Bernhard Müller, Präsident der Baugenossenschaft Mehrgenerationenprojekte Ostschweiz
Mehrgenerationenprojekte haben es hierzulande nicht einfach. Während der Wunsch nach Gemeinschaft wächst, ist es auf der anderen Seite schwierig, überhaupt an geeignete Objekte heranzukommen. Auch die Immobilienpreise erschweren das Ganze.
Nicht alleine alt werden. Nachbarschaftshilfe. Oder einfach das Wissen, dass jemand da ist. Ein offenes Ohr hat. Oder mal kurz die Kinder beaufsichtigen kann. Die Gründe für Mehrgenerationenwohnen sind vielfältig. Während experimentierfreudige und offene Menschen jeglichen Alters die Gemeinschaft suchen, ist die Wohnform für Egozentriker wohl eher ungeeignet. Dass sich die Nachfrage verstärkt hat, bestätigt Bernhard Müller, Präsident der Baugenossenschaft Mehrgenerationenprojekte Ostschweiz. «Immobilienvermarkter haben für sich entdeckt, dass in der Gesellschaft der Wunsch nach Gemeinschaft wichtiger geworden ist und sich Zwei- bis Dreifamilienhäuser mit dem Anker Mehrgenerationenwohnen in den Ausschreibungen besser oder vielleicht sogar teurer verkaufen lassen.»
Beliebt, aber schwierig
In der Ostschweiz befindet sich ein Mehrgenerationenhaus beispielsweise in Trogen oder Notkersegg. Egal, um welches Projekt es sich aber handelt, eines haben sie stets gemeinsam: Sie brauchen einen langen Atem. «Über zwei Jahre mussten wir mit viel Geduld und Beharrlichkeit daran arbeiten», heisst es im Bericht beim Projekt Notkersegg. Ein bestehendes Zweifamilienhaus wurde in ein Fünffamilienhaus umgebaut – nun bewohnen es Menschen aller Generationen, vom Schulkind bis zu älteren Personen. Für Müller erstaunt es nicht weiter, dass die Wohnform an Beliebtheit gewinnt. Denn: «Eigentlich wollen wenige Menschen für sich alleine sein. Immer mehr Menschen sind oder werden wieder Single ohne Kinder.» Dabei würden sie häufig weit weg von Geschwistern, Eltern oder anderen Verwandten leben. Der Austausch mit den Arbeitskollegen sei aber nur teilweise ein Ersatz. «Es fehlt etwas: Heimat, familiäres», sagt Müller. Und genau das könne die Wohngemeinschaft bieten.
Nähe erzeugt Reibung
Doch auch hier funktioniert nicht alles wie im Bilderbuch. Wo Menschen zusammenkommen, gibt es Reibungspunkte – so auch bei einem Mehrgenerationenprojekt. Je besser sich die Protagonisten vor dem Einzug kennenlernen, desto geringer falle auch das Risiko aus, so Müller. «Im Grundsatz sind in Wohngemeinschaften aber dieselben Probleme zu finden wie in Ehegemeinschaften. Auch Wohngemeinschaften träumen vom Ideal und müssen sich mit der erlebten Realität zurechtfinden – und für das Ideal arbeiten.» Das «Türezumachen» und sich für einige Zeit abzugrenzen, sei jedoch einfacher. «Ob das aber der Gemeinschaft förderlich ist, zeigt nur der Einzelfall.»
Trend unterstützen
Die Nachfrage bleibt vorhanden, die Hindernisse bis zur Umsetzung aber auch. Müller: «Mehrgenerationenprojekte, welche die gemeinschaftlichen Räume und Lebensinhalte teilen wollen, haben es zunehmend schwer, geeignete Objekte für einen Umbau oder Land für einen Neubau zu finden.» Nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land seien die Immobilienpreise inzwischen derart hoch, dass sich ausser Luxuswohnen kaum noch etwas rechne. «Gemeinschaftlich genutzte Räume vergrössern den Raumbedarf zum selbstgenutzten Raum, entsprechend steigen die Kosten für die einzelne Teilhaberschaft.»
Zunehmend versuchen Bauträger, insbesondere Genossenschaften, Neubauprojekte als mehrgenerationenfähige Projekte zu planen. Müller: «Die Stadt St.Gallen versucht, diesen Trend zu unterstützen, indem sie ihre Ausschreibungen entsprechend formuliert.» Doch auch dies fruchte oftmals eben nur in bis heute wenigen Fällen.
Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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