Autor/in
Nicole Schmidt
Nicole Schmidt ist Konsulentin bei Nellen & Partner in Zürich.
Nicole Schmidt ist Konsulentin bei Nellen & Partner in Zürich.
Die Coronakrise hat vielen Branchen Umsatzeinbussen beschert. Sie trifft auch Unternehmen, deren Produkte weiter gefragt sind. Die globale Arbeitsteilung ist für die Schweiz ein Segen. Der Nachteil: Rohstoffe und Ersatzteile haben oft eine weite Reise hinter sich, bis sie verarbeitet werden.
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Leidet eine Lieferregion unter dem Lockdown oder werden Grenzen geschlossen, gefährdet dies Lieferketten und die Produktion. Sollte die Schweiz daher mehr Waren im eigenen Land herstellen?
Die in der Industrialisierung eingeführte Arbeitsteilung hat den Wohlstand gesteigert, ebenso löste die Globalisierung weiteres Wachstum aus.Für den Ausnahmezustand der Pandemie gewappnet zu sein ist nur kurzfristig von Vorteil. Da die Schweiz eine hohe Aussenhandelsquote aufweist, würde eine Abschottung den Prozess rückgängig machen und den Wohlstand gefährden.
Der wirtschaftliche Erfolg ist von Abnehmern im Ausland abhängig, insbesondere den Ländern der EU. Bleiben Grenzen offen und Handelsabkommen in Kraft, fliessen die Warenströme trotz der Krise, wie COVID-19 zeigte. Ratsam ist jedoch eine stärkere Diversifikation bei Absatz und Einkauf, sowohl für das einzelne Unternehmen als auch für die Volkswirtschaft.
Prozesse und Lieferketten
Die spanische Grippe war die letzte vergleichbare Pandemie. Dennoch gibt es keine Garantie, dass die Welt wieder hundert Jahre verschont bleibt. Das Risikomanagement international tätiger Unternehmen analysiert, wie gefährdet deren Prozesse im Falle einer weltweiten Krise sind. Stabile und diversifizierte Lieferketten sind unerlässlich für den nachhaltigen Erfolg.
Je abhängiger das Unternehmen von einem Lieferanten oder einer Region ist, desto dramatischer wirkt es sich aus, wenn von dort nicht mehr geliefert wird. Dies kann verschiedene Ursachen haben:
• Der Lieferant kann oder darf nicht mehr produzieren
• Wegen geschlossener Grenzen, verstärkter Grenzkontrollen oder entfallener Frachtflüge ist eine Lieferung nicht möglich oder der Transport verzögert sich.
• Der Lieferant verstösst gegen die Abmachung, weil ein anderer Käufer bereit ist, einen hohen Aufschlag zu zahlen.
«Just in time» zu arbeiten ist im Normalfall effizient, stellt aber im Krisenfall ein Problem dar. Ein höherer Lagerbestand ist weniger riskant, dafür kostspielig. Fahren die Unternehmen aus Sicherheitsgründen ihre Lagerbestände hoch, werden die Produkte teurer.
Eine transparente und KI-gestützte Risikobewertung von Lieferanten und Lieferketten berücksichtigt deren regionale, regulatorische und finanzielle Risiken. Über IT-Plattformen lässt sich zudem die Logistik detailliert im Auge behalten. Dank Echtzeitdaten können die Disponenten bei einer Störung schnell reagieren. Mit flexibler Logistik kann in der Krise der Transport mit dem Schiff oder Zug vorübergehend auf den teureren Luftweg verlagert werden, um Lieferengpässe zu vermeiden.
Mit Optimismus und Diversifikation auf die Krise reagieren
Das Beratungsunternehmen PwC hat weltweit 800 Finanzchefs grosser Firmen zu ihren Lieferketten befragt. Dabei zeigten sich „klare Tendenzen, dass die Schweizer ihre Supply Chains sehr klar analysieren und auch Veränderungen in diesem Bereich in Betracht ziehen“, wie Reto Brunner von PwC erläutert. Den schweizerischen CFOs ist bewusst, wie wichtig verlässliche Lieferketten sind. Drei von vier Finanzchefs erklärten, dass sie zusätzliche Möglichkeiten der Beschaffung prüfen. Als weitere Reaktion auf die Coronakrise wollen sie die Standorte ihrer Lieferanten stärker diversifizieren.
