Wir trauen unseren Kindern und Jugendlichen wenig zu. Sie dürfen nicht wählen und nicht hinters Steuerrad. Geht es um die Impfung, macht man sie aber eigenverantwortlich und lockt sie mit Dingen, die für sie selbstverständlich sein müssten. Wohin führt diese Reise?
«Ausgang. Ausgang. Ausgang.» Das sind die drei «Argumente», die der Kanton Graubünden auf Plakaten für eine umgehende Impfung ins Feld führt.
Das ist Marketing in Reinkultur: Hol die Leute bei ihren Bedürfnissen ab. Jugendliche wollen in den Ausgang. Dafür tun sie einiges. Sie holen sich auch einen Nadelstich ab, wenn es sein muss. Die möglichen Konsequenzen sind für sie kein Thema. Das ist begreiflich. Es liegt nicht in ihrer Verantwortung. Diejenigen, die verantwortlich sind, tun alles, um ihnen den Schritt zu versüssen. Pro forma druckt man noch ein paar Flyer, auf denen versichert wird, wie risikofrei die Sache ist, man kann sich also «informieren», bevor man es tut. Aber tun sollte man es sowieso, völlig egal, was man nach der Information denkt, denn eben: «Ausgang. Ausgang. Ausgang.»
Zwölfjährige gehen kaum in den Ausgang, aber sie schauen zu den Älteren empor. Sie wollen so sein wie sie. Sie wollen dazu gehören. Wenn das Partyvolk die Impfung nimmt, gibt das das Schritttempo auch für Jüngere vor. Irgendwie und irgendwann wird das Ganze sogar «cool».
Das alles ist ganz im Sinn der Dirigenten der Impfkampagne. Es hilft, die Quote nach oben zu treiben. Und die Quote ist angeblich die Lösung auf dem Weg zurück zur Normalität. Was immer das sein soll.
Wann genau sind wir auf diesen Weg eingebogen? Kinder und Jugendliche, die wir generell als «Unmündige» wahrnehmen, in einer solchen Frage selbst Verantwortung tragen zu lassen? Mehr noch, ihnen den Entscheid in eine bestimmte Richtung zu versüssen? Sie zu locken wie der Rattenfänger von Hameln oder die Hexe aus Hänsel und Gretel? Eine der Geschichten ging schlecht aus, bei der anderen setzten die Gebrüder Grimm auf ein Happy End.
Es ist derzeit viel von «Solidarität» die Rede, unter die Räder kommen dafür andere Werte. Die Moral beispielsweise und die Ethik. Wobei ja sogar die Ethiker, jedenfalls diejenigen, die in den Medien zu Wort kommen, im Brustton der Überzeugung sagen, es sei völlig in Ordnung, den Impfstatus zum Gesellschaftsstatus zu machen, ihn zur Wand zu machen, die die einen von den anderen trennt.
Es ist erstaunlich, wie Dinge gedreht werden können, wenn es um ein bestimmtes Ziel geht. Wenn es ethisch vertretbar sein soll, Kinder und Jugendliche mit Versprechungen – oder umgekehrt mit der Drohung, etwas nicht mehr machen zu können – zu einer Impfung zu bewegen, muss man sich fragen, ob wir uns die Ethik noch leisten dürfen. Es wirkt schon fast unethisch, ethisch zu handeln.
Aber gut, in einer Zeit, in der man Leute mit Bratwürsten oder kostenlosen Cocktails zu «Impfpartys» lockt, sind sowieso schon alle Schranken gefallen. Es ist deshalb eigentlich nur konsequent, wenn man nun auch Kinder und Jugendliche ins Visier nimmt. Wir sind in einem «Alles geht»-Zeitalter angekommen. Was früher undenkbar war, ist heute richtig, und man darf es inzwischen nicht einmal mehr vorsichtig hinterfragen.
Eine Zeitung für Leser und mit Lesern. Werden Sie Mitglied in unserem Club. Oder unterstützen Sie unsere Arbeit auf andere Weise.
