Sie haben ein Vermögen angehäuft? Gratulation. Aber falls Sie es später einer Gemeinde vermachen wollen: Vorsicht.
Sie haben ihr Leben lang gearbeitet, sie haben es zu etwas gebracht und sind umsichtig mit ihrem Geld umgegangen. Jetzt sind sie im letzten Abschnitt ihrer irdischen Existenz, die körperliche und geistige Gesundheit zeigt erste Abnutzungserscheinungen, sie blicken befriedigt oder verbittert zurück auf ihr Tun und Lassen und fragen sich: War es das? Was wird von mir bleiben? Keine Nichte, die meine Porzellansammlung an hohen Feiertagen vorsichtig aus dem Geschirrschrank holt. Kein Mensch, den meine skurrilen Geschichten hinter meinen Kunstkäufen interessieren. Meine damals in der schäbigen Werkstatt gegründete Fabrik längst von einem Hedge Fund aufgekauft. Wird die Erinnerung an mich sterben, sobald mir meine letzten Bekanntschaften ins Grab gefolgt sind? Als hätte ich nie existiert; ich tauche ab in die völlige Bedeutungslosigkeit.
Robidogs für den Nachlass
Sind keine gesetzlichen Erben vorhanden und hat der oder die Verstorbene keine Vorkehrungen getroffen, fällt das Vermögen an den Staat (meist hälftig an die Wohngemeinde und den Kanton). Dort wird es in die laufende Rechnung als Einnahme verbucht und könnte theoretisch für die Finanzierung von Robidogs oder den Bau von Bremsschwellen in den Tempo-30-Zonen eingesetzt werden. Nicht nur der Verstorbene wäre in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, auch sein Vermögen, je nach Lebensphilosophie des Erblassers, wäre nutzlos vertan.
Ein zweckgebundenes Vermächtnis an den Staat schafft Abhilfe. Eine Herzensangelegenheit der Erblasserin oder des Erblassers führt zum dringenden Wunsch, das Vermögen einem sinnvollen Zweck zuzuführen. Eine harte, ärmliche Kindheit auf einem Bergbauernhof veranlasst ihn, einen Fonds für bedürftige Bergfamilien einrichten zu wollen, aus einem Leben für die Kunst entsteht der Wunsch, die Kunstsammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, ein prachtvolles Haus an zentraler Lage in der Gemeinde soll nicht verfallen, sondern als Begegnungsort dienen.
Jahrelanger Prozess
Beispiele solch zweckgebundener Vermächtnisse gibt es viele in der Ostschweiz: Die Gemeinde Tübach (SG) hat von einem Erblasser 20'000 Franken für den Kulturfonds der Gemeinde erhalten. Die Gemeinde Häggenschwil (SG) hat 1986 ein Vermächtnis in der Höhe von 100'000 Franken erhalten. Das Geld sollte gemäss Willen der Erblasserin zugunsten Betagter eingesetzt werden. Per Ende 2013 hatte sich die Summe mit Zinsen und Zinseszinsen mehr als verdoppelt und die Gemeinde will es nun für die Sicherung von Pflegeheimplätzen einsetzen.
Die Gemeinde Bichelsee-Balterswil (TG) erbte drei Millionen Franken ohne Zweckbestimmung. Es dauerte rund vier Jahre, bis die Verwendung des Vermögens feststand. Die Bürger der Gemeinde stimmten an der Urne darüber ab: Zwei Millionen gehen an das Projekt «Wohnen im Alter», der Rest des Geldes wird für die Themen Jugendförderung, Kultur und Freizeit und für die kommunale Gebäudeinfrastruktur verwendet.
Die Heidi-und-Paul-Guyer Stiftung im Besitz der Gemeinde Teufen (AR) erbte im Jahr 2015 einen namhaften Betrag von Adelheid Guyer-Wyss. Die Stiftung sollte in Teufen allgemein wohltätige Zwecke fördern, Tier-, Natur- und Heimatschutz unterstützen, Erholungseinrichtungen finanzieren sowie preisgünstigen Wohnraum schaffen. Der Nachlass kostete den Gemeindepräsidenten Walter Grob das Amt: Er war von Adelheid Guyer-Wyss ebenfalls als Erbe eingesetzt worden. Er verschwieg der Gemeinde diese private Erbschaft, obwohl er als Präsident der Erbteilungskommission und Präsident der Heidi-und-Paul-Guyer-Stiftung amtete. Walter Grob trat zurück.
Nur bis zur Dämmerung
Der Kanton Thurgau erbte kürzlich 6,36 Millionen Franken von Walter Enggist, einem der Kantonsverwaltung bis dahin unbekannten Mann. Dieser wollte mit der Erbschaft dem Kanton danken, weil er ihm den Grundstein für seine Karriere als Informatiker gelegt habe. Die Hälfte des Vermögens geht an die Kantonsbibliothek, die andere Hälfte an das Amt für Archäologie. Mit diesem Geldsegen können die beiden Organisationen innovative Projekte lancieren und finanzieren. Der Kanton hat den Lebenslauf von Walter Enggist rekonstruiert, so gut es die wenigen Quellen zuliessen. Ein vom Kanton produziertes Video erklärt die Hintergründe der Erbschaft. Enggist ist nach seinem Ableben nicht in die Bedeutungslosigkeit entschwunden. Ob ihm das wichtig war, ihm, der sein ganzes Leben allein und zurückgezogen gelebt hatte? Wir wissen es nicht.
