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Spitalstandorte an der Urne?

«Warum soll das Volk das nicht beurteilen können?»

Die St.Gallerinnen und St.Galler sollen das Spital Wattwil in einer Abstimmung als vollwertiges Spital erhalten können. Die entsprechende Initiative wird derzeit vorbereitet. Ist das der richtige Weg in der Spitalpolitik? Der Sprecher des Initiativkomitees Uwe Hauswirth im Interview.

Stefan Millius am 11. September 2020

Die sogenannte Grundversorgungsinitiative kommt aus dem Toggenburg, unter die Unterstützer reihen sich aber auch Leute aus anderen Regionen. Sie will Wattwil als vollwertigen Spitalstandort im Gesetz fixieren; wir haben berichtet. Im Gespräch mit Uew Hauswirth, Sprecher des Initiativkomitees, Dermataloge in Wattwil und Präsident des Toggenburger Ärztevereins.

Uwe Hauswirth, es ist klar, dass Sie und die anderen Komiteemitglieder das Spital Wattwil retten wollen. Aber Hand aufs Herz, macht es ganz grundsätzlich Sinn, die Bevölkerung die Spitalstandorte festlegen zu lassen? Ist das nicht Expertensache? Wie soll das Volk beurteilen können, was besser ist?

Gegenfrage: Warum soll dies das Volk nicht beurteilen können? Und: Welche Expertenmeinung soll dann die richtige sein? Dem, was man jetzt will, liegt eine völlig eingeschränkte Rechenschieber-Betrachtung aus Unternehmensentwickler-Sicht zugrunde. Die Frage der Versorgungssicherheit im Toggenburg wird systematisch ausgeblendet – und in dieser Frage haben wir hier im Toggenburg sicher die beste Expertise. Seit zwei Jahren weisen wir seitens Toggenburger Ärzteverein, seitens Region und Standortgemeinde unermüdlich darauf hin, dass die Situation im Toggenburg eine ganz spezielle ist.

Konkret?

Einerseits geografisch und togografisch: Das Toggenburg hat keine schnelle Hauptverkehrsverbindung zu einem Spital ausserhalb der Region und ist sehr weitläufig. Ohne Spital Wattwil wäre die Region mehrheitlich von der Spitalversorgung abgehängt. Anderseits – und das wäre das Fatale an einer Spitalschliessung – kämpfen wir jetzt schon viel stärker und ausgeprägter mit dem Hausarztmangel als in allen anderen Regionen des Kantons. Schon heute können unsere 28 Hausärzte, die noch nicht 65 Jahre alt sind, die medizinische Grund- und Notfallversorgung nur dank enger Zusammenarbeit mit dem Spital Wattwil gewährleisten. In Kürze werden es ohne Nachwuchs nur noch 10 Hausärzte mit 850 Stellenprozenten unter 65 Jahren sein. Das wären dann in unserem Einzugsgebiet noch ein Arzt auf 4320 - ständige! - Einwohnerinnen und Einwohner. Um diese Zahl mit den entsprechenden Zahlen in den anderen Regionen zu vergleichen und zu merken, dass das nicht funktioniert, muss man nicht Experte sein. Und übrigens: Gemäss Expertenbericht der KPMG für die Regierung würden wir im Toggenburg über 50 Hausärzte brauchen.

Sprechen diese Zahlen aber bereits für eine Abstimmung an der Urne?

Für viele andere Versorgungseinrichtungen wird ebenfalls das Volk befragt. Für das Spital Wattwil hat das Volk 2014 einen Kredit gesprochen und es wurden bereits 60 Millionen Franken verbaut, jetzt soll es geschlossen werden. Wo liegt denn da die Verlässlichkeit staatlichen Handelns?

Die Vorgabe auf Gesetzesebene erschwert ja vermutlich die bereits laufende Spitalplanung. Ist es sinnvoll, die Spielregeln zu einem vorgerückten Zeitpunkt so massiv zu verändern? Die Spitallage ist ernst, so würden alle Bestrebungen für eine Lösung voraussichtlich wieder länger gehen.