Früher galt es als zwei Paar Schuhe, Erwachsene oder Jugendliche zu einer Handlung zu animieren. Zigarettenhersteller beispielsweise müssen peinlich genau darauf achten, dass ihre Werbung auf niemanden animierend wirkt, der noch nicht rauchen sollte. Ob das klappt, ist zweifelhaft, aber die pure Forderung ist gesellschaftlich akzeptiert. Man nennt das Jugendschutz. Heute «schützt» man die Jugend, indem man sie zu einer Impfung verführt gegen ein Virus, das für sie in aller Regel völlig ungefährlich ist. Einfach, um ein künstlich definiertes Soll zu erfüllen.
Das müsste eigentlich sogar Leute stören, die den Impfstoff für unproblematisch halten. Aus Prinzip. Aber Prinzipien wurden irgendwann im Verlauf der letzten Monate abgeschafft. Sie mussten Mythen weichen. Dem Mythos der weltumspannenden Gefahr, die uns alle dahinrafft, dem Mythos des zusammenbrechenden Gesundheitssystems. Die Kinder spielen in diesem Mythos so gut wie keine Rolle, aber sie werden zu Protagonisten gemacht, weil es die Statistik besser aussehen lässt.
Es gibt keine Prinzipien mehr. Aber wenn Prinzipien verschwinden, regiert die Willkür.
Es ist nicht in Ordnung, Kinder und Jugendliche, welche die möglichen Auswirkungen nicht selbst abschätzen können, mit billigen Mitteln zu einem Eingriff in ihren Körper zu verführen. Das wäre auch nicht in Ordnung, wenn sich um einen seit Jahrzehnten erprobten Impfstoff handeln würde. Es ist nie in Ordnung, weil es eine klare Grenzverletzung darstellt.
Hat man beispielsweise je gehört, dass die HPV-Impfung gegen das Virus, das unter anderem Gebärmutterhalskrebs verursachen kann, mit «Goodies» an Teenager verknüpft wurde? Gibt es ein kostenloses Piercing für Mädchen, die sich dafür entscheiden? Nein. Man belässt es bei der Information über die gesundheitliche Gefahr und den Schutz, den die Impfung bietet. Man geht davon aus, dass das als Animation dient, und wer sie nicht als das wahrnimmt, wird in Ruhe gelassen. Es gibt kein Sexverbot für Ungeimpfte bei dem Virus, das in erster Linie durch sexuelle Kontakte übertragen wird. Natürlich nicht. Es gibt Grenzen in einer freiheitlichen Gesellschaft.
Jedenfalls hier. Beim Coronavirus natürlich nicht.
Nehmen wir an, auch wenn es nicht anzunehmen ist, das Virus werde irgendwann als ein zu akzeptierender Begleiter unseres Lebens wahrgenommen, die Massnahmen verschwinden und die Impfung wird – analog der Grippeimpfung – zu einer reinen Geschmacksache und einem individuellen, wirklich freien Entscheid. Wollen wir dann zurückschauen auf eine Zeit, in der wir Kinder und Jugendliche mit Zückerchen zum Nadelstich überredet oder mit dem Entzug von Zückerchen dazu genötigt haben? Wollen wir uns selbst ins Gesicht sehen bei diesem Gedanken?
Aber oft genug sind diese Zückerchen ja gar nicht nötig. Dort kommt der Anstoss von besorgten Eltern, die allen Zahlen und Fakten zum Trotz ihr Kind einer massiven Gefahr ausgesetzt sehen. Auch das ist rational schwer nachvollziehbar, aber immerhin sind es dort die Erziehungsverantwortlichen, die den Schritt einleiten und mit den Konsequenzen leben müssen. Und nicht der Staat, der mit dem süssen Klang einer Flöte vorangeht.
«Ausgang. Ausgang. Ausgang.» Ein solcher Slogan ist schnell kreiert und gedruckt. Wir denken aber viel zu selten an das, was danach kommt. Und es kommt immer ein Danach.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.