Start zur neuen wöchentlichen Kolumne: Max Waldmeyer alias Roland V. Weber wird wöchentlich Einblick in seine Welt geben. Zum Auftakt: Wie aus der Schweiz ein heiteres Kibbuz werden soll.
Sämtliche Glossen von Max Waldmeyer sind auch auf seiner Ostblick-Seite zu finden.
Who is Max Waldmeyer ?
Max Waldmeyer existiert nicht. Trotzdem: Seine kritischen, sarkastischen und zum Teil absurden Gedanken und Kommentare sind interessant. Waldmeyer ist Mitte 50 und lebt gut bis sehr gut situiert im Einzugsgebiet von Zürich - genau genommen in Meisterschwanden am Hallwilersee (Gartenstrasse 4). Als Unternehmer fühlt er sich mikroökonomisch gestählt; seit einiger Zeit jedoch hat er sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und geniesst so mehr Freiheit in Gedanken und Zeit. Er beobachtet die ganze Welt – nicht zuletzt, weil er auf der Suche nach einem optimalen Second Home ist, einem zweiten Lebensmittelpunkt (2.LMP, wie er es nennt). Seine Frau Charlotte ist selbständige Interior Designerin und die einzige Person, die ihn ab und zu zu bremsen weiss. Die zwei Kinder, Noa und Lara, sind schon partiell aus dem Haus. Sie sind noch in der Ausbildung.Waldmeyer trägt eine IWC (früher eine Rolex) und fährt einen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch).
Waldmeyer hatte sich in letzter Zeit schon mehrmals gewundert: In Zürich sollen private Dachgärten der Allgemeinheit zugänglich gemacht, Baucontainer zwangs-begrünt werden, und schon seit längerem wird ein bedingungsloses Grundeinkommen angedacht. Aber nun diese 99%-Initiative der Jusos: Einkommen und Vermögen sollen vermehrt kollektiviert werden. Soll die Schweiz ein heiteres Kibbuz werden, natürlich mit nur glücklichen Menschen, welche hochmotiviert für die andern arbeiten? Waldmeyer ist verwirrt. Es geht unter anderem auch um seinen Van Gogh. Aber dazu später.
Die schon vor einiger Zeit lancierte 99%-Initiative verlangt, dass Kapitaleinkommen (Zinsen, Dividenden etc.) auf einer Berechnungsbasis von 150% besteuert werden. Es gilt ein Freibetrag von beispielsweise 100‘000 Franken pro Jahr. Erträge, die darüber sind, werden quasi über-konfisziert. Das betrifft zwar nur etwa 1% der Leute, deshalb die „99%-Initiative“.
Der mit der neuen Steuer erzielte Mehrertrag soll dazu verwendet werden, um die Einkommenssteuern für Personen mit tiefen und mittleren Arbeitseinkommen zu senken. Ein hehrer Gedanke – doch nicht mal Karl Marx wäre so weit gegangen.
Waldmeyer dachte schon, dass es sich dabei wieder um einen üblichen Juso-Furz handelt – also nur um eine provokative Idee, um sich wichtig zu machen. Doch weit gefehlt: 13 von 46 Ständeräten stimmten dafür. Heute unterstützt ebenso eine ganze Phalanx der Grünen die Initiative, auch die SP hat die Ja-Parole ausgegeben. Am 26. September soll abgestimmt werden. Das Brisante daran: Könnten sich etwa 99% der Bevölkerung für diese absurde Idee erwärmen? Sie wären ja, so meinen sie, nicht betroffen.
Doch hatten es die Jusos vielleicht nur gut gemeint? Im Sinne von Gutmenschen, welche die Arbeit höher gewichten als das Kapital? Womit wir wieder bei den Grundgedanken von Marx‘ «Das Kapital» wären.
Waldmeyer – und wohl allen andern auch – war noch nicht ganz klar, was denn alles als „Kapitaleinkommen“ klassifiziert werden könnte: Dividenden? Zinsen? Eigenmietwerte? Oder einfach allgemein Kapitalgewinne? Oder auch intrinsische Gewinne, zum Beispiel der Genusswert einer kostbaren Mingvase oder eines Van Goghs? Oder gar Waldmeyers Ausblick aus seiner Villa in Meisterschwanden auf den Hallwilersee?
