Wo dürfen Hunde gar nicht hin, wo müssen sie Leinen tragen? Wann sind Verbote verhältnismässig? Diese Fragen wird das Bundesgericht beurteilen müssen. Und zwar, weil 93 Hundehalter das Polizeireglement der Stadt Wil bekämpfen - bis ganz nach oben.
Seit dem Juni 2016 gibt es in Wil ein neues Polizeireglement, abgesegnet vom Stadtparlament. Darin ist der Leinenzwang auf mehr Gebiete ausgedehnt, und auf bestimmten Arealen haben Hunde gar nichts mehr zu suchen. Dagegen ging eine Beschwerde ein, unterzeichnet von 93 Hundehaltern, die mit dem restriktiveren Reglement nicht einverstanden waren.
Ihr Hauptpunkt: Mit dem neuen Reglement gäbe es kaum mehr Areale in Wil, in denen Hunde frei laufen gelassen werden können. Das sei aber wichtig für das Wohl und die Entwicklung der Tiere.
Die erste Instanz, das kantonale Departement des Innern, wies die Beschwerde ab. Etwas erfolgreicher waren die Beschwerdeführer in zweiter Instanz, dem Verwaltungsgericht. Dieses hiess die Beschwerde teilweise gut. So beurteilt das Gericht beispielsweise den angeordneten Leinenzwang in Wäldern und an Waldrändern als unverhältnismässig und als Verstoss gegen die Tierschutzgesetzgebung. Andere Punkte des Reglements wurden aber geschützt, so das Betretungsverbot auf Friedhöfen.
Mit diesem Teilerfolg geben sich die Beschwerdeführer nun nicht zufrieden. Das sagt der Wiler Tierarzt Sebastian Koller, der die Gruppe vertritt. Man habe beschlossen, den Fall ans Bundesgericht weiterzuziehen.
Vor allem, weil die teilweise Gutheissung der Beschwerde durch das Verwaltungsgericht in der Praxis kaum eine Verbesserung bringe. «Hunde mit einem ausgeprägten Jagdtrieb müssen im Wald stets an der Leine geführt werden müssen, auch wenn dort kein genereller Leinenzwang gilt», so Koller. Damit gebe es für diese Hunde in Wil weiterhin kaum Freilaufmöglichkeiten.
Die Hundehalter fordern innerhalb des Siedlungsraums Areale, in denen sich Hunde frei bewegen können. Es gebe derzeit ein solches «Hundeparadies» an der Oberen Weierwise. Doch soll dort in naher Zukunft ein Stadtpark entstehen. Und nimmt man das neue Polizeireglement beim Wort, würde dann auch dort Leinenzwang gelten.
Dazu kommen Unklarheiten, die das Leben der Hundehalter erschweren. Den Leinenzwang auf Friedhöfen halten sie für berechtigt, ein Betretungsverbot geht ihnen aber zu weit - und ein solches ist im Wiler Reglement festgehalten. Nur ist laut Sebastian Koller auf dem Hauptfriedhof der Stadt Wil nur ein Leinenzwang signalisiert, kein Betretungsverbot. Was gilt nun?
Man wolle mit dem Schritt vor Bundesgericht nicht nur Klärung für den Fall Wil, halten die Beschwerdeführer fest. Zwar wollen sie mit einem Urteil in ihrem Sinn das städtische Reglement «zu Fall bringen», wie sie schreiben. Es gehe aber auch generell um die Beurteilung der Verhältnismässigkeit genereller Leinenpflichten und Betretungsverbote für Hunde. Die «teils absurde Verzettelung der Hundehaltungsvorschriften auf Kantons- und Gemeindeebene» sei ein gesamtschweizerisches Problem.
Denn «dank» des Föderalismus müsste ein Hundehalter, der auf einem ausgedehnten Spaziergang mehrere Gemeinden durchquert, vorher intensiv mehrere verschiedene Reglemente durchlesen und dann immer genau wissen, wo er sich befindet - und sich an teils ganz unterschiedliche Verbote halten.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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