Was sind Experten? Das sind Wissenschafter, die Sachfragen aus ihrem Fachgebiet beantworten, damit Politiker eine fundierte Basis für ihre Entscheidungen haben. Nur: Das war einmal. Heute dominieren «engagierte Experten», die selber entscheiden wollen.
Nein, Namen muss man hier wohl keine mehr nennen. Die Experten, die sich auf dem Bildschirm und vor den Mikrophonen zur Pandemie produzieren, kennen wir inzwischen. Viele von ihnen gehören jener Covid-19-Taskforce an, welche den Bundesrat beraten soll. Das reicht ihnen aber nicht: «Die Politik müsste / sollte / muss in Zukunft mehr auf uns hören. Dies und jenes vorkehren oder unterlassen. Wir haben es (noch besser: ich habe es) den Politikern schon lange gesagt.» So tönt es fast täglich. Kluge Köpfe im Publikum haben sich wohl schon länger gefragt, wie das mit der Beratungsaufgabe zusammengeht. Die Antwort heisst: Es geht nicht.
Woher kommt aber diese Mutation vom Fachmann im Hintergrund, welcher dem Politiker bereitwillig das Podium überlässt, zum Aktivisten, der sich in den Vordergrund drängt? Wer sich mit der pauschalen Antwort, das sei halt der Zeitgeist (das ist es wohl auch), nicht zufriedengibt, der liest mit Gewinn die Gastkolumne des Historikers Caspar Hirschi in der letzten NZZ am Sonntag. Mit dem Titel «Warum auch Klimaexperten die Corona-Krise mitprägen».
Zuvor ein Wort zum an der St.Galler HSG lehrenden Professor Caspar Hirschi (Jahrgang 1975). Er gehört zu einer neuen Generation von Historikern, die sich von ihren Vorgängern durch einen weiteren Blick abhebt: Vorgängern, die ihre Forschungszeit vorwiegend in Gewerkschaftsarchiven oder auf der Suche nach den Sünden der Aktivdienstgeneration verbrachten – Dinge, die durchaus einmal erforscht werden mussten, aber zeitweilig einen allzu exklusiven Rang in Forschung und Lehre (auch an den Mittelschulen) einnahmen. Und dazu führten, dass sich niemand nach der Parteizugehörigkeit erkundigen musste, wenn es hiess, ein Historiker hätte einen anderen im Parteipräsidium abgelöst (wie in der St.Galler SP). Man stand eben links.
Professor Hirschi führt die Aufdringlichkeit der heutigen Pandemie-Experten auf die Klimabewegung zurück, deren Drehbücher bekanntlich Krisenszenarien und Agenden enthielten, die – nach dem unheilvollen Ausspruch der deutschen Kanzlerin – «alternativlos» waren und deshalb zu sofortigem Handeln zwangen. «Die Grenze zwischen Expertise und Aktivismus löst sich auf», schreibt Hirschi: «Expertenkommissionen werden zu Möchtegern-Expertokratien, denen die Politik ´folgen´ soll.» Man erinnert sich: «Follow the Science», heisst der Schlachtruf der Klimabewegten. «Die» Wissenschaft? Die gibt es nur in totalitären Systemen, siehe Nationalsozialismus oder Sowjetkommunismus.
Schon in der Klimapolitik zeigte sich bald, dass es nicht reicht, politisch «in Panik» zu verfallen, wie Greta Thunberg es wünschte. Es gibt Widersprüche, Zielkonflikte, die mit einem Sattelentscheid nicht gelöst werden können. Das gilt auch, und vielleicht noch ausgeprägter, für die Pandemie-Politik, wo Bedürfnisse und Dringlichkeiten der verschiedensten Arten gegeneinander abzuwägen sind. Wo Prognosen, so wissenschaftlich sie sich gebärdeten, oft übel daneben zielten. Und die Prognostiker dankbar sein mussten, dass die Politik nicht auf sie gehört hatte. Und dafür, dass das geneigte Publikum sie schon längst wieder vergessen hatte. Weil es bereits von der nächsten dramatischen «wissenschaftlichen» Prognose in Atem gehalten wurde.
Vielleicht gibt es irgendwo in unserem Land auch Experten, von denen wir gewöhnlichen Medienkonsumenten nichts wissen. Die ihre Aufgabe allein darin sehen, die Fragen der Politik nach bestem Fachwissen und Gewissen zu beantworten. Gibt es sie, so ziehe ich meinen Hut vor ihnen. Unbekannterweise.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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