Waldmeyer taten die grossen Unternehmer doch etwas leid: Sie sind darauf angewiesen, Dividenden zu beziehen, nur schon um die Vermögenssteuern zu bezahlen, die sich aufgrund der steuerlichen Firmenbewertung ergeben. Eine Über-Steuer auf den Dividenden, also auf klassischen Kapitaleinkommen (genau so, wie es die Jusos definieren), könnte ihnen das Genick brechen. Die Unternehmer würden entweder die Landesflucht antreten (ohne ihre Firma), die Firma einfach ins Ausland verlagern, Harakiri begehen oder in ein Kloster eintreten. Eine solche Krisensituation wäre einfach unlösbar.
Eigentlich sassen Waldmeyer, Charlotte und die beiden noch knapp adoleszenten Kinder an diesem Sonntagmorgen nur friedlich am Frühstückstisch. Doch nun wurde diskutiert.
Lara (22, studiert Kunst in Basel) fragte: „Diese Initiative, ist das nun Kommunismus oder Sozialismus?“ Waldmeyer überlegte: Kommunismus ist es nicht. Denn dann würde man gar nie dazu kommen, ein Vermögen aufzubauen, das der Staat stehlen kann. Vermögen im Kommunismus haben nur die Staatsführer. Sozialismus trifft schon eher zu: Du musst dann zwangs-teilen. „Im Kommunismus gehört dein E-Bike bereits von Anfang an dem Staat, im Sozialismus musst du dein zweites E-Bike der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Du gibst dein E-Bike an den Staat ab, sparst auf ein neues oder nimmst einen Kredit auf, damit du ein neues kaufen kannst, das du dann wieder an den Staat abgibst“. Soweit Waldmeyers spontane Erklärung.
„Aber da müsste einer ja schön blöd sein!“, warf nun Noa ein (24, studiert Betriebswirtschaft in Zürich).
„Stimmt, blöd ist es vor allem, wenn du bereits 12 E-Bikes besitzt, diese ausmietest und dann den ganzen Gewinn aus der Kapitalvermietung, und zwar auf der Basis von 150%, abliefern musst. Nach ein paar Jahren hast du dann nichts mehr.“
„Vielleicht sollte man den Jusos gleich von Anfang an die E-Bikes wegnehmen?!“
„Schwierig“, entgegnete Waldmeyer. „Die arbeiten nur halbtags, sind z.B. Lehrer oder städtische Angestellte (Kulturpflege) und nutzen gratis die E-Bikes der Stadtverwaltung. Da ist nichts zu holen. Und so lösen wir das Problem nicht.“
Aber: Handelte es sich nun um Kommunismus oder Sozialismus? Es handelt sich auf jeden Fall um Enteignung. Aber auch um Umverteilung. Also ist diese 99%-Initiative ein klarer Fall von Soziokommunismus.
Noa warf noch die provokative Idee ein, einfach auszuwandern. Er würde künftig nicht in einem Land wohnen wollen, wo der Staat die persönlichen Errungenschaften klaut. Aber wohin…? Es müsste ein Ort sein, wo es ein bisschen wärmer ist, das Leben günstiger, sich das Arbeiten lohnt, und überhaupt. Er studiere ja nicht vergeblich Betriebswirtschaft!
Die angespannte Frühstücks-Debatte wurde nun unterbrochen, da Noa dringend gehen musste. Er hatte sich mit Bekime verabredet (seine neue Freundin, albanisch).
Waldmeyer rief ihm nach: „Ich überlege mir was. Wir diskutieren das am nächsten Sonntag.“
Zurück in seinem Büro, eigentlich in seinem Newsroom, blickte Waldmeyer an seinen Van Gogh an der Wand: Ob dieser auch der 99%-Initiative zum Opfer fallen könnte? Zum Glück war es nur eine Kopie.
Er wollte sich nun Gedanken machen betreffend einem Auswanderungsland für Noa. Bekime hatte ihn gleich auf eine seltsame Idee gebracht: Albanien! Zumal Albanien eine stock-kommunistische Vergangenheit hat. Heute kennt das komische Land immerhin eine Flat-Tax von nur 10%.
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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