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Benjamin Berghaus

Wenn Luxus zur Sünde wird

Ferrari. Rolex. Louis Vuitton. Was fasziniert uns so an Luxus? Benjamin Berghaus erforscht Luxus an der Uni SG und arbeitete als Marketingplaner bei namhaften Arbeitgebern wie Porsche. Im Interview erklärt er, was Luxus mit Sünde verbindet und welche Trends derzeit die Nase vorn haben.

Manuela Bruhin am 28. September 2020

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine ergänzende Information zu einem im Printmagazin «Die Ostschweiz» publizierten Artikel. Das Magazin kann hier im Jahresabo (6 Ausgaben) für 69 Franken bestellt werden.

Benjamin Berghaus, die heutige Zeit ist extrem schnelllebig. Gucci, Dior oder Tiffany – Welche Marke boomt derzeit besonders?

Direkt gefragt und direkt geantwortet: sicherlich Gucci mehr als die beiden anderen. Dior spielt in seiner eigenen Liga und ist noch am ehesten klassische Luxusmarke. Als Haute Couture Label mit den üblichen Lizenzen im Duft- und Brillenmarkt ist Dior Teil der französischen Markenaristokratie. Für meine Begriffe «dürfen solche Marken nicht boomen», da sie zu fragil sind, einen Boom mit ihrer Positionierung auszuhalten, ohne sich gravierend zu verändern. Boom bedeutet Turbulenzen – und besonders filigrane Marken vertragen solche Turbulenzen nur begrenzt. Tiffany & Co. hat sich im klassischen Luxusmarkenreigen als amerikanische Marke ohnehin immer etwas schwergetan.

Weshalb ist das so?

Das hängt damit zusammen, dass die Luxuspositionierung in vielen Fällen stark aus europäischen Wurzeln hervorgeht. Nicht, weil nur hier die besten Marken entstehen können, sondern, weil in vielen Regionen Europas die gesellschaftlichen und politischen Wurzeln der Aristokratie von der Industrialisierung und damit der Konsumgesellschaft unmittelbar abgelöst wurden. Während in Europa die Luxuspositionierung für viele Marken der Ausdruck einer gesellschaftlich geprägten Herkunft ist, ist in den USA die Luxuspositionierung häufiger eine Marketingentscheidung. Gucci gelingt es gegenwärtig sehr gut, jüngere Zielgruppen anzusprechen und durch die kontroverse Gestaltung und Kommunikation von Kollektionen in der Aufmerksamkeit zu bleiben. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Gucci nicht nur als Marke interessant bleibt, sondern auch organisational solide aufgestellt wirkt. Gucci findet also Resonanz und kann diese erfolgreich für das eigene Wachstum konvertieren.

Sie haben es bereits angesprochen. Manche Marken schaffen es über Jahrzehnte, oben zu bleiben. Andere wiederum verschwinden in der Versenkung. Wie schafft man es denn, konstant zu bleiben? Was entscheidet über Erfolg oder eben Misserfolg?

Über Erfolg und Misserfolg entscheidet zunächst, dass die Eigentümer der Marke und die Führungsmannschaft ein klares und übereinstimmendes Verständnis von ihrer eigenen Marke haben. Diese Übereinstimmung muss sich auch mit den Vorstellungen und Interesse der am besten geeignetsten Zielgruppe decken. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass das Führungsteam eine zutreffende Vorstellung von der zumutbaren Entwicklungsgeschwindigkeit der Marke hat. Diejenigen Luxusmarken, die ihren Titel tatsächlich verdienen, sind verhältnismässig fragile Konstrukte – sowohl in der Wahrnehmung der Kunden als auch im Verständnis aller Mitarbeiter. Gleichzeitig ist es auch im Luxusmarkt nicht möglich, sich kontinuierlich auf die eigene Unternehmensvergangenheit zu konzentrieren. Luxusmarken, die es verpassen, jüngere Zielgruppen anzusprechen, droht die Gefahr, nicht mehr als relevantes Angebot und wertvolles Statussymbol wahrgenommen zu werden. Diese Synchronisierung der Vorstellungen von Eigentümern, Führungsteam und Kunden ist – auch wenn es einfach klingt - die zentrale Herausforderung im Luxusmarkt. Selbst den besten Marken gelingt das nicht immer.

Sie haben einmal geschrieben, dass sich insbesondere kleinere Luxusmarken schwertun. Sie sollen versuchen, ihre Bekanntheit zu erhöhen und dafür sorgen, dass die Luxusmarke auch als Arbeitgebermarke wahrgenommen wird. Warum interessieren sich Menschen überhaupt für Luxusmarken als Arbeitgeber?

