Der Altstätter Andy Keel hat vor zehn Jahren die Jobplattform teilzeitkarriere.ch lanciert. Seither hat sich zwar einige verändert - aber in vielen Dingen herrscht Stillstand.
Wer Karriere machen will, arbeitet 100 Prozent. Wer Teilzeit arbeiten will, disqualifiziert sich für höhere Aufgaben. Das ist auch heute noch die Wahrnehmung vier Firmen und Arbeitnehmer. Als sein Sohn zur Welt kam, beschloss der damalige Banker Andy Keel, dass sich daran etwas ändern muss. Anlass waren seine eigenen Erfahrungen: Er reduzierte auf 80 Prozent, stiess damit aber in seiner Kaderfunktion auf viele Widerstände. Keel rief kurzerhand die Jobplattform Teilzeitkarriere.ch ins Leben. Die Idee: Wer weniger arbeiten und dennoch beruflich vorwärts kommen will, soll schnell und einfach entsprechende Angebote finden.
Von einigen Dutzend Stellenausschreibungen hat sich die Plattform auf heute rund 15'000 qualifizierte Teilzeitjobs entwickelt. Dafür werden täglich rund 30'000 Webseiten von Schweizer Firmen automatisch abgesucht. Im Interview sagt der Rheintaler, warum ihn diese Entwicklung zwar freut, er sich aber noch lange nicht zurücklehnen kann.
Andy Keel, als Sie vor zehn Jahren mit Teilzeitkarriere.ch begonnen haben, wie sah es da mit der Bereitschaft aus, Teilzeit zu arbeiten?
Das war damals noch kaum verbreitet. Der Grund war einfach: Die Männer wollten nicht - und ihre Partnerinnen bestanden auch nicht darauf. Inzwischen sieht das ein bisschen anders aus. Der Anteil an teilzeitarbeitenden Männern ist zwischen 2012 und heute von 11 auf 17,5 Prozent gestiegen.
Woran liegt das?
Zum einen an den egalitären Familienmodellen, die enorm zugenommen haben. Immer mehr Frauen wollen in einem grösseren Pensum arbeiten, immer mehr Männer wollen auch Aufgaben in Haus und Familie übernehmen. Wobei sich die Situation bei den Frauen faktisch nicht gross verändert hat. Nur jede fünfte Frau mit Kindern arbeitet Vollzeit, 80 Prozent sind nicht oder in Teilzeit tätig. Wer 50 oder 60 Prozent als Anwältin oder Betriebswirtschafterin arbeiten will, erhält in der Regel nur einen schlechter qualifizierten Job.
Sie wurden damals aus persönlicher Betroffenheit aktiv. Waren Sie immer überzeugt, dass das Bedürfnis nach Teilzeitstellen bei anderen Männern auch ausgeprägt ist?
Ich habe selbst erfahren, wie mühsam es ist, in einer Kaderfunktion 80 Prozent zu arbeiten. Am Donnerstagabend war Schluss, am Montagmorgen war ich zurück im Büro - und rund um mich definierten sich alle anderen über eine 60-Stunden Woche. Das entsteht ein Kulturkonflikt. Und so ist es auch heute noch. Aber ich wusste, dass eine Nachfrage da ist auf Arbeitnehmerseite. Schwieriger ist es bei den Unternehmen. Da beissen wir uns immer noch die Zähne aus, weil sie keine qualifizierten Teilzeitstellen schaffen werden. Man geht immer noch davon aus, dass man in solchen Funktionen 100 Prozent arbeiten muss.
Man könnte nun argumentieren: Vielleicht tun die Unternehmen das, weil es wirklich anders nicht geht.
Das ist natürlich die offizielle Begründung. Aber ich weiss aus eigener Erfahrung, dass es sehr wohl geht. Aber es erfordert Aufwand. Die Firmen müssen sich anpassen und bereit sein, anders zu führen. Wenn sich ein Chef über seine eigene Präsenzkultu definiert und erwartet, dass sich alle um ihn diesem Rhythmus, Unterorden, dann geht es nicht, wenn die Leute weniger da sind. Und auch Arbeitnehmer müssen in einem solchen Modell flexibel sein, indem sie beispielsweise mal an ihrem freien Tag arbeiten und an einem anderen fehlen.
Immer mehr Unternehmen setzen auf Homeoffice. Kann das eine Alternative sein zu Teilzeitstellen?
Da würde ich sagen: Jein. Was heute schon gemacht wird als Beispiel: Jemand arbeitet 100 Prozent, darf aber den Mittwochnachmittag frei nehmen und die verlorene Zeit an anderen Tagen wettmachen. Das ist oft die Praxis und durchaus auch sinnvoll. Aber ehrlicherweise muss man sagen: 100 Prozent arbeiten und nebenbei Kinder betreuen - das schafft man nicht.
Wird irgendwann Teilzeit der Normalfall sein?
Ich denke da bereits etwas weiter und hoffe, dass das irgendwann gar nicht mehr die Frage ist. Ich denke nicht in Stellenprozenten, sondern in Aufgaben. Welcher Auftrag braucht welche Ressourcen und wie viel Zeit? Es ist auch vorstellbar, dass dereinst Arbeitnehmer für verschiedene Firmen tätig sind und sich die Unternehmensgrenzen auflösen. Dann werden klassische Pensen hinfällig. Allerdings sind wir politisch und rechtlich exakt auf dem entgegengesetzten Weg. Da führt der Trend zu Arbeitserfassungspflicht, detaillierten Gesamtarbeitsverträgen und so weiter.
Teilzeitkarriere.ch ist mit Blick auf das Interesse der Nutzer eine Erfolgsgeschichte. Auch wirtschaftlich für Sie selbst?
Nein. Ich kann mit den Einnahmen eine Mitarbeiterin und die Server bezahlen, danach bleibt nichts übrig. Ich arbeite de facto seit zehn Jahren unbezahlt für die Plattform und verdiene mein Geld mit meinen anderen Unternehmen.
Es gibt einige Entwicklungen, wenn man zehn Jahre seit der Gründung zurückblickt. Ist aus Ihrer Sicht bereits genug geschehen, wenn es um Teilzeitarbeit geht?
Meine Erkenntnis ist heute: Gesellschaftlicher Wandel benötigt sehr viel Zeit. Heute arbeiten zwar mehr Männer in Teilzeit, aber auf politischer Ebene tut sich gar nichts. Es gibt auch keine Partei, die sich aktiv den Themen wie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder dem Arbeitsrecht annimmt. Auch der Arbeitgeberverband spielt aus meiner Sicht eine etwas seltsame Rolle in dieser Frage. Es gibt Absichten wie die Vorschrift, dass bei börsenkotierten Unternehmen 20 Prozent der Mitglieder der Geschäftsleitung weiblich sein müssen. Erfüllt man das, ist alles in Ordnung, tut man das nicht, muss man einfach erklären weshalb. Eine Busse oder andere Sanktionen sind nicht vorgesehen. Alles in allem muss man feststellen, dass wir eigentlich noch am selben Ort stehen wie vor zehn Jahren.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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