Kürzlich erbte die Gemeinde Heiden (AR) eine Million Franken von der Zahnarztfrau Ida Wagner-Rüesch. Ihr Geld gelangte in einen Fond und muss zum Wohl der Jugend, älterer Menschen oder sozial benachteiligter Personen oder Kulturprojekten eingesetzt werden. Über die Vergabe entscheidet eine Kommission. Deren Mitglieder wurden ebenfalls durch Ida Wagner-Rüesch festgelegt.
Viel Arbeit als Folge
Wenn Gemeinden oder Kantone bei einer Testamentseröffnung erfahren, dass sie als Erben eingesetzt wurden, sind die Behördenvertreter im ersten Moment sicher erfreut. Nach genauerem Hinschauen hätte sich der eine oder andere bald gewünscht, er wäre nicht bedacht worden, denn je nach Fall kommt viel Arbeit und im schlimmsten Fall Streit auf die Behörde zu.
Annelise Sutter-Stöttner hatte der Gemeinde Münchwilen (TG) eine Villa, einen Park, Wald und eine Million Franken als Legat vermacht. An das Legat waren mehrere Auflagen geknüpft. So sollte ein Ideenwettbewerb darüber entscheiden, wie der Park umgestaltet und danach für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Das Haus durfte nicht bewohnt werden und sollte ein kultureller Begegnungsort werden. Der Park durfte auf keinen Fall als Fussball- oder Picknickplatz genutzt werden und muss bei Einbruch der Dämmerung geschlossen werden. Es hat Jahre gedauert, bis das Erbe zu einer «Oase für Begegnung, Bildung, Kultur und Kunst», eine Art «Central Park mitten in Münchwilen» wurde. Am 15. August 2016, anlässlich der Einweihung des Parks, konnte Gemeindepräsident Guido Grütter aufatmen: «Mittlerweile hat sich (…) herausgestellt, dass das Legat Sutter kein trojanisches Pferd ist», sagte er damals gegenüber der Thurgauer Zeitung.
Was geht, was nicht?
Zweckbestimmungen und Auflagen können zu Stolpersteinen werden. Wie sollen die Renovation und der Unterhalt einer Liegenschaft finanziert werden, wenn das Vermächtnis kein Geld dafür zur Verfügung stellt? Dürfen in der Villa Sutter oder im Park Abendveranstaltungen stattfinden, wenn es der ausdrückliche Wunsch war, den Park beim Einbrechen der Dämmerung zu schliessen? Darf die vermachte Liegenschaft abgebrochen werden? Wie lange gilt der Wille der Erblasserin?
Recherchen von «Die Ostschweiz» haben gezeigt, dass die Kantone keine Zahlen zum Thema Erbschaften an den Staat erheben. Da viele Vermächtnisse in Stiftungen überführt werden, gibt der «Schweizer Stiftungsreport 2017» einen Anhaltspunkt über den Umfang von Vermächtnissen. Dazu muss jedoch erwähnt werden, dass viele Stiftungen bereits zu Lebzeiten der vermögenden Person gegründet werden. Zum Beispiel Ernst Hohl, in Zürich aufgewachsen, mit Appenzeller Herkunft: Er brachte 2006 seine Liegenschaft an der Bahnhofstrasse 43 / St. Peterstrasse 16 in die Ernst Hohl-Kulturstiftung Appenzell ein. In diesem prächtigen Bau ist jetzt das «Haus Appenzell» beheimatet. Es widmet sich der Vermittlung von Kultur und sieht diese «in einem breiten Spannungsbogen von Tradition und Brauchtum, Innovation und Modernität».
Schweiz an der Spitze
Ende 2016 waren in der Schweiz 13’172 gemeinnützige Stiftungen im Handelsregister eingetragen. Im schweizerischen Durchschnitt gibt es 15,8 Stiftungen auf 10’000 Einwohner. Die höchste Stiftungsdichte weist der Kanton Basel-Stadt aus (46.0), danach folgen mit Abstand Glarus (30.0) und Graubünden (24.9). Am unteren Ende der Liste bewegen sich die Kantone Thurgau (9.1) und Aargau (7.3). Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden liegen mit 20 beziehungsweise 19,1 Stiftungen pro 10'000 Einwohner im ersten Drittel der Rangliste der Kantone, St. Gallen mit 10,1 im letzten Drittel.
Die Werte in der Schweiz liegen deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. Ein wichtiges Kennzeichen der Schweizer Stiftungen ist die hohe Zahl der ehrenamtlichen Stiftungsräte. Der «Schweizer Stiftungsreport 2017» sieht in diesem Umstand ein zukünftiges Problem: Nicht die finanziellen Mittel der Stiftungen würden knapp, sondern die ehrenamtlichen personellen Ressourcen, die eine Stiftung benötigt. Der Report zeigt weiter auf, dass die drei Bereiche Kultur und Freizeit, Sozialwesen und Bildung/Forschung deutlich überwiegen und gemeinsam 81,9 Prozent aller Stiftungen abdecken. Erst mit Abstand folgt das Gesundheitswesen.
Professionelle Geschäftsstelle
Der Aufwand für die Verwaltung der Vermächtnisse in Gemeinden und Kantonen kann nur erahnt werden, insbesondere, wenn es sich um viele, eher kleine Geldsummen handelt. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden gibt es seit 2015 eine Stiftung mit einer professionellen Geschäftsstelle, die solche Erbschaften bündelt: Die Stiftung «Erbprozent Kultur». Philanthropisch eingestellