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Grosse Nachfrage nach Treffen

Wenn das Sammeln krankhaft wird: Selbsthilfegruppe für Messies in St.Gallen ist zurück

Verluste, Missbrauch oder auch ein Trauma – all das kann dazu führen, dass Menschen sich nicht mehr von Sachen, Gegenständen und auch Sammelgut trennen können. Messies finden nun in St.Gallen Unterstützung.

Manuela Bruhin am 08. Dezember 2023

Leere Dosen liegen neben Altpapier, benutzten Taschentüchern, unbezahlten Rechnungen und schmutzigem Geschirr. Ein Durchkommen ist nicht mehr möglich. Die Betroffenen können in ihrer eigenen Wohnung kaum mehr leben, geschweige denn, Besuch empfangen. Menschen, die am Messie-Syndrom leiden, können nichts mehr wegwerfen oder sich von scheinbar Nutzlosem trennen. Das geht so weit, bis die eigenen vier Wände einer Müllhalde gleicht. Die Scham ist gross, nicht selten hat das direkte Umfeld keine Ahnung, unter welchen Problemen die Betroffenen leiden.

Johannes von Arx

Johannes von Arx

Ein Trauma, ein Verlust eines engen Familienangehören oder von Freunden, Misshandlungen und Übergriffe – solche Schicksalsschläge können dazu führen, dass die Krankheit ausgelöst wird. «Für Betroffene direkt fühlbar ist das stark angeschlagene Selbstvertrauen und – damit zusammenhängend – die fehlende Selbstsicherheit. Oder anders gesagt: Sie haben kein Vertrauen in die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten, das Leben befriedigend zu gestalten, und die in jedem Leben existenziell wichtigen Beziehungen zu finden und aufzubauen», sagt Johannes von Arx, Vorstandsmitglied bei LessMess. «Sich in solch schwierigen Startbedingungen und Entwicklungsdefiziten zu erkennen, ist der erste Schritt dahin, Hilfe bei Fachpersonen zu suchen – oder eben in einer Selbsthilfegruppe.»

Nachfrage nach psychischen Themen stark gestiegen

Damit dies nun möglich ist, wird eine solche nun in St.Gallen neu aufgebaut. Bereits gibt es schweizweit rund 200 Selbsthilfegruppen zu unterschiedlichen Themen. In den vergangenen Jahren sei die Nachfrage zu psychischen Themen enorm gestiegen, sagt Pamela Städler, Stellenleiterin der Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell. «Seit Anfang Jahr haben drei offene Treffen für Messies und deren Angehörigen stattgefunden. Sie wurden stetig besser besucht. Rasch wurde der Wunsch geäussert, die früher existierende, jedoch später eingeschlafene Selbsthilfegrupp neu zu gründen.»

Pamela Städler

Pamela Städler

Messies leiden fast immer auch unter chronischen Depressionen – und der Scham darüber, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Zentral für die Teilnahme in einer Selbsthilfegruppe sei deshalb das Problembewusstsein und der Veränderungswunsch der jeweiligen Person. «Zu erfahren, wie andere Betroffene ihren Alltag gestalten und von deren Erfahrungen zu lernen, motiviert, in einer Selbsthilfegruppe mitzuwirken», so Pamela Städler.

Grosses Gebiet

Zwar werde, je nach Thematik, auch eine gewisse Anonymität geschätzt. In manchen Fällen sei aber ein Einzugsgebiet auf dem Land schlichtweg zu klein, um eine Gruppe bilden zu können. St. Gallen habe aufgrund der geographischen Lage im Einzugsgebiet eine Zentrumswirkung, sind die Verantwortlichen überzeugt.

Die Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell ist im Aufbauprozess begleitend mit dabei. «Wir unterstützen die Selbsthilfegruppen im Aufbau mit der Strukturierung der Gruppe und deren Treffen», sagt Pamela Städler. Zusammen werden Gruppenziele erarbeitet. Die Teilnehmenden entscheiden in diesem Prozess selbst, wie oft sie sich treffen möchten, wann und wo die Treffen stattfinden. Alle Teilnehmenden seien mitverantwortlich für das Gelingen der Treffen. «Wir empfehlen, die Gespräche strukturiert ablaufen zu lassen mit einer Anfangs-, Diskussions- und einer Abschlussrunde. Ideal ist es, wenn die Gesprächsleitung unter den Betroffenen rotiert», so Pamela Städler weiter. Oberstes Gebot sei immer die Schweigepflicht.

Merkmale häufen sich

So merken Betroffene, ob sie sich einfach nicht gut von Sachen trennen können – oder ob das Problem bereits krankhafte Züge angenommen hat:

  • Wenn immerfort Dinge (drei- und vielfach) angeschafft werden

  • diese ungeordnet in der Wohnung deponiert werden

  • immer mehr Bereiche schwer zugänglich sind

  • Mahnungen im Briefkasten landen

  • Freunde einladen unmöglich wird

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Häufen sich die Anzeichen, sollten sich Betroffene Hilfe holen.

Eher keine Messie-Sorgen müssen sich folgende Menschen machen:

  • Wer sich wenigstens von Zeit zu Zeit einen «Ruck» geben kann (oder sich geben lässt) und dann «zügig dahinter» geht, Zeitungen, Verpackungsmaterial, Überflüssiges grosszügig und sachgerecht entsorgt

  • Wer liegengebliebenes Administratives konzentriert aufarbeitet und somit eine übersichtliche Ordnung wiederherstellt

  • Wer sich in seiner Wohnung (wieder) wohl fühlt

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Hinweis: Das nächste Treffen findet am Freitag, 8. Dezember 2023, von 14.00 bis 15.30 Uhr statt. Anmeldung bei der Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell, Telefon 071 222 22 63. Hier finden Interessierte weitere Infos.

(Bilder: pd)

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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