Da ist man nach einer fernsehlosen Woche zuhinterst in der Surselva ganz «patgific» – rätoromanisch für friedlich – gestimmt. Bis man den Fernseher einschaltet. Und auf allerlei weniger friedliche Gedanken kommt.
Eigentlich war ich nach den Skiferien in der schönen und ziemlich Corona-freien Surselva ja ganz «patgific» oder «patschifig» (=friedlich) gestimmt, wie die Bündner sagen. Oder doch die Steinböcke Gian und Giachen aus den Werbespots der Graubündner Tourismuswerbung. Die beiden erinnern mich mit ihrem kraftvollen Organ und Idiom immer etwas an Pierin Vincenz. Aber das wäre dann eine andere Geschichte.
Nein, friedlich stimmte mich die weisse Decke, die sich diese Woche still über alle Dinge legte. Und einen Lockdown der anderen Art bewirkte, den ich irgendwie viel besser vertrug als jenen, den uns der Bundesrat bis in eine unbestimmte Zukunft hinein androht. Die Schneedecke ist ein besserer Grund, seine Behausung möglichst wenig zu verlassen. Einleuchtender als die «schlechten Gefühle» von Corona-Fernsehexperten, die mir inzwischen – in Analogie zu den Autoposern – ebenfalls immer häufiger als «Poser» vorkommen: als Corona-Bedenkenposer.
Doch schon am Montagabend war es mit «patgific» vorbei. «Schweiz aktuell» brachte einen Bericht über die beklagenswerte Jugend, die im Zeichen von Corona leidet und sich nur noch an wenigen Orten wie dem Zürcher Sechseläutenplatz oder dem Bahnhof Stadelhofen treffen kann. Bedauernswert, aber trotzdem immer brav und ohne Krach. Dumm war nur, dass gleichentags aus anderen Medien zu erfahren war, dass es an diesen beiden Orten ausgerechnet am Wochenende zu Zusammenrottungen und wüsten Szenen, Einsätze von Polizei und Sanität inklusive, gekommen war. Das hätte man vielleicht nicht im Filmbeitrag, aber spätestens in der Moderation ergänzen können, nein: müssen. Unverzeihlich, journalistisch ungenügend, und beileibe kein Einzelfall. Was nicht ins Bild passt, wird ausgeblendet.
Doch weder derlei journalistisches Ungenügen – wird es je redaktionsintern gerügt? – noch grössere technische Pannen wie nicht funktionierende neue Studios, deren notfallmässige Instandhaltung die Gebührenzahler monatlich 400'000 Franken kostet, können der Selbstherrlichkeit des Medienkonzerns SRG etwas anhaben. Der von sich selber gerne behauptet, er sei ja nur als harmloser Verein organisiert. Ausgerechnet in der schlimmsten Zeit, die heute lebende Kulturschaffende wohl je erlebt haben, kündigt SRF rigorose Sparpläne in der Abteilung Kultur an. Nicht ohne bekanntzugeben, dass mit einer «vertiefenden Marktstudie» neue Formate auf Youtube und Instagram für die «junge Zielgruppe» angepeilt werden. Besonders ärgerlich: Es geht nicht einfach um aufwendige TV-Produktionen, sondern es ist ausgerechnet das Radio, wo relativ günstig produzierte Aushängeschilder der radiophonen Kultur aus Musik und Literatur geopfert werden sollen.
Ob man mit derlei vagem Gestocher in der Medienzukunft die «junge Zielgruppe» zurückholt, die dem herkömmlichen Fernsehen bereits den Rücken zugekehrt hat? Eher nicht. Dafür verärgert man das verbliebene Publikum – und jene zahllosen Unterstützer aus der Kulturszene, die sich 2018 vor der Abstimmung über die No-Billag-Initiative mit Herzblut für die SRG in die Schlacht geworfen hatte: «Gemeinsam gegen die Zerschlagung von Radio und Fernsehen in der Schweiz» hiess es damals, und besonders dramatisch: «Stirbt die SRG, stirbt die Schweiz». Diese Kulturschaffenden müssen sich heute gleich doppelt verraten vorkommen. Lenin soll es gewesen sein, der von Künstlern einst als «nützlichen Idioten» sprach.
Mit «patgific» war es nach derlei Gedankengängen verständlicherweise vorbei. Bleibt nur noch die Frage, ob jene Anhänger der SRG, welche unseren zwangsgebührenfinanzierten Medienkoloss vor drei Jahren so kritik- und bedenkenlos unterstützten, nicht gelegentlich ihr Komitee «Nein zum Sendeschluss» reaktivieren müssten. Diesmal vielleicht, ohne abweichende Medienstimmen (wie die meinige), die damals das selbstherrliche Gehabe der SRG kritisierten, zu diffamieren.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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