Nachdem am vergangenen Samstag keine Bewilligung für einen Protestmarsch in Rapperswil-Jona erteilt worden war, wollte der Verein «Stiller Protest» nun am gleichen Ort eine «stationäre Kundgebung» durchführen. Auch das wird nicht erlaubt. Die Stadt begründet das mit einem «Vertrauensbruch».
Man muss ein bisschen ausholen für die ganze Geschichte. Nur dann wird deutlich, was hinter den Kulissen geschieht. Und wie ein Stadtrat versucht, sich Ärger vom Hals zu halten, indem er die Tatsachen zu seinen Gunsten interpretiert und sich hinter einer Gefahr versteckt, die es bisher nur in der Theorie gab.
Zunächst die Fakten. Der Verein «Stiller Protest», der schweizweit Anlässe gegen die Coronamassnahmen organisiert, wollte am 24. April in Rapperswil-Jona eine Kundgebung durchführen. Wie hinlänglich bekannt, gab es dafür keine Bewilligung. Und wie ebenfalls bekannt, trafen sich danach dennoch tausende von Menschen in der Stadt am Zürichsee. Friedlich und ohne Zwischenfälle, auch dank der Zurückhaltung der Kantonspolizei St.Gallen.
Doch entscheidender ist die Frage: Hat das, was am Samstag dann eben doch geschah, etwas mit dem «Stillen Protest» zu tun? Das jedenfalls behauptet der Stadtrat von Rapperswil-Jona. Er erteilt dem Verein keine Bewilligung auf ein erneutes Gesuch hin, bei dem es um eine «stationäre Kundgebung» statt eines Protestmarschs durch die Stadt gegangen wäre. Und zwar mit Verweis auf den letzten Samstag.
Die Begründung: Bei Gesprächen zwischen der Stadt und dem Verein habe dieser versichert, er werde eine klare Absage der Kundgebung vom 24. April kommunizieren, habe das aber nicht getan. Der Stadtrat sei enttäuscht, dass die Abmachung nicht eingehalten worden sei, und er zweifle «aufgrund dieses Vertrauensbruchs daran, dass die vereinbarten Massnahmen zur Einhaltung der Schutzkonzepte vom Verein ernst genommen und umgesetzt werden.»
Die alles entscheidende Frage ist also: Wurde die Abmachung wirklich nicht eingehalten? Wie sah sie eigentlich genau aus? Das zu definieren, wäre vermutlich Juristenfutter.
Sicher ist: «Stiller Protest» hat am 21. April in einer Mitteilung an die Medien darüber informiert, dass der Anlass vom 24. April nicht bewilligt worden sei. Der Verein drückte Unverständnis und Bedauern darüber aus und liess durchblicken, man hoffe, der Stadtrat komme noch einmal auf seinen Entscheid zurück. Der letzte Absatz der Mitteilung lautet wie folgt:
Entgegen den gängigen, vom Bund subventionierten Medien, strebt der Verein Stiller Protest einen friedlichen und konstruktiven Dialog an und appelliert am Samstag 24. April 2021 an die Vernunft und die Eigenverantwortung jedes Menschen.
Damit habe man das getan, was in der Aussprache mit dem Stadtrat vereinbart worden sei, sagen die Leute von «Stiller Protest». Man habe sich bereit erklärt, «die Absage des ursprünglichen Veranstaltungsdatums vom 24. April 2021 auf allen Kanälen zu kommunizieren und alle Beteiligten zu Vernunft und Eigenverantwortung aufzurufen.»
Diverse Medien hatten, nachdem in Rapperswil-Jona doch rund 4000 Leute aufgetaucht waren, die Meldung verbreitet, «Stiller Protest» habe trotz dem Fehlen einer Bewilligung die Kundgebung nicht abgesagt und zum Erscheinen aufgerufen. Das sei nicht der Fall, so der Verein, vielmehr hätten sich « trotz der Pressemitteilung des Vereins zahlreiche Menschen aller Altersgruppen aus freien Stücken entschieden, trotzdem – oder jetzt erst recht – nach Rapperswil zu begeben.» Darauf habe der Verein «keinen Einfluss» gehabt.
Der Stadtrat stellt sich aber auf den Standpunkt, die Medienmitteilung sei «unklar» gewesen und könne nicht als Absage gewertet werden. Dabei wird ausgeblendet, dass der Verein schlecht die Leute aktiv aufrufen konnte, nicht dennoch auf eigene Faust nach Rapperswil-Jona zu reisen. Denn politische Kundgebungen sind trotz Versammlungsverbot bekanntlich erlaubt, es wäre seltsam gewesen, wenn Massnahmenkritiker offensiv dafür geworben hätten, der Stadt fernzubleiben.
Ob unklar oder nicht: Der Hinweis auf die fehlende Bewilligung und die Eigenverantwortung der Menschen war wohl das einzige, was «Stiller Protest» überhaupt tun konnte. Vor allem: Kann man eine Veranstaltung «absagen», die gar nicht bewilligt wurde? Reicht es in diesem Fall nicht, einfach zu sagen, dass keine Bewilligung vorliegt? Wie hätte der Wortlaut genau aussehen müssen? «Stiller Protest sagt nicht bewilligte Kundgebung ab» wäre eine reichlich seltsame Formulierung gewesen. Und warum wurde der gewünschte Wortlaut beim einvernehmlichen Gespräch zwischen Stadtrat und Verein nicht einfach klar definiert?
Die Unklarheit in der Kommunikation ist jetzt jedenfalls die offizielle Begründung für ein erneutes Verbot einer anderen Kundgebung. Und könnte damit zu einer Wiederholung der ganzen Geschichte führen. Denn dass sich die Menschen von einer fehlenden Bewilligung nicht abhalten lassen, dürfte inzwischen klar sein.
Auch der Stadtrat von Rapperswil-Jona räumt ein, dass die unbewilligte Kundgebung friedlich verlaufen sei. Gleichzeitig sei man aber «besorgt darüber, dass sich die Teilnehmenden nicht an die Corona-Massnahmen gehalten haben.» Das ist derzeit das Königsargument für das Verweigern einer Bewilligung: Man könne die Einhaltung der Massnahmen nicht durchsetzen. Tatsache ist aber, dass nach keiner der bisherigen Kundgebungen eine Verbreitung des Virus gemeldet worden wäre. Es scheint problemlos möglich zu sein, zu tausenden ohne Maske und auf relativ engem Raum zu protestieren, ohne dass daraus Fälle entstehen.
Die Frage ist auch: Wie würde die Stadt reagieren, wenn ein anderer Organisator eine stationäre Kundgebung beantragen würde – einer ohne Vorgeschichte mit dem Stadtrat? Konsequenterweise müsste der Anlass dann bewilligt werden. Vermutlich würde dann aber die Begründung der Ablehnung lauten, man glaube, es steckten letztlich dieselben Leute unter anderem Namen hinter dem Gesuch.
Rapperswil-Jona, so viel steht fest, mag keine Ballung von Massnahmenkritikern innerhalb seiner Stadtgrenzen. Kommen tun sie dennoch. Und das zumindest letzten Samstag ohne negative Folgen. Was würde wohl geschehen, wenn eine Stadtregierung für einmal über ihren Schatten springt und das Ganze geordnet zulässt? Nach den Fällen in Altdorf, Schaffhausen und Rapperswil-Jona?
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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