Fast schon ein Meisterstück der Diplomatie ist die Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer (IHK) St.Gallen-Appenzell auf die Verschärfung der Coronamassnahmen durch den Bundesrat. Die Rede ist von einem Schock für die Wirtschaft, der Tonfall ist aber konziliant.
Am Ende fragt man sich: Ist die IHK nun himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt? Die Reaktion des Wirtschaftsverbands auf die nächste Runde im Lockdown-Marathon liefert mehr Fragen als Antworten.
Zunächst kommt die erwartete Kritik: «Die heute kommunizierten Corona-Massnahmen treffen einen Grossteil der Ostschweizer Unternehmen hart.» Dann der Sugus: «Bei den Härtefallhilfen schafft der Bundesrat dagegen Klarheit und eine einheitliche Anwendung.» Und schliesslich die eher schwammige Forderung: «Von den Behörden fordert die IHK St.Gallen-Appenzell eine konsistente, klare und überzeugende Kommunikation.»
Es folgt eine lange Phase in der Stellungnahme, in der Verständnis ausgedrückt wird. Die Situation bleibe angespannt, die «hochansteckenden Virusmutationen» sorgen für grosse Unsicherheit, die Fallzahlen sinken nur langsam. Und die bisherigen Massnahmen, befindet die IHK, hätten zwar Wirkung, aber zu wenig. Es sei deshalb nachvollziehbar, dass diese Massnahmen verlängert werden - die Gastronomie lässt dafür sicher danken. Und selbst für «gewisse Ausweitungen» habe man Verständnis bei der IHK St.Gallen-Appenzell.
Dann kommt doch ein Anflug von Kritik: «Die nun beschlossenen Verschärfungen sind in ihrem inhaltlichen und insbesondere zeitlichen Umfang aber ein Schock für einen bedeutenden Teil der Wirtschaft.» Die Unternehmen hätten viel in Schutzkonzepte investiert und wendeten diese nachweislich konsequent an, «doch statt als Teil der Lösung werden sie zunehmend als Teil des Problems behandelt.»
Danach folgt gleich wieder die brave Kehrtwende. Die Massnahmen seien «gleichwohl zu akzeptieren und konsequent einzuhalten». Folgerichtig habe der Bundesrat eine Ausweitung der Härtefallhilfen beschlossen. Damit schaffe er Klarheit für die besonders stark und unverschuldet betroffenen Unternehmen. «Diese Massnahmen sollen nun rasch und schweizweit einheitlich angewandt werden», so die IHK. Sprich: Man schluckt das, was beschlossen wurde, will aber schnell und umfassend Geld sehen für die betroffenen Unternehmen. Das ist notabene auch die Haltung des Gastronomieverbands, der sich nie wirklich gegen die Schliessung der Gastronomie gewehrt, sondern sich früh auf eine Sicherung der Ersatzzahlungen konzentriert hat.
Den Abschluss bildet noch einmal eine Art Aufruf zugunsten der Massnahmen. Dem Bundesrat komme auch die Aufgabe zu, gemeinsam mit den Kantonen die richtigen Signale an die Bevölkerung zu senden. Mit einem «einheitlichen, klaren und überzeugenden Auftreten» müsse rasch die Akzeptanz und das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen und über die Zeit des Lockdowns erhalten werden.
Die Wirtschafts- und Branchenverbände, so viel steht fest, stellen keine grundsätzlichen Fragen an den Bundesrat und seine Coronapolitik. Sie sind bereit, alles umzusetzen, was verordnet wird, solange für den finanziellen Ausgleich gesorgt ist. Wie gut das bei den Unternehmen ankommt, ist eine andere Frage. Gerade in der Gastronomie steht der schweizweite Verband mit seiner eher devoten Haltung über Kreuz mit vielen seiner Mitgliedern. Wie das die Mitglieder der IHK St.Gallen-Appenzell sehen, wird die Zeit zeigen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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