Ein Wikipedia-Aktivist will die Profile von drei UBS-Bankern löschen lassen. Damit glaubt er, den verhassten Kapitalismus zu bekämpfen. Als ob es so einfach wäre...
Jens Best ist seit etwas mehr als zehn Jahren aktiv auf Wikipedia. Sein Motto: «Auch in 2024 gilt in der Wikipedia: Keinen Fußbreit den Faschisten von AfD und anderswo».
In demselben Ton geht es weiter: «Der größte Feind der Aufklärung ist ein Wikipedianer, der glaubt an einer neutralen Webseite mitzuarbeiten.» Wir haben es also mit einem überzeugten Aktivisten zu tun.
Am 19. Juli forderte dieser innerhalb von zwei Minuten, dass drei Profile in der deutschsprachigen Version von Wikipedia gelöscht werden sollten: diejenigen der UBS-Banker Colm Kelleher, Sabine Keller-Busse und Iqbal Khan.
«Keine Relevanz»
Identische Begründung für den Löschantrag in allen drei Fällen: «Irgendein Bankmanager. Hübsch geschrieben, aber keine Relevanz.»
In der darauf folgenden Diskussion auf Wikipedia äussert er sich weiter: Die Medienberichterstattung über Iqbal Khan (Nachbarschaftsstreit und Beschattungsaffäre) werfe zwar «ein interesantes [sic!] Schlaglicht auf die Zustände der absurden Finanzwelt im Spätkapitalismus».
Aber das alleine sorge noch für «keine Relevanz. Es gab eine Schmierenkomödie zwischen zwei Finanzmanagern, die mit einem geheimen Deal (Viel Geld/guter neuer Job) endete. NICHTS davon im [Wikipedia-]Artikel Credit Suisse, nichts davon sogar im Artikel von Iqbal Khan. Weil es auch keine bleibende Relevanz hat. Nichts an Iqbal Khan ist enzyklopädisch relevant.»
«Schmierenaffäre»
Eine hübsche Sophisterei: Für Jens Best ist Iqbal Khan bloss dafür bekannt, dass er «wohl oftmals im Dissens mit anderen Führungskräften war» und im Zentrum einer «offensichtlichen Schmierenaffäre» stand.
Gleichzeitig zieht er aus der Tatsache, dass im Wikipedia-Artikel über Iqbal Khan «NICHTS» über diesen «billigen Schmierenskandal» gesagt werde, messerscharf den Schluss, dass dieser damit «auch keine bleibende Relevanz» habe. Was ergo auch für Iqbal Khan gelte.
Die Möglichkeit, dass Iqbal Khan durchaus eine enzyklopädische Relevanz haben könnte, diese aber nicht auf besagten Affären beruht (worüber Wikipedia folgerichtig auch nicht berichtet), zieht er nicht in Betracht.
Feindbild «Finanzwirtschaft»
Einem anderen Diskussionsteilnehmer wirft er dafür «reine Relevanz-Gläubigkeit ohne belastbare Kriterien vor» und belehrt ihn: «Medienberichterstattung ist kein Automatismus, der zur Relvanz [sic!] führt.»
Zu UBS-Verwaltungspräsident Colm Kelleher meint er: «Die Person hat studiert, ist Wirtschaftsprüfer, hat gelernt, Zahlenkolonnen hin- und her zu schieben. Ich kann da kein ‹historisch, politisch oder sonst nachrichtenwürdiges Ereignis› erkennen.»
Süffisant merkt er an: «Mir ist nichts bekannt über ein vermerktes Relevanzkriterium namens ‹Hat bei einem Firmen-Merger tatkräftig die Mitarbeiter eingenordet [sic!] und auch ansonsten trotz seines bis dato eher konfrontativen Leitungsverhaltens voll gut performt› - das mag beeindruckend sein für Personen, die leicht beeindruckbar sind vom Treiben in der Finanzwirtschaft».
«Mitglied der Konzernleitung» sei «schon mal nicht enzxklopädisch [sic!] relevanzstiftend», dasselbe gelte auch für «eine Position in einem Verwaltungsrat» und eine «wichtige Rolle bei der Integration der CS» in die UBS. Überhaupt: «Hat Gott diese Position für relevant erklärt?»
Glarner Landrat ist relevant...
Stellt sich die Frage: Wer hat denn überhaupt einen Eintrag bei Wikipedia verdient?
Zum Beispiel Dominic Starkl. Sein Wikipedia-Eintrag in voller Länge:
«Dominic Starkl (*13. September 1990) ist ein Schweizer Politiker (Grüne Partei der Schweiz, GPS). Er war von 2013 bis 2019 Mitglied des Landrates des Kantons Nidwalden.
Leben und Karriere: Starkl ist Mitglied der Grünen Nidwalden. Ab März 2013, als er für Thomas Wallimann nachrückte, war er Mitglied des Landrats, damals das jüngste. Ende 2019 trat er aus beruflichen Gründen vorzeitig zurück. Er absolvierte daneben eine Zweitlehre als Informatiker im Bereich Applikationsentwicklung.»
...UBS-Chef nicht
Der Kanton Nidwalden hat rund 45'000 Einwohner, die Stadt St. Gallen, Stand Juni 2024, 82'298. Ein einziger Stadtkreis der Stadt Zürich hat ebenfalls fast 80'000 Einwohner. Im Landrat von Nidwalden sitzen 60 Abgeordnete.
Die Relevanz eines Landrats in Nidwalden ist somit überschaubar. Und ob einer während der Legislaturperiode eine Zweitlehre als Informatiker absolvierte, dürfte schon gar niemanden mehr interessieren.
Bei derartigen politischen und beruflichen Überfliegern könnte es doch auf Wikipedia auch noch ein Plätzchen für den Verwaltungsratspräsidenten der UBS haben.
Und selbst wenn man Colm Kelleher aus der deutschsprachigen Wikipedia löschen würde: Es gibt immer noch einen Eintrag über ihn in der englischsprachigen Version.
So einfach lässt sich der Kapitalismus dann doch nicht ‹canceln›.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.