Aus ähnlichen Gründen, aus denen sie sich auch für den Konsum von Luxusgütern interessieren. Es handelt sich dabei um eine Mischung von sozialen und individuellen Motiven. Soziale Motive für die Arbeit bei Luxusmarken sind, dass Arbeitnehmer sich wünschen, dass ihre Arbeitsplätze ausdrucksstark für etwas Positives stehen, dass sie zu einer besonderen Gruppe von Menschen gehören (dürfen), und, dass sie sich von anderen absetzen können. Individuelle Motive für die Arbeit im Luxusmarkt sind, dass damit Freude und persönliche Erfüllung verbunden werden, und, dass der persönliche Qualitätsanspruch verfolgt werden kann. Menschen, die sich für prestigereiche Arbeitgeber interessieren, sind überdurchschnittlich ziel- und wettbewerbsorientiert und möchten erfolgreich sein. Gleichzeitig nutzen sie überdurchschnittlich stark soziale Inferenz, um ihre eigene Leistung einzuschätzen. Was naheliegend klingt, führt zu nicht durchweg positiven Ergebnissen.

Welche Nachteile meinen Sie?

Stark auf Prestige orientierte Arbeitnehmer können sowohl ihren Arbeitgebern als auch ihnen selbst Herausforderungen einbringen. Stark prestigeorientierte Arbeitnehmer können so deutlich über ein produktives Mass hinaus wettkampf- und durchsetzungsorientiert sein und damit nicht nur das Betriebsklima deutlich abkühlen lassen, sondern auch das Unternehmen durch risikoreichere Entscheidungen gefährden. Arbeitnehmer, die stark auf Arbeitgeberprestige setzen, verschieben hingegen ihre Kompensation häufig in die Zukunft: Ihre Arbeitgeber zahlen oft aufgrund der grossen Nachfrage an prestigereichen Arbeitsplätzen geringere Löhne. So, dass die Arbeitnehmer auf einen grossen Gehaltssprung beim nächsten Jobwechsel hoffen müssen. Für kleine Luxusmarken als Arbeitgebermarke wahrgenommen zu werden, reicht es in aller Regel, stärker auf die Unternehmenssubstanz als auf die Produkte zu setzen. Da Luxus in vielen Fällen mit besonderen Herstellungs- und Veredelungsmethoden zusammenhängt, sollte das vielen kleineren Unternehmen, die aufgrund einer tatsächlichen Differenzierung hier gerne berichten, nicht schwerfallen. Sollte es doch so sein, dann liegt es in der Regel nicht am «falschen Marketing», sondern an der zu geringen Differenzierung der Unternehmenssubstanz.

Manchmal erscheint es auch so, als ob Marken ein Selbstläufer sind. Nehmen wir als Beispiel Luxushandtaschen. Ob Kelly oder Birkin: Die Handtaschen von Hermès sind beliebt, und noch schwerer überhaupt zu kriegen. In Zeiten von «schnell, schneller, am schnellsten» eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, auf eine Tasche mehrere Jahre warten zu müssen. Und dennoch ist es so. Aber keiner beklagt sich darüber.

Das ist der Kern von Luxus: Wäre es zu leicht, die Taschen zu bekommen, würde sie keiner haben wollen. Luxus ist in aller Regel die Gestaltung eines Produktkonzeptes, das aufgrund seiner Anforderungen herstellungsbedingten Limitierungen unterworfen ist. Je ernsthafter und tatsächlicher diese Limitierung zwangsläufig ist, desto werthaltiger die Positionierung. Das führt uns auch zu einer kritischen Perspektive auf eben diese Produkte: Wie belastbar ist das Narrativ, dass man tatsächlich aufgrund des Anspruchs an das Produkt nicht mehr Taschen produzieren kann? Wer hier kritisch entscheidet, der findet, dass Hermés eine clevere Marketingstrategie verfolgt.

Es gibt noch weitere Strategien. Chanel beispielsweise hebt jedes Jahr die Preise seiner begehrten Handtasche, ohne, dass sich jemand ernsthaft darüber aufregt. Ein Widerspruch der heutigen Zeit?

Ganz ähnlich zur Logik der Verknappung sollten Luxusprodukte ihren Wert halten oder steigern können. Daher kaufen Luxusmarkenkonzerne zum Beispiel auch in Krisen vorübergehend nicht verkäufliche Lagerbestände zurück, um ihre Marken von einem sichtbaren Preisverfall im Markt zu bewahren, sollten Händler damit beginnen, unter dem empfohlenen Marktpreis verkaufen.

In Zeiten der digitalen Medien: Erhalten die Luxusgüter damit einen Aufschwung?

