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Eine veränderte Landschaft

Wenn «No Billag» nicht in der Vergangenheit liegen würde

Am 4. März 2018 schickte das Schweizer Stimmvolk die sogenannte «No Billag»-Initiative wuchtig bachab. Wer die sozialen Medien verfolgt, weiss: Die Stimmung ist heute eine andere. Es ist zu bezweifeln, dass es für eine Mehrheit reichen würde – aber es wäre wohl eine knappere Geschichte.

Stefan Millius am 08. Februar 2021

Am 26. November 1989 wurde eine heilige Kuh Richtung Schlachtbank geführt. Dass es für die Kuh ein glückliches Ende nehmen und sie danach wieder auf einer Weide Gras kauen würde, war absehbar. Es ging damals an der Urne um die Abschaffung der Schweizer Armee. Sogar den Befürwortern war klar, dass es nicht soweit kommen würde, kommen konnte.

Als 36 Prozent, ein gutes Drittel der Abstimmenden, ein Ja eingelegt hatten, jubelten die Initianten deshalb. Es war mehr, als sie jemals erwarten durften. Denn sie war zumindest damals wirklich noch sehr heilig, diese Kuh.

Am 4. März 2018 ging es zumindest um ein heiliges Kälblein. «Volksinitiative Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren» hiess die Vorlage offiziell, als «No Billag»-Initiative kannte man sie. In der verkürzten Formel der Gegner der Vorlage, die eigentlich den gesamten Polit- und Medienbetrieb umfassten, hätte die Abschaffung der Gebühren das automatische Ende der ehrwürdigen SRG und all ihrer Kanäle bedeutet.

Gerade mal 28,4 Prozent wollten die Gebühren beerdigen. Es war ein unterirdisches Resultat, das man – im Unterschied zur Armeeabschaffung – nicht einmal als Achtungserfolg oder Denkzettel bezeichnen konnte.

Die Armee ist nach 30 Jahren kein Tabuthema mehr. An der Urne abgeschafft würde sie wohl auch heute nicht, aber die Debatte wäre sehr viel lockerer und nicht von entrüsteten Stahlhelmen geprägt. Man könnte auch als ehemaliger Soldat am Stammtisch frei sagen, dass man dafür ist.

Die Radio- und TV-Gebühren, darauf deutet einiges hin, benötigen hingegen keine drei Jahrzehnte, um enttabuisiert zu werden.

Ein Jahr Coronamassnahmen hat dafür gereicht.

Zugegeben: Es gibt dazu keine Studie, keine repräsentative Befragung, keine Onlineumfragen von Medien. Warum auch? No Billag ist gegessen, inzwischen heisst die Firma, welche die Gebühren eintreibt, Serafe, Private bezahlen ein bisschen weniger Gebühren, Firmen zum Teil viel mehr, sonst hat sich nichts geändert. Das jährliche Chaos bei den Verrechnungen inklusive. Warum also sollte man die alte Leiche wieder ausgraben?

Aber einige tun das doch. In den sozialen Medien bringen immer mehr Leute das Thema aus der Vergangenheit wieder auf. Leute, die 2018 aus inbrünstiger Überzeugung Nein gesagt haben, die SRG auf keinen Fall in Gefahr bringen wollten und auf die Bedeutung der öffentlichen Informationsvermittler schworen. Private Medien waren für sie des Teufels, nur die Staatssender (die nicht als solche betrachtet werden wollen), standen laut ihnen für sachliche, ausgewogene Information.

Das war damals der Konsens der klaren Mehrheit. Ein Teil dieser Mehrheit sieht es heute anders. Natürlich nicht alle. Aber eine wachsende Gruppe.

Das klare Nein zu No Billag wurde aus verschiedenen Quellen gespeist. Die ältere Generation bangte um ihre Tagesschau und «Happy Day». Die Kulturszene befürchtete, eine Plattform für Auftritte zu verlieren. Das urbane Volk wollte sich das «Echo der Zeit», die Kultur auf SRF2 und die Jugenderinnerungen an das einstige DRS3 nicht nehmen lassen. Sogenannte private Medien, die ironischerweise aber ebenfalls von den Gebührengeldern leben, bliesen zur Attacke gegen die Vorlage.

Sympathien für die Initiative gab es rechts der Mitte, bei liberalen Kräften, die von der eigentlichen Bedeutung des Begriffs ausgingen. Von der Mitte an zu Links-Grün wurde die Ablehnung immer deutlicher.

Aber 2021 spielen die ideologischen Pole nicht mehr so einfach. Es kommt zu interessanten Verschiebungen – dank Corona. Selbst Leute, die vor einem Jahr für Gretas Klimaoffensive weibelten und für die die SVP der Teufel in Parteiengestalt war, lesen heute plötzlich die «Weltwoche», weil deren Verleger und Chefredaktor einer der wenigen ist, welche die Coronamassnahmen hinterfragen. SP und Grüne stützen den Bundesrat in seiner Coronapolitik oder wollen sogar darüber hinaus gehen. Die offiziellen Parteigremien jedenfalls. Unter ihren Wählern – und wohl auch unter ihren Mitgliedern – gibt es aber viele, die das nicht mittragen.