Analyse und Lage wird von uns nicht bestritten, aber der Lösungsweg. Deshalb haben wir zu keinem Zeitpunkt den Status quo vertreten. In den letzten zwei Jahren wurden wir mit unseren Argumenten und konstruktiven alternativen Lösungsvorschlägen nicht gehört, stattdessen wurde vom Verwaltungsrat der Spitalverbunde die Spitalstrategie weiter voran getrieben, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Regierung sah diesem Treiben tatenlos zu. Die Spielregeln waren also von Anfang an einseitig vorgegeben und wurden laufend einseitig geändert: Jeder Lösungsvorschlag, den wir einbrachten – von der «Integrierten Gesundheitsversorgung» bis zu konkreten Partnern –, hatte eine sofortige Änderung der «Spielregeln» zur Folge und wurde schnöde ohne ernsthafte Prüfung vom Tisch gewischt. Insofern ist jetzt die letzte Gelegenheit die Notbremse zu ziehen. Und übrigens ist das Thema Gesundheitsversorgung kein Spiel.

Uwe Hauswirth

Uwe Hauswirth.

Es gibt auch Unterstützer aus anderen Regionen, aber der Support wird im Toggenburg der grösste sein. Nehmen wir an, es kommt zur Volksabstimmung: Wie wollen Sie andere Regionen davon überzeugen, sich fürs Toggenburg stark zu machen mit einem Ja?

Das Toggenburg ist und war aufgrund seiner geographischen Lage schon immer eine medizinisch unterversorgte Region, weshalb es auch zum Bau des Spitals kam. Die Erreichbarkeit von anderen Spitälern ist aus weiten Teilen unserer Region nicht gegeben, wir haben keine schnellen Verkehrsachsen. Die Situation für uns würde sich noch massiv verschlechtern, weil weitere Standorte schon offen in Frage gestellt werden. Wie gesagt: Die zwingende Notwendigkeit des Vorhandensein eines solchen Ankerspitals hat nach wie vor Gültigkeit für die Region. Darum schlägt auch die PwC in der Studie «Spitallandschaft 2030» vor, in Wattwil ein Spital zu belassen.

Wil ginge als Verliererin hervor, wenn die Initiative durchkommt. So wirkt alles ein bisschen nach einem Wettstreit zwischen Wil und Wattwil. Wäre keine Lösung möglich gewesen, das Spital Wattwil zu erhalten und Wil nicht zu degradieren? Die nicht gerade kleine Region Wil wird geballt dagegen sein.

Aber Wattwil darf verlieren, obwohl man gerade 60 Millionen Franken investiert hat? Es gibt hier leider einen Fehler im Denkansatz. Man kann nicht isoliert ein Spital aus einer ganzen Spitalregion bei der Planung der Gesundheitsversorgung in Betracht ziehen, sondern muss den Blick aufs Ganze habe. Hier hilft wieder der Blick auf die medizinischen Versorgungsachsen in der Ostschweiz, wodurch klar wird, dass mit Winterthur, Frauenfeld und St. Gallen für die Region Wil eine mehr als ausreichende Spitalversorgung gewährleistet ist. Spitalversorgung ist aber nicht Gesundheitsversorgung, und die wird bei uns kollabieren, weil der Ankerbetrieb zerschlagen wird. Der zweite Punkt sind die Finanzen. Die Spitalregion 4 ist absolut pleite. Das 50 Jahre alte Spital Wil kann rein baulich schon nicht mehr weiter betrieben werden. Insofern wäre es nur logisch, diesen Standort zugunsten Wattwils mit der neusten und besten Infrastruktur im Kanton aufzugeben. Zumal das Spital Wil aufgrund des Gesagten sowieso geschlossen werden wird.

In Wil wird man das alles wohl ein bisschen anders sehen.

Man macht Wil hier doch ein X für ein U vor: Aus reiner Unternehmensentwicklungs-Perspektive braucht man den «Vorposten» Wil genau noch so lange, um Patienten aus dem Thurgau «abzusaugen», bis die laufenden Investitionen am Kantonsspital St.Gallen abgeschlossen sind. Danach wird Wil auch aus dieser Perspektive unnötig. Aber nochmals: Selbst wenn, wie in der Spitalvorlage festgehalten, in Wil nochmals zusätzlich 170 Mio. Franken investiert würden, wäre es völlig unsinnig, dafür die bereits in Wattwil investierten 60 Mio. Franken zu vernichten.

Sind Sie wirklich optimistisch und glauben, dass gesamtkantonal ein Ja für die Grundversorgungsinitiative resultieren könnte?

Ja, weil die Initiative eine sinnvolle und auch mehrheitsfähige Spitalplanung vorsieht. Der Souverän wird eine andere Gewichtung der Argumente vornehmen als dies aktuell der Fall ist.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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