Willkommen in der abgehörten Welt: Wenn man sich nicht mal auf «Security, Swiss made» verlassen kann, worauf dann? Richtig, auf nichts.
Über Jahrzehnte war die Crypto AG ein leuchtendes Beispiel für Schweizer Ingenieurskunst. Die Grundidee hatte zwar ein Schwede mitgebracht, aber seit den 50er-Jahren werkelten Schweizer an Chiffriergeräten.
Das waren eine Art voluminöse Schreibmaschine, bei der durch ein ausgeklügeltes Räderwerk verständliche Worte in einen Buchstabensalat verwandelt wurden. Und ein Funkgerät, das genau das Gleiche mit Konversationen machte.
Rund 120 Staaten auf der Welt benützten diese Verschlüsselungstechnologie. Im Vertrauen auf die neutrale, seriöse, senkrechte Schweiz. Wenn die Kryptografie anbietet, dann ist das bombensicher. So wie der Gotthardbunker oder das Bankgeheimnis.
Immer wieder gab es bösartige Gerüchte, dass diese Crypto AG in Steinhausen so unschuldig und seriös doch nicht sei. Vor allem, als einer ihrer Starverkäufer in Teheran verhaftet und fast zehn Monate lang im Knast verschärften Verhören unterworfen wurde. Die Iraner hatten herausgefunden, dass die angeblich nicht zu knackende Verschlüsselung mit einem geheimen Algorithmus ein Hintertürchen eingebaut hatte.
Durch das die CIA, die NSA und der deutsche BND ungehindert Zugriff auf die angeblich sicher verschlüsselten Mitteilungen hatten. Kein Wunder, CIA und BND waren schliesslich die Eigentümer der Crypto AG.
2018 verkaufte dann die CIA ihre Firma, der internationale Teil ging an einen schwedischen Unternehmer, der Schweizer Markt wurde in einem Management-Buyout übernommen. Beide Nachfolgefirmen bekräftigen, dass sie nichts vom wahren Vorbesitzer gewusst hätten, selbst überhaupt nichts mit Geheimdiensten am Hut.
Ein Spionagethriller wie aus der Feder von John Le Carré. Nur wahr. Sollten die unlängst publizierten Recherchen der Wahrheit entsprechen, handelt es sich zweifellos um den grösste Spionagecoup seit dem Zweiten Weltkrieg. Zwei Geheimdienste verdienten sich dumm und krumm, indem sie angeblich sichere Verschlüsselungstechnologie an viele Staaten, darunter Italien, Chile, Argentinien, Iran, Irak, Saudi-Arabien oder Libyen verkauften. Mit dem Beifang, dass sie dadurch unbezahlbare Geheiminformationen abgreifen konnten.
Interessant ist die Frage, wer von diesem tolldreisten Coup in der Schweiz wusste. Der Schweizer Nachrichtendienst? Hohe Beamte? Der Bundesrat? Zurzeit hagelt es Dementis. Aber ist wirklich glaubhaft, dass staatliche Stellen über Jahrzehnte nichts über die Verwicklungen der Crypto AG mit Geheimdiensten wussten?
Da soll noch einer sagen, die Schweiz sei langweilig; Zürich zwar doppelt so gross wie der Wiener Zentralfriedhof, aber nur halb so lustig. St. Gallen erlebte das Drama um den gefallenen Raiffeisen-Star Pierin Vincenz. Zürich die Beschattungsaffäre, die den CEO der Credit Suisse seinen Posten kostete. Basel den Vasella-Skandal, der der Abzocker-Initiative zum Sieg verhalf. Also da ist ganz schön was los in der Eidgenossenschaft.
Und dann kommt ja noch der neue Handystandard 5G. Da ist die chinesische Firma Huawei technologisch führend. Die bestreitet, in irgendeiner Form Daten an den chinesischen Staat weiterzugeben. So wie CIA und NSA bestritten, befreundete Länder und Regierungen abzuhören. Bis der Whistleblower Snowden das Gegenteil bewies. So wie Crypto immer abstritt, mit Geheimdiensten verbandelt zu sein.
Was ist denn da noch sicher vor unbefugten Zugriffen? Die kurze Antwort: nichts. E-Mail, Skype, WhatsApp, aber auch verschlüsselte Kommunikationswege wie Threema oder PGP: nichts ist vor unbefugten Lauschern sicher. Nichts? Nun, vielleicht noch das vertrauliche Gespräch im Park. Aber bitte mit der Hand vor dem Mund; Richtmikrophone sind unglaublich effizient. Und wer weiss, ob der Gesprächspartner nicht ein winziges Videoauge in seiner Uhr oder einem Knopf verborgen hat.
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