Gebührengelder? Wollen wir nicht und bekommen wir nicht. Aber wir freuen uns über Gönner.


Das wird sichtbar, wenn man die Kundgebungen gegen die Massnahmen betrachtet. Die Medien suchen dort jeweils verzweifelt nach irgendwelchen vereinzelten Rechtsextremen, die sich unters Volk gemischt haben, weil das ihrer Darstellung der Sache dient: Alle Kritiker sind demokratiefeindliche Halodris mit zweifelhaftem Hintergrund. Aber ein grosser Teil an diesen Veranstaltungen passt sehr viel besser in einen anderen Raster: Menschen mit einem sozialen Gewissen, mit einem Herzen für Natur und Umwelt, die noch vor einem Jahr von rechts als «Gutmenschen» bezeichnet worden wären. Jetzt finden sie sich teilweise vereint in einer bestimmten Sache.

Was sie eint, ist nicht nur die Überzeugung, dass die Massnahmen unverhältnismässig und schädlich sind, sondern auch ihre kritische Haltung gegenüber den Medien, die diese Massnahmen durch alle Böden mittragen. Dazu gehört auch die SRG. Diese kommt ihrem Auftrag einer ausgewogenen Berichterstattung theoretisch nach, indem sie hin und wieder auch die Massnahmenkritiker zu Wort kommen lässt. Aber selten ohne eine Anmoderation oder eine Zwischenfrage oder einen Tonfall, die deutlich machen, dass das, was jetzt gleich kommt, völlig abseitig ist. Bei Themen wie Fallzahlen oder dem R-Wert haben auch die Radio- und TV-Stationen der SRG stets lieber die Zahlen des BAG rapportiert, statt grundsätzliche Fragen über deren Zustandekommen oder ihre Sinnhaftigkeit zu stellen.

Vermutlich hält man das bei der SRG intern sogar für eine ausgewogene, sachliche Information. Weil die nötige Distanz zu denen, die letztlich eben doch den ganzen Laden finanzieren, im Lauf der Zeit abhanden gekommen ist. Und weil es am Leutschenbach und seinen Satelliten offenbar doch keine so lebendige Diskussionskultur gibt, wie man glauben möchte. Ein Massnahmenkritiker hätte es jedenfalls schwer an einer Redaktionssitzung. Prüfen kann man das nicht, weil sie, wenn es sie gibt, lieber schweigen. Im Zweifelsfall liegt die Wahrheit für die SRG eben doch im Bundeshaus.

Es gab viele Leute, die vor drei Jahren bangten, ihre letzte unabhängige Informationsinstanz, die nicht auf Werbung oder dubiose Geldgeber angewiesen ist, sei gefährdet. Und einige davon hinterfragen sich nun. Die Frage lautet: Was genau habe ich da eigentlich gerettet? Und wofür? Um von der SRG nun jeden Tag zu hören, dass ich ein Verschwörungstheoretiker bin?

Man kann den Nein-Sagern von damals wohl keinen Vorwurf machen. Die Initiative war radikal, und die Initianten verrannten sich gegen Schluss in unglücklichen Strategien. Misstrauisch hätte aber vielleicht machen können, dass die SRG damals nicht einmal die Grösse hatte, zu beweisen, dass sie wirklich ausgewogen ist. Auch sie selbst fuhr als Direktbetroffene eine Breitseite gegen die Vorlage. Im Programm eher subtil, weil sonst der Ombudsmann in Post ertrunken wäre, aber abseits davon sehr offensichtlich, wie dieses Beispiel von vielen zeigt.

Wie eine «No Serafe»-Abstimmung drei Jahre später ausgehen würde: Es ist offen. Dass eine Mehrheit die Radio- und TV-Gebühren abschaffen würde, ist auch heute nicht anzunehmen. Die Lager wären aber deutlich weniger homogen, und die SRG hat bei einem Teil ihrer früheren Gefolgschaft sichtbar Federn gelassen. Die quasi-staatlichen Medien, die sich im Kleid eines Vereins als unabhängig vom Bund geben, haben es verpasst, diese angebliche Unabhängigkeit zu unterstreichen. Das hätte noch nicht einmal in Form einer Gegenstimme zum Bundesrat geschehen müssen. Es hätte schon gereicht, wenn eine gewisse kritische Distanz zu spüren gewesen wäre. Und kein Gehorsam auf Vorrat.

Am sichtbarsten wird die wachsende Distanz zu den einstigen Fans, wenn der Verein SRG auf Facebook um Mitglieder buhlt, wie er es derzeit zumindest gefühlt verstärkt tut. Die Reaktionen sind nicht gerade freundlich. Zum Teil stammen sie sicher von Leuten, die auch schon vor drei Jahren gerne mit den Gebühren aufgeräumt hätten. Zum Teil sind es ebenso sicher neue Stimmen.

Das Coronazeitalter besteht eben nicht aus «Happy Day».

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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