wenn es in den verbliebenen Redaktionen unseres Landes inzwischen fast keine Medienressorts und -redaktionen mehr gibt. Klar, sagen Systemkritiker und Wutbürger: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Als es in den Medien vor zehn, zwanzig Jahren noch mehr Medienkritik und auch Medienschelte gab, hörte man hingegen, in Anlehnung an ein Zitat des grossen Aphoristikers Karl Kraus: Es gibt nichts Öderes, als wenn Journalisten Journalisten Journalisten schimpfen.
Doch es ist immer noch besser, wenn die Medien sich untereinander kontrollieren, als wenn diese Aufgabe von Staates wegen irgend einer Kontrollinstanz übertragen wird. Oder gar, wie im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der Justiz und Polizei. Der aktuelle Fall Assange belegt, bei aller Problematik, die Wahrheit eines anderen Zitats von Karl Kraus: «Der Skandal beginnt, wenn die Polizei ihm ein Ende setzt.»
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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