Im Vergleich zu anderen Ländern legen die CFOs der Schweiz mehr Optimismus an den Tag. Die Schweizer Wirtschaft ist innovativ – und infolge von Finanzkrise und Frankenschock hinlänglich krisenerprobt.
Die optimale Liefermenge
Für die Lieferketten stellen nicht nur Pandemien eine Gefahr dar. Auch im „New Normal“ kann es zu Abhängigkeiten kommen. Wer als KMU einen Rohstoff verarbeitet, bezieht die nötige Menge meist nur von einem Anbieter. Um für einen akzeptablen Preis kaufen zu können und überhaupt beliefert zu werden, konzentrieren sich kleinere Unternehmen oft auf eine Adresse. Weniger riskant wäre es, die Bestellung auf zwei Lieferanten aufzuteilen, also den Einkauf mit einer Second Source diverser aufzustellen. Das setzt mehrere Anbieter voraus, was bei manchen Vorprodukten kaum der Fall ist.
Selbst wenn es zwei oder mehr Anbieter gibt, ist die Bestellmenge eines KMUs oder Start-ups oft zu klein, um das Volumen aufzuteilen. Obendrein ist die Just-in-time-Lieferung kostengünstiger als viel Liquidität im Lagerbestand zu binden. Die Lagerhaltung selbst benötigt Ressourcen und schlimmstenfalls müssen überschüssige Vorräte kostspielig vernichtet werden.
Neben Rohstoffen stellen Ersatzteile eine kritische Grösse dar. Lässt sich ein Teil kurzfristig nicht beschaffen, steht schlimmstenfalls die Produktion für Tage still. Um sich abzusichern, kommen 3-D-Drucker als digitale Alternative zum Einsatz. Diese schonen zudem die Umwelt, da Ersatzteile nicht mehr über den halben Erdball transportiert werden – aus Zeitgründen per Flieger. Hochwertige 3-D-Drucker sind teuer: Die Anschaffung lohnt nur, wenn sie regelmässig genutzt werden, eventuell im Rahmen unternehmensübergreifender Kooperationen.
Abhängig von der Konkurrenzsituation könnte eine Einkaufskooperation mit Wettbewerbern hilfreich sein. Dadurch lässt sich eine bessere Verhandlungsposition erreichen und grössere Volumina bestellen. Onlineplattformen können die klassischen Gross- und Aussenhändler ergänzen.
Die erfolgreiche Supply Chain ist Teamarbeit
Welche Supply Chain Manager braucht ein Unternehmen, um sich mit einer diversen und gut vernetzten Lieferkette langfristig unabhängig zu machen? Ein Team von Spezialisten bietet sich an. Dazu zählen Einkaufsprofis, IT-Experten und international erfahrene Juristen.
Gefragt sind emphatische Einkäufer mit Verhandlungsgeschick, interkultureller Kompetenz und einem guten Netzwerk in der Branche. Ebenfalls wichtig sind Juristen, die Verträge mit Lieferanten, Anbietern von Logistikleistungen und Abnehmern prüfen. Sie kennen sich im Idealfall mit internationalem Recht aus. Zu guter Letzt bedarf es IT-Spezialisten, die integrierte Planungs- und Steuerungsplattformen für die Industrie 4.0 erarbeiten und die vernetzten Logistikketten optimieren. Sie sind mit Künstlicher Intelligenz und Themen wie Blockchain vertraut. Verändert Corona nachhaltig das geschäftliche Reisen, bedarf es mehr dezentraler Mitarbeiter vor Ort.
Neben den Spezialisten braucht es agile Prozesse, damit das Unternehmen schnell, kunden- und kostenoptimiert auf neue Anforderungen reagieren kann.
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