Seit über 50 Jahren ist der Parco Scherrer in Morcote im Tessin öffentlich zugänglich. Er ist ein Genuss für die Sinne. Die bunte Welt am steilen Ufer ist das Werk des St. Galler Kaufmanns, Textilhändlers, Kunstfreunds und Gartenliebhabers Arthur Hermann Scherrer (1881-1956).
Einige hundert Meter südwestlich der Piazza Grande im pittoresken 755-Seelen-Dorf Morcote verbirgt sich an der Seestrasse ein Kleinod gut geschützt hinter Steinmauern – so bleibt der Duft gefangen. Zwei Löwen aus Carrara-Marmor flankieren die breite Treppe beim Eingang. Es riecht im Frühling nach See und milder Luft. Mediterran präsentieren sich hier Natur und Klima und die Tessiner Landschaft ist voller Lieblichkeit.
Wenn Gemeindegärtner Roberto Ferrari gebeten wird, «seinen» Parco mit wenigen Worten zu beschreiben, muss er nicht lange überlegen. «Il giardino delle meraviglie» – «der Garten der Wunder», sagt er und lächelt. Eine halbe Weltreise in nur ein bis zwei Stunden könne man im Scherrer-Park machen und immer etwas Neues entdecken. Niemand weiss das besser als er, der seit 36 Jahren die Anlage pflegt.
Bauwerke und Botanik
Am Fusse des 822 Meter hohen Monte Arbòstora liegt dieses Schmuckstück der Gartenkunst, das zugleich ein Beispiel der architektonischen Gärten des 20. Jahrhunderts ist. Ein botanischer Garten? Ein Märchenpark? Ein Ausstellungsgelände? Der Scherrer-Park ist alles zugleich. «Kunst neben der Natur» könnte Scherrers Leitgedanke der Anlage gewesen sein. Ein griechischer Tempel am Ufer des Luganersees, daneben ein siamesisches Teehaus oder ein ägyptischer Tempel? Baudenkmäler aus verschiedenen Epochen und Kulturkreisen findet man hier.
Nicht nur in den Gebäuden, sondern auch im Freien stehen griechische und fernöstliche Skulpturen. Francesca Kamber Maggini, Landschaftsarchitektin aus Locarno, die den Park bestens kennt, sagt: «Der Parco Scherrer ist für das Tessin einmalig und spiegelt die goldenen Zeiten der italienischen Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als mehr oder weniger berühmte Intellektuelle und Reiche aus ganz Europa sich vorwiegend in den See-Regionen niederliessen. Das spezielle des Parks ist die Kombination von Garten, Pflanzensammlung und einer Galerie von baulichen Elementen («Follies»), die weltbekannte Bauten nachahmen.»
Apropos «Follies»: Folly (englisch «Narretei»), Mehrzahl «Follies», bezeichnet in der Gartenkunst eine Staffage, ein Bauwerk, das sich durch die ihm zugrunde liegende exzentrische Idee und seine extravagante Ausführung von anderen Gartenstaffagen unterscheidet (Wikipedia). Der Begriff wird auch in der Architektur für einen ungewöhnlichen Zierbau verwendet. Tromp d'Oil, Labyrinthe, Chinoiserien, geheimnisvolle Grotten, exotische Steinfiguren: Die Klassik liebte solche Gestaltungen. In Goethes «Die Wahlverwandtschaften» ist es geradezu das Leitthema des Romans.
Kunstvoll arrangierte Anlage
Der Park, rund zehn Kilometer südwestlich von Lugano gelegen, ist einer der schönsten Gärten in der Südschweiz. Einen «paradiesischen Garten» hatte ihn Aga Khan genannt. Das Gebiet weist ein mildes Klima auf, denn es ist gegen Süden ausgerichtet und vor den kalten Nordwinden geschützt. Der Ausblick auf den italienischen Teil des Lago di Lugano und die gewellten Hügel um Varese ist prachtvoll. Wegen seiner kunstvoll arrangierten Anlagen, Bauten und Terrassen mit ausgetüftelter Blütenpracht, ist er von Frühling bis Herbst ein sinnliches Erlebnis von Farben und Gerüchen.
