Raiffeisen spart. Mitarbeiter werden entlassen, der Raiffeisenplatz ist zu Recht blutrot. Aber wie ist es, wenn man mit Raiffeisen spart? Das tut man traditionell mit einem Sparbuch. Das heisst heute Sparkonto, und mit Sparen ist da auch nicht wirklich was.
Das kommune Sparkonto wirft einen Zins von 0,05 Prozent ab. Wer keine Lupe zur Hand hat, sieht den gar nicht. Das «Sparkonto Plus», angepriesen als «Vermögensbildung mit Vorzugszins», wirft das Doppelte, aber auch nur 0,1 Prozent ab. Und das höchste der Gefühle ist ein Geschenk- oder Jugendsparkonto mit vergleichsweise üppigen 0,5 Prozent.
Da muss man auch wirklich jung anfangen. Denn mit Zinseszins dauert es bei 0,5 Prozent immerhin 139 Jahre, bis sich das Anfangskapital verdoppelt hat. Bei 0,05 Prozent muss man 1387 Jahre darauf warten. Also fast doppelt so lange, wie die Eidgenossenschaft schon existiert. Aber das sind noch nicht alle schlechten Nachrichten.
Denn Steuern und Geldentwertung sind dabei nicht einmal berücksichtigt, genauso wenig wie Bankgebühren. Selbst wenn diese drei Faktoren ebenfalls minimal wären; sie reichen aus, um aus einem Minigewinn einen Verlust zu machen. Und das sind immerhin noch positive Zinsen. Wer sein Geld in erstklassige Staatsanleihen investiert, muss sogar etwas dafür zahlen, dass er sein Geld verleiht. Absurd, aber wahr. Der Investor zahlt etwas dafür, dass sein Geld wenigstens so sicher wie möglich aufbewahrt wird, mit dem Staat als Gläubiger.
So ist das, wie sollte es sein? Nun, in der Geschichte hat sich ein Zinssatz herauskristallisiert, den man als normal bezeichnen kann. Und der die Grenzlinie zwischen einigermassen sicherer Anlage und Risikoanlage zog. Das sind, inflationsbereinigt natürlich, 5 Prozent. Das ergibt die Verdoppelung des Kapitals nach einer Laufzeit von etwas über 14 Jahren. Das ist eine gesunde Zahl. Für den Gläubiger wie für den Schuldner.
Der Schuldner weiss so, dass er in dieser Zeitspanne eine Wertschöpfung hinkriegen muss, die ihm nach 14 Jahren die Rückzahlung des Doppelten des Geliehenen ermöglicht. Und darüber hinaus natürlich noch ein Extraprofit für die eigenen Anstrengungen abfallen muss. Der Zinssatz ist also auch ein Regulativ, das Schuldner von allzu wilden Kreditaufnahmen abhält und Gläubiger davor schützt, in risikoreiche Anlagen investieren zu müssen, wenn sie wenigstens den Verlust durch Steuern, Inflation und Gebühren wett machen wollen.
So wäre es, wenn nicht von den wichtigen Notenbanken der Welt nicht nur jede Menge Neugeld in den jeweiligen Währungsraum gepumpt, sondern auch der Leitzins bei null oder sogar im Negativen gehalten würde. Dieser Leitzins bestimmt das allgemeine Zinsniveau und sorgt nicht nur bei Raiffeisen dafür, dass der Sparer, der Anleger faktisch Geld damit verliert, dass er Geld verleiht.
Nun könnte man sagen, dass das doch den Vorteil hat, dass der Sparer als Schuldner auch von spottbilligen Krediten profitieren kann. Im Prinzip ja. Bei der wohl wichtigsten Kaufentscheidung im Leben des Sparers, die Verwirklichung des Traums von den eigenen vier Wänden, sind die Hypothekarzinssätze so tief wie kaum einmal. Eine Festhypothek über 10 Jahre bei einer Belehnung von 80 Prozent des Immobilienwerts ist ab 0,8 Prozent zu haben. Vor zehn Jahren waren das noch mindestens 4,5 Prozent. Wer heute noch etwas mehr Pep will und seine Zahlungen an den Lombardsatz koppelt, zahlt sogar nur 0,6 Prozent. Also für eine Million Franken sind das jährlich läppische 6000 Franken im Jahr.
Aber: Da nicht nur der Sparer nach einer sicheren Anlagemöglichkeit im sogenannten Betongold sucht, sondern auch Grossanleger, steigen die Preise in den Himmel. In Ballungszentren kann man bereits von einer Immobilienblase sprechen. Ausserdem muss der Käufer nachweisen, dass er auch einen Zinssatz von 5 Prozent vertragen und auch dann nicht mehr als einen Drittel seines Einkommens für die Hypothek ausgeben würde. Wir haben also in der Schweiz die absurde Situation, dass die obligatorische Pensionskasse, in die jeder Arbeitnehmer einzahlen muss, dem gleichen Arbeitnehmer die Verwirklichung seines Traums vom Eigenheim unbezahlbar macht.
Oder noch absurder: Der Einzahler in eine Pensionskasse kauft sich von seiner Pensionskasse eine Immobilie zu einem blasenartig aufgepumpten Preis. Platzt die Blase, was sie immer tut, dann hat der Käufer ein gröberes Problem, weil sein Gläubiger, die Bank, einen Nachschuss verlangt, weil der Marktwert der Immobilie sinkt. Und seine PK hat auch ein gröberes Problem, weil sie ihre Anlagen neu und niedriger bewerten muss.
Zinsen, die sich um den Nullpunkt herum bewegen oder sogar im Negativen, das muss man sich vorstellen wie die Aufhebung der Schwerkraft in der Finanzwelt. Alles schwebt. Risiko und Ertrag sind voneinander abgekoppelt. Der Sparer verliert, der Schuldner gewinnt. Verkehrte Welt, absurde Welt. Aber am schlimmsten ist: Irgendwann, früher oder später, werden die Zinsen wieder steigen. In den USA ist es schon langsam der Fall. Und wenn vorher alles schwebte, dann passiert beim Einschalten der Schwerkraft etwas: Es kracht.
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