Waldmeyer hatte seit Wochen keinen Schwarzen mehr gesehen. Er interessierte sich bis anhin auch kaum für die Probleme der Dunkelhäutigen, ihre Rechte, etc. Aber plötzlich sah er sich trotzdem mit dem Thema BLM – also black lives matter – konfrontiert. – Die Freitags-Glosse mit Max Waldmeyer.
Es war einfach zu weit weg, dieses Thema, und Waldmeyer konnte nicht ergründen, warum wir seit einiger Zeit diesbezüglich in der Schweiz nun auch ein Problem haben sollten. Die Frage war indessen der Aktualität geschuldet, denn der Dreikönigstag erinnert uns immer wieder an den «Mohr aus dem Morgenland».
Waldmeyer hatte also seit Wochen keinen Schwarzen mehr gesehen - ausser auf Netflix natürlich. Und ausser Elias, den Eritreer, welcher bei seinem Schulfreund Ruedi Arnold auf der Alp arbeitet. Eigentlich war Elias jedoch kein echter Schwarzer. Waldmeyer würde seinen Teint etwa als „70-%-pigmentiert“ definieren – fast so wie bei Obama. Waldmeyer war stolz auf seine akkurate Bezeichnung - vor allem, weil unser Wortschatz einfach nichts Treffendes parat hatte für Elias. Es gab da zwar noch diese Bezeichnung „Mulatte“. Diese war indessen auch nicht genügend zutreffend, und Waldmeyer war unsicher, ob der Begriff überhaupt erlaubt ist. Franzosen sprechen in diesen Fällen liebevoll von „café au lait“ – was gar nicht negativ besetzt oder rassistisch ist. Aber wie erwähnt: Waldmeyer sah bisher wenig Zusammenhang zwischen diesen Themen und unserem gesellschaftlichen Leben in der Schweiz.
Interessant wurde diese Angelegenheit erst in letzter Zeit: Da wurde nämlich plötzlich dieses „Café zum Mohrenkopf“ in Zürich unbenannt, die U-Bahnstation „Mohrenstrasse“ in Berlin ebenso, die „Colonial Bar“ in Bern hiess nun, etwas verloren, plötzlich „Bar“. Und dann kam noch die lächerliche Schweizer Mohrenkopfgeschichte hinzu. Nicht genug: Die „Zigeunerschnitzel“ wurden nur Monate später ebenso flächendeckend von den Speisekarten genommen, und die Firma „Schwarzkopf“ tüftelte nun offenbar an einer Namens- und Logänderung. Ob der Begriff „Pfadilager“ wohl noch geht? Abgesehen von dem negativ konnotierten Begriff „Lager“ kam nun erschwerend hinzu, dass Lord Baden-Powell (der Gründer der Bewegung) offenbar eine ziemlich rassistische Einstellung hatte.
BLM – British Leyland Motors?
An einem Samstagmorgen, es war wohl vorletztes Jahr schon, fragte Waldmeyer seine Tochter: „Lara, was läuft heute?“ Er vermied es, die Frage „was machst du heute?“ zu formulieren, was nie gut ankam. „Was läuft heute“ klang unverbindlicher, kontroll-armer, partizipativer. „BLM“, erklärte Lara (23).
„Toll, ich war schon lange nicht mehr in Mürren.“
„Hää? Wir treffen uns in Zürich!“ Es brauchte einige Zeit, bis das Missverständnis betreffend Black Lives Matter und den Bergbahnen Lauterbrunnen-Mürren aufgeklärt war. Waldmeyer kam auch noch British Leyland Motors in den Sinn, was Lara natürlich nicht mehr kannte - ein Punkt für ihn.
