Ostschweizer National- und Ständeräte ziehen Halbzeitbilanz und schätzen die aktuelle Lage ein. Heute: Grüne-Nationalrat Kurt Egger (*1956). Er sagt: «Es hat sich einmal mehr bestätigt, dass das Instrument der Kurzarbeit ein wirksames Instrument ist.»
Wie hat sich das Schweizer Politsystem als Gesamtes in dieser aussergewöhnlichen Lage geschlagen bzw. bewährt?
Das war eine hoffentlich einmalige Situation für Jahrzehnte. Die Schweiz hat die Pandemie insgesamt positiv gemeistert. Natürlich würde man heute vieles anders machen, z.B. in der ersten Welle die Kommunikation, der Einbezug der Wissenschaft (wichtig, aber mehr im Hintergrund), die Zusammenarbeit Bund-Kantone.
Und welches Zeugnis stellen Sie dem Bundesrat aus?
Auch für den Bundesrat war die Situation neu. Wie selten zuvor musste der Bundesrat sehr rasch Entscheide fällen, welche direkte Auswirkungen auf uns alle hatten und welche den Staatshaushalt über Jahre belasten werden. Der Bund hat sicher nicht alles richtig gemacht (Schulschliessungen, Kommunikation, Maskenfrage), aber er hat von der ersten zur zweiten Welle viel gelernt und verbessert. Über die ganze Zeit betrachtet stelle ich dem Bundesrat ein gutes Zeugnis aus.
Welcher Aspekte, welches Ereignis war für Sie in der gesamten Corona-Situation wie ein Schlag in die Magengrube?
Das war sicher der 15. März als die Session abgebrochen wurde und anschliessend der Lockdown startete. Das habe ich hautnah miterlebt. Der Sessionsabbruch durch Entscheid des Parlamentsbüros war im Nachhinein sicher ein überstürzter Entscheid. Man hätte das Parlament einbeziehen müssen.
Was bleibt für Sie hingegen äusserst positiv in Erinnerung?
Die rasche Zurverfügungstellung von Hilfsgeldern (Darlehen, Kurzarbeit) war sehr positiv. Es war auch erstaunlich, wie gut das funktioniert hat, wie rasch die Gelder gesprochen wurden. Die Zusammenarbeit mit den Banken hat bestens geklappt. Das ist sicher einer der Gründe, dass die Schweiz auch wirtschaftlich im Vergleich zu anderen Ländern gut durch die Krise gekommen ist. Es hat sich einmal mehr bestätigt, dass das Instrument der Kurzarbeit ein wirksames Instrument ist.
Bei weiteren Hilfsmassnahmen für die Gastro-, Kultur- und Eventbranche brauchte es viele Diskussionen bis halbwegs akzeptable Lösungen gefunden wurden. Für MieterInnen von Geschäftsliegenschaften gelang das gar nicht.
Woran sollten sich die Wählerinnen und Wähler im grossen Wahljahr 2023 unbedingt zurückerinnern, bevor sie die Wahlzettel ausfüllen?
Sie sollten sich daran erinnern, wer sich in der Pandemie für stark Betroffenen eingesetzt haben: MieterInnen von Geschäftsliegenschaften, Kultur- und Eventbranche, grosszügige Härtefallregelungen für Gastrobranche. Das waren nicht jene bürgerlichen Kreise, die sich vor Wahlen brüsten, die KMUs in der Schweiz zu unterstützen. Es waren wir GRÜNE und linke Parteien.
Und ich hoffe, dass sich die WählerInnen klar sind, dass wir nebst der Coronakrise auch eine Klimakrise haben. Und dass wir die Klimakrise ähnlich engagiert angehen sollten. Dann können wir auch diese Krise meistern.
Welche Bereiche, in denen dringend Handlungsbedarf besteht, gerieten durch die Corona-Diskussionen eher in den Hintergrund?
Mit Corona gerieten tatsächlich einige Themen in den Hintergrund, bzw. wurden während eines Jahres verlangsamt bearbeitet. In denke da insbesondere an die Energie- und Klimapolitik sowie an die Sozialwerke (AHV, Pensionskasse).
Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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