«Der Parco Scherrer beeindruckt weiterhin mit den grossen Bäumen und der Vielfalt der Elemente und Stimmungen. Der Ausblick ist nach wie vor hinreissend und das Licht in Morcote, je nach Saison und Wetter, ist unverwechselbar», sagt die Tessiner Landschaftsarchitektin Francesca Kamber Maggini.
Romy Schneider und Nella Martinetti
Für die Besucherin Ruth Miller aus Seattle, USA, ist der Park «eine Oase der Ruhe, ein meditativer Ort mit einer atemberaubenden Aussicht.» Das zieht unter anderem Gartenfreunde, Hochzeitspaare und Promis an. «Im vergangenen Jahr zählte der Park rund 9'000 Gäste. Mit 24'065 Eintritten verzeichneten wir 1997 einen Besucherrekord», bestätigt Andrea Soldini, Vize-Gemeindepräsident von Morcote. Unter anderem besuchten Charles Aznavour, Peter Alexander, Romy Schneider, Aga Khan, Mariangela Melato, Angelo Branduardi, Nella Martinetti und Peter Kraus den «Zaubergarten». Einige Sequenzen der Schweizer Jugendbuch-Verfilmung «Mein Name ist Eugen» wurden im Park gedreht.
Sehnsucht nach Arkadien
Der Park ist das Werk einer markanten Persönlichkeit: Arthur Hermann Scherrer (1881-1956), Kaufmann, Textilhändler, Kunstfreund, Gartenliebhaber (siehe Kasten). Er ist aber nicht verwandt mit dem St. Galler Fabrikanten Adrian August Gonzalvo Maximilian von Scherer, der 1870 seinen Park mit Villa (heute Jugendmusikschule) und Badehaus der Stadt verkaufte (heute Teil des Stadtparks). Mit seiner zweiten Ehefrau, Amalia Steiner aus Niederösterreich, kaufte der St. Galler 1930 nach und nach an Hanglage Land mit Weinbergen, Kastanienbäumen sowie einem alten Wohnhaus mit Stall direkt am See. Ein insgesamt 15'000 Quadratmeter grosses Grundstück, dass die beide in jahrzehntelanger Arbeit zu neuem Leben erweckten und in eine Gartenlandschaft über dem See entwickelten.
Die Hänge und Terrassen wurden mit Zypressen, Kamelien, Kampferbäumen, Eukalyptus, Zedern, Araukarien, Palmen und Bambus bepflanzt. Inspiriert von seinen Bildungs- und Handelsreisen schuf der vermögende Ostschweizer in seinem Tessiner Sehnsuchtsort ein Arkadien, ausstaffiert mit antiken Tempeln, Villen und künstlichen Grotten inmitten einer perfekt inszenierten Umgebung. Was einst ein Privatgarten der reichen Kaufmannsfamilie war, ist seit 1965 ein öffentlicher Park.
Kein Garten ohne Theorie
Kein Garten ohne Theorie, kein Beet, das dem Zufall überlassen bliebe. Was so scheinbar mühelos wächst und gedeiht und manchmal tatsächlich wie unberührte Wildnis wirkt, ist in Wahrheit das Resultat akribischer Planung, vieler Hände Arbeit und langjähriger Erfahrung. Das ist auch im Parco Scherrer so. «Bei Aufnahmen haben wir festgestellt», erzählt Francesca Kamber Maggini, «dass Herr Scherrer ein speziell präziser Mann gewesen sein muss.» Die Masse der wichtigen Gartenelemente seien millimetergenau eingemessen und gebaut. «Wenn man andere Anlagen in Morcote kennt, kann man feststellen, dass das Bauen am Hang im Tessin lange Tradition hat und es in der Region daher sehr gute Fachkenntnisse gibt im Umgang mit Höhenunterschieden.» Die Landschaftsarchitektin aus Locarno hat sich seit 2009 intensiv mit dem Park befasst und für die Gemeinde Morcote ein Pflegekonzept ausgearbeitet, welches aber nicht umgesetzt wurde.