„Du Sau, du!“
Zudem wollte Waldmeier eigentlich ganz andere edukative Herausforderungen stemmen, als ethnisch-soziale Themen mit seiner Tochter zu besprechen. Es ging nämlich um seinen Grossneffen Tim, vierjährig. Waldmeyer hatte sich kürzlich mit ihm durch den Zoo gequält. „Hoi, du Sau, du!“, rief Tim vor dem Wildschweingehege. Waldmeyer war verunsichert. Sollte er seinen Grossneffen nun zurechtweisen? Als Sau bezeichnet zu werden, ist nicht sehr nobel. Tim könnte dies künftig vielleicht auch bei Nichtsauen tun. „Tim, das ist eine korrekte Bezeichnung – weil es ein Schwein ist. Du darfst aber Nichtsauen auf keinen Fall mit Sau ansprechen.“ Erziehung und Sozialisierung sind gar nicht so schwierig, dachte sich Waldmeyer.
Der Mohr aus dem Morgenland
Am nächsten Morgen, bei seiner Meditation (es handelte sich de facto um sein normales singuläres Brainstorming), starrte Waldmeyer in die Tasse mit dem schwarzen Kaffee und fragte Charlotte, ob man einen „Affen“ noch einen „Affen“ nennen dürfe. Charlotte antwortete nicht. Es war Sonntag, weshalb auch Noa (21), noch etwas übernächtigt und vermutlich noch mit Restalkohol, am Tisch sass. Auch Lara, mit roten Augen, sie hatte am Vorabend an einer Demo etwas Tränengas abbekommen. Aber Waldmeyer war in Gedanken ganz woanders: Er fragte sich, wer jetzt wohl die Weihnachtsgeschichte umschreiben müsse. Denn das mit dem Mohr aus dem Morgenland ging wohl nicht mehr durch. Als sein Sohn Noa noch zur Schule ging, gab es zu Weihnachten diese Krippenspiele, und einer der Jungs mimte jeweils den Mohren. Waldmeyer erinnerte sich genau: Es war 2008, nämlich ein paar Wochen nach Lehman Brothers. Aber nicht Noa, sondern Skodran aus Pristina durfte den Mohren spielen. Skodran war etwas dunkelhäutig, also entfiel das Kopfschwärzen - soweit ein ganz praktischer Entscheid der serbischen Lehrerin, welche im Übrigen weitsichtig darüber hinwegsah, dass Skodran Moslem war. Skodran war damit jedoch eine mehrfach glückliche Wahl, denn der Typ aus dem Morgenland war sicher auch kein Christ. Es war auch etwas Glück für die Lehrerin dabei, denn sie ahnte damals noch nicht, dass „blackening“, also das Kopfschwärzen, überhaupt nicht ging. (Premierminister Trudeau holten in dieser Causa bekanntlich seine Jugendsünden ein.)
„Diese Person aus dem Morgenland, war das nun ein Mohr, ein Farbiger oder ein Schwarzer?“, rätselte Waldmeyer laut. „He, he, that’s the n-word“, warf Noa ein. „Bitte“, intervenierte Charlotte, „es war einfach ein Ausländer“.
Waldmeyer fühlte sich wieder einmal bestätigt, dass seine Erziehung vergeblich gewesen war und stellte gleichzeitig fest, dass seine Frage nicht beantwortet wurde. „Der Ausländer aus dem Morgenland“? Ein Pleonasmus fast. Die konnotativen Probleme häuften sich. Wenn es keine Mohren, Farbigen, keine „Coloreds“, keine Rothäute und keine Gelben, vielleicht auch keine Cafés au lait mehr geben darf: Wie dürfen wir sie denn nennen? Vielleicht bleiben wenigstens „Schwarz“ und „Weiss“ der Sprache erhalten? Und wen sollte das alles eigentlich noch interessieren in einem entwickelten 21. Jahrhundert…?
„So, der Whiteman geht jetzt in den Newsroom!“, verabschiedete sich Waldmeyer vom Frühstückstisch. In seinem Büro reflektierte er, ob es ihn stören würde, „Gringo“ genannt zu werden. Mehr noch beschäftigte ihn der schwierige Vorfall mit seinem Grossneffen Tim kürzlich im Zoo. War das auch ein BLM-Fall? Aber so dunkel waren die armen, eingesperrten Wildschweine gar nicht. Eher „farbig“ eben. Aber das war wohl auch wieder falsch.
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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