Lange Zeit war für den Luxusmarkt der digitale Weg zum Kunden sehr ungewohnt. Mittlerweile löst sich diese Herausforderung langsam auf. Deshalb wirkt es auch seit vielen Jahren so, dass der Luxusmarkt in den digitalen Kanälen ungeheure Wachstumspotenziale findet. Es stimmt eher, dass hier lange verzögerte Marktpotenziale endlich realisiert werden. Da dieser Wandel sehr langsam vonstatten geht, wird dieser Effekt sicherlich die nächsten fünf bis zehn Jahre anhalten. Auch wenn Luxusuhren sehr präzise sind, geht die Zeit hier etwas langsamer.

Wie wichtig ist Werbung denn an sich für das Luxussegment?

Werbung ist wichtig, aber sie funktioniert etwas anders als in anderen Marktsegmenten: Während sich die Werbung für Frühstücksmüsli an dessen Kundinnen und Kunden richtet, bereitet die Werbung für Luxusmarken das Umfeld der Wiedererkennung der Marke hauptsächlich bei denjenigen, die sich die Produkte selbst nicht leisten werden, aber wiedererkennen und schätzen sollen. Letztendlich geht es um die Etablierung von Symbolen und Markenvokabeln, die im Zielmarkt verstanden werden sollen. Da davon ein wichtiger Teil der Wertschöpfung abhängt, ist Werbung – auch die klassische Breitenwerbung – für das Luxussegment wichtig.

Was liegt derzeit besonders im Trend?

Kritisch betrachtet befindet man sich ausserhalb des Luxusmarkts, wenn es um Trends geht. Der Kern des Luxusmarkts beschäftigt sich vielmehr mit sehr langfristigen und graduellen Entwicklungen und der damit verbundenen stetigen Steigerung von Werten. In diesem sich ganz langsam entwickelnden Markt gibt es einen zentralen Trend, der vor gut fünfzehn Jahren aufgekommen ist und sich sicherlich noch genauso lange weiter vollzieht: die langsame Annäherung an eine immer jüngere Zielgruppe. Die Digitalisierung ist hierbei ein Mittel zum Zweck.

Was hingegen ist ein No-Go?

Abrupte Richtungswechsel sind der sicherste Weg, um aus einer Milliardenmarke eine Millionenmarke zu machen.

Viele junge Leute setzen bereits stark auf Luxusartikel. Weshalb ist es vielen so wichtig, einen Namen auf der Handtasche oder der Kleidung zu haben? Und wie sieht es im Hinblick auf die Qualität aus?

Junge Menschen haben heute in vielen Märkten eine enorme Kaufkraft. In denjenigen Märkten, in denen das nicht der Fall ist, gibt es ein grosszügiges Angebot von Produkten mit gefälschten Marken. Man kann ein markenorientiertes Konsumverhalten als oberflächlich und sinnentleert betrachten – das ist durchaus en vogue und auf seine konsumkritische Art ein nicht unähnliches Demonstrativverhalten. Allerdings kann man die Beschäftigung mit Marken auch als Kulturtechnik betrachten, die heute zum ganz normalen Sozialverhalten dazugehört. In den Gesellschaften, in denen Konsum mindestens eine kulturelle Begleitrolle spielt, werden auch seine Symbole und Vokabeln als Mittel der Kommunikation eingesetzt. Dieses Verhalten ist allerdings häufig von tatsächlicher Produktqualität entkoppelt. Allerdings lässt sich das nicht immer einfach belegen: Luxuskleidung wird oftmals beispielsweise aus Materialien hergestellt, die einen «normalen» Einsatz über viele Jahre schlicht nicht überstehen können, da sie zu fein sind. Erneut ein Widerspruch: Luxus soll konzeptionell beständig und überdauernd sein, ist aber häufig viel flüchtiger als die profanere Alternative.

Werden Luxusgüter dennoch an Beliebtheit zulegen?

Luxus wird dann an Beliebtheit gewinnen, wenn sich markt- und wettbewerbsorientierte Gesellschaften weiter durchsetzen, in denen zumindest die Wahrnehmung einer sozialen Mobilität besteht. Sofern sich also Konsumgesellschaften nach westlichem Muster weiter etablieren, wird es auch dem Luxusmarkt «gut gehen». Was als Luxus gesehen wird, wird sich jedoch wandeln. Wo früher die Verschwendung sozial eindrucksvoll inszeniert werden konnte, nimmt die Begeisterung für den sinnlosen Raubbau an Ressourcen stetig ab. Der Luxus der Zukunft wird sich – genau wie der Rest der Gesellschaft – stärker auf Nachhaltigkeit, das Bewahren und Entwickeln von Kulturgütern sowie auf die kulturellen Auswüchse von Technologieangeboten konzentrieren. Dabei zeigen heute Dienstleistungsangebote ein grösseres Wachstumspotenzial als klassische, greifbare Produktangebote.

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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