Ein Sammelsurium
Der parkähnliche Garten ist ein Sammelsurium aus Form und Farbe. Inspiriert von orientalischen Stätten und Kulturen, beschränkte sich Arthur H. Scherrer jedoch nicht nur auf die bezaubernde Vegetation: Sein Garten sollte lediglich der Rahmen für die grossartigen orientalischen Kunstwerke und Architektur sein. Eine Büste des 1956 verstorbenen Hausherrn steht auf der grandiosen Terrasse des indischen Palastes. Jahr für Jahr reproduzierte er in verkleinertem Massstab diverse Tempel aus dem Mittelmeerraum und exotischen Ländern.
Der Park besteht aus zwei Bereichen mit zwei vorherrschenden Stilen: der mediterrane und der asiatische. Der Rundgang führt zuerst durch die mediterranen Gärten im Renaissance- und Barock-Stil, reich an Statuen; dann geht es weiter durch die Bambushaine im orientalischen Teil, der mit seinen siamesischen, arabischen und indischen Bauten und der für diese Regionen typischen Flora überrascht.
Die Statuen Venus, Herkules, Juno, Jupiter wachen zwischen den Azaleen. Bergwärts erblickt man zwischen Zypressen und Magnolien das Erechtheion, eine verkleinerte Nachbildung des zweiten Tempels der Akropolis in Athen, getragen von sechs wundervollen Karyatiden. Um eine originalgetreue Kopie zu erhalten, machte Scherrer zahlreiche Fotos, die er seinem italienischen Bildhauer aus Vicenza unterbreitete. Ein Sonnentempel nach spanischem Muster erinnert an die berühmten Gärten der Alhambra in Granada. Die Statuen des Handelsgottes Merkur und einer Spinnerin dominieren den Park aus der Höhe und versinnbildlichen die von Hermann Scherrer ausgeübten Tätigkeiten.
Wie im Märchen
Immer wieder überraschende Perspektiven, verschwiegene Plätzchen und versteckte Gartenlauben, unzählige Treppenstufen und verwinkelte Wege. Welche Gartenspezialisten, Baumeister, Maurer, Bildhauer und Künstler der Hausherr anstellte, ist nicht genau bekannt. Der Gartenliebhaber und Romantiker Scherrer plante nicht nur die Grundrisse, sondern pflanzte ihnen Leben ein. Zwischen Mauern, Treppen, Pfeiler und Säulen spriesst wilder Wein und Glyzinien ranken, Rosen und Clematis wachsen empor. Bänke werden von Palmen und Glyzinien eingerahmt, dazu plätschert leise das Wasser im Brunnen oder Bassin, während von den Rosenbögen zarte Blütenwolken in Weiss und Rosa herabschweben. Wer hier einen Augenblick innehält, fühlt sich wie im Märchen.
«Überall stehen Bänke zum Verweilen, Brunnen plätschern, und die duftend blühenden Limonen reifen vor ihrem Glashaus, in dem fantastische Tierkunstwerke ausgestellt sind. Im Parco Scherrer kann man Stunden verbringen, an einem der Steintische auf der Bella Vista die mitgebrachte Flasche hiesigen Merlot leeren oder einfach die Aussicht geniessen. Romantiker sind hier am richtigen Ort, aber auch botanisch interessierte Reisende finden einen ausgeschilderten Pfad zu mindestens fünfzig Pflanzenarten», schrieb der Berliner «Tagesspiegel» 2011 über einen Besuch in Morcote.
Was gefällt dem hiesigen Gärtner nun besonders an seiner Arbeit? Roberto Ferrari: «Die Ruhe und die Unabhängigkeit.» Und Karim Aga Khan IV., Multimilliardär und religiöser Führer der ismailitischen Nizariten, schrieb einst ins Gästebuch: «Wenn es noch ein Paradies auf Erden gibt, so ist es dies, dies, dies.»
