Für Waldmeyer war die Sharing Economy eigentlich ein alter Hut. Er erinnerte sich daran, dass Claudia, seine ältere Schwester (pensionierte Lehrerin, Kurzhaarfrisur, lustige farbige Brille, altes Nokia) in den 70er Jahren einmal einen Sommer in einem Kibbuz verbracht hatte.
Das war wohl ein Vorläufer der Sharing Economy, denn er beruhte ebenso auf Freiwilligkeit. Dieses Modell damals war vor allem nicht zu verwechseln mit den sozialistischen Feldversuchen vieler Staaten – gerade zu jener Zeit.
Ein Kibbuz-Aufenthalt war damals auf jeden Fall der Renner; jeder, der in Israel in einem solchen freien Arbeitslager (oft mit ebenso freier Liebe verbunden) einen Sommer verbrachte, stieg in der sozialen Leiter seiner Bezugsgruppe mehrere Stufen nach oben. Natürlich wusste man damals noch nicht, dass man zu einer Sharing Economy gehörte.
Waldmeyer selber ist – zumindest partiell – nicht vollkommen abgeneigt, bei der Sharing Economy mitzumachen. Nur ein Beispiel: Kürzlich mietete er im Baumarkt eine dieser Vertikutiermaschinen für seinen Rasen. Ein klassisches Sharing. Früher benutzte er auch ab und zu ein Tram, noch früher ging er ins Schwimmbad. Auch hier teilte man etwas, man war sich dessen einfach nicht so bewusst. Und es hiess schon gar nicht „Sharing“. 2019 auf Ibiza hatte Waldmeyer diesen Elektro Scooter gemietet, hatte sich dann allerdings den Knöchel verstaucht. Und Wikipedia gehört zu seinen Lieblings-Homepages. Auch das ist Sharing Economy. Solche Sachen teilt man ja ganz gerne – zumal (im letzteren Fall) das Teilen dann, im ursächlichen Sinne, gratis ist.
Aber eigentlich möchte Waldmeyer gar nicht teilen. Seinen Porsche Cayenne z.B. (schwarz, innen auch) würde er nur ungern ausleihen, geschweige denn teilen. Vermutlich war das echte Teilen auch gar nicht die Idee der neuen Sharing Economy, denn diese verfolgt eine klare Wertschöpfungs-Strategie, ist bestenfalls sogar an der Börse kotiert. Da gibt es exakte Eigentumsverhältnisse. So auch bei Airbnb oder Ebay. Das hat in der Tat gar nichts mit selbstlosem „Teilen“ zu tun; der bisher positiv besetzte Begriff des „Sharing“ wird sozusagen persifliert.
Auch die Hunde, die sich die Spanier ausliehen, um während der Lockdowns die Ausgangssperren mit Gassigehen zu umgehen, sind nur eine moderne Ausprägung der geldschöpfenden Sharing Economy. Die Tiere wurden nämlich vermietet, für bis zu 16 Euro pro Stunde. Die Sharing Economy ist also vor allem ein Geschäftsmodell, welches nichts mit altruistischem „Teilen“ zu tun hat.
Waldmeyers jüngere Schwester Gabi zum Beispiel liebt Sharing Economy. Sie lebt in Zürich, im Seefeld, ist Ende 40, ledig, trägt weisse Nike-Sneakers. Waldmeyer fand nie genau heraus, was sie wirklich arbeitet, aber sie tut es in einem chicen Co-Working-Space. Sie liebt Uber, auch Airbnb – und alle Apps. Sie hat kein eigenes Auto, besitzt aber ein ziemlich cooles Elektrobike (welches sie allerdings auf keinen Fall teilen würde), sowie einen Fahrausweis (Prüfung für Automaten). Wenn sie zu Ikea fährt, chartert sie ab und zu ein Fahrzeug von Mobilitiy (man erkennt diese an der roten Farbe und der unsicheren Fahrweise). Bei Ikea fühlt sie sich dann mitten in einer Sharing Economy, in einer Ersatzfamilie quasi. In einer allerdings, welche ganz normal Geld nimmt. Gabi geht übrigens auch gerne aus – da ledig. Während der Corona-Krise brach ihr Lebensentwurf allerdings in sich zusammen. Der Co-Working-Space wurde geschlossen, Mobility stellte den Betrieb vorübergehend ein, Uber hatte Desinfektionsprobleme, Airbnb war eh nicht gefragt und die coolen Locations am Abend waren geschlossen. Es blieben nur die Apps. Gabi war nahe einer Depression, sie taxierte es allerdings als „Burnout“. Waldmeyer fragte sich, ob die Sharing Economy gar nicht krisentauglich ist – zumindest nicht Pandemie-tauglich.
Philipp Kohler, Waldmeyers Neffe, machte Waldmeyer auf zwei interessante Sachverhalte aufmerksam. Einerseits erklärte er ihm das Fractional Share Trading: Da er sich mit seinem Studentenbudget kein sinnvolles Portfolio an der Börse aufbauen könne, beschränke er sich bei seinen Tradings eben auf den Kauf einer Fraktion einer Aktie – dann aber von ganz vielen verschiedenen Unternehmen. Und mit den Gratis-Daytrading-Konten könne er nun nicht nur an der Sharing Economy teilhaben, sondern auch ein Vermögen verdienen. Waldmeyer war nun auch klar, warum sich mit solchen Tendenzen der von ihm seit drei Monaten prognostizierte Börsencrash noch etwas verzögern wird, jedoch mit Bestimmtheit näher rückt.
Aber Philipp Kohler gab ihm noch einen anderen nützlichen Hinweis: Er meinte nämlich, dass die Leute aus dem Balkan die Sharing Economy schon seit langem kennen. Diese investieren oft zusammen in ein Fahrzeug, oft einen 5-er BMW (nur Limousine, nicht Kombi, entweder schwarz oder dunkelblau). Man erkennt diese Fahrzeuge mit den verdunkelten Scheiben am durchhängenden Fahrwerk, da die vier stolzen Besitzer, oft etwas korpulent, gemeinsam ausfahren. Die Sharing Economy wird so immerhin überleben, dachte sich Waldmeyer. Auch in der digitalen Form: Die jüngere Generation teilt zumindest gerne ihre persönlichen Daten. Aber eigentlich geht es ja um Economy – und nicht um Sharing.
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Who is Max Waldmeyer ?
Max Waldmeyer existiert nicht. Trotzdem: Seine kritischen, sarkastischen und zum Teil absurden Gedanken und Kommentare sind interessant. Waldmeyer ist Mitte 50 und lebt gut bis sehr gut situiert im Einzugsgebiet von Zürich - genau genommen in Meisterschwanden am Hallwilersee (Gartenstrasse 4). Als Unternehmer fühlt er sich mikroökonomisch gestählt; seit einiger Zeit jedoch hat er sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und geniesst so mehr Freiheit in Gedanken und Zeit. Er beobachtet die ganze Welt – nicht zuletzt, weil er auf der Suche nach einem optimalen Second Home ist, einem zweiten Lebensmittelpunkt (2.LMP, wie er es nennt). Seine Frau Charlotte ist selbständige Interior Designerin und die einzige Person, die ihn ab und zu zu bremsen weiss. Die zwei Kinder, Noa und Lara, sind schon partiell aus dem Haus. Sie sind noch in der Ausbildung.Waldmeyer trägt eine IWC (früher eine Rolex) und fährt einen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch).
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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