Informationen
Parco Scherrer: Riva di Albertolli / Riva di Pilastri, 6922 Morcote, Telefon 091 996 21 25 und www.morcote.ch
Öffnungszeiten: 15. März bis 31. Oktober, 10.00 bis 17.00 Uhr (Juli und August bis 18.00 Uhr)
Infos: Ente Turistico del Luganese, Telefon 058 866 49 60 und www.morcoteturismo.ch
Zu Arthur Hermann Scherrer
Der Parkgründer Arthur Hermann Scherrer, Sohn des in Kirchberg SG geborenen St. Galler Kaufmanns, Stadtrats und Marionettentheaterleiters Hermann Scherrer (1853-1948) und der Sophie geborene Gehrig, kam am 2. November 1881 in St. Gallen zur Welt (die Schreibweise variierte: Manchmal wird die Familie Scherrer, dann wieder Scherer genannt). Er war der älteste von fünf Brüdern und einer Schwester und wuchs an der Dufourstrasse 81 am noblen St. Galler Rosenberg auf. Hermann Scherrer-Gehrig erlangte das Stadt-Sankt-Galler Bürgerrecht erst 1890. Scherrer besuchte die Primarschule und anschliessend das internationale Institut Dr. Ulrich Schmidt (heute Institut auf dem Rosenberg) in der Gallusstadt, in dem er, wie viele Söhne gutsituierter Familien, erzogen wurde. Nach einem Sprachaufenthalt in Lausanne besuchte er in Aachen, im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, die Höhere Preussische Textilschule. Er lernte dort Stoffe und Webearten von Grund auf kennen.
Die italienische Sprache perfektionierte er in Siena; Englisch paukte der Ostschweizer in den USA und machte dort auch erste Handelserfahrungen. Seit 1901 war er in München angemeldet. Später übernahm der junge Textilkaufmann das Tuchhandelsunternehmen seines Vaters in München und machte aus dessen «Versandhaus für Herren- und Damen-Loden» eines der elegantesten Modehäuser in der bayrischen Metropole. Es befand sich an der Neuhauser-Strasse 32 beim Karlstor an bester Adresse. Der bedeutende deutsche Grafiker und Reklamekünstler Ludwig Hohlwein gestaltete um 1908 grossartige Werbeplakate für den «Sporting and Ladies-Tailor» in München. An prominenter Lage befand sich auch das Geschäft in St. Gallen. Auf einem Briefkopf von 1944 steht: «Hermann Scherrer, Feine Mass-Schneiderei, Offiziers-Uniformen, Reit- & Sport-Anzüge, Stoffe, St. Gallen; Multergasse 3, Kamelhof.»
In erster Ehe war Scherrer mit der Norditalienerin Maria Bianchini aus Reggio nell'Emilia verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn, Arturo Mario, kam am 23. März 1904 in München auf die Welt und lebte später mit seiner Frau Nelly Yvonne Vannaz in Lausanne. Arthur H. Scherrer wurde laut dem Scheidungsurteil 1907 von seiner ersten Frau geschieden (wegen Ehebruchs der Frau). 1918 heiratet er Amalia Steiner (1887-1974) aus Rohrbach in Niederösterreich. 1930 konnte der Hobby-Landschaftsgärtner gemeinsam mit seiner zweiten Frau ein altes Tessiner Haus mit Stall am See mit einer Hektar Land (Hanglage) in Morcote kaufen. Über Dekaden verwandelten sie die Weinberge und Kastanienhaine in einen Park.
Der wohlhabende Kaufmann, Kunstfreund und passionierte Gartenfreund starb am 1. Juli 1956 in seinem Haus, seine Gattin am 6. August 1974. Auf dem Anwesen gibt es diverse Büsten von Arthur Hermann Scherrer zu sehen. 1965 bot Scherrers Witwe den Park für 300'000 Franken der Gemeinde Morcote mit den Auflagen zum Kauf an, ihn nach ihrem Tod dem Publikum zugänglich zu machen und unangetastet zu lassen. Trotz der finanziellen Belastung, die eine solche Schenkung nach sich zieht, konnte die Gemeinde diesen «Zaubergarten» den Bedürfnissen der Besucher und Gäste anpassen und am 1. Mai 1965 erstmals öffnen. Im letzten Jahr besuchten über 9'000 Personen den Park. Im Park wurden auch die Urnen des Ehepaars Scherrer-Steiner beigesetzt.
Quelle: Gemeinde Morcote, Staatsarchiv des Kantons St. Gallen, Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen, Stadtarchiv München, St. Gallens Grüngeschichte(n), 1872–2015.
Urs Oskar Keller (*1955) ist Journalist und Fotoreporter. Er lebt in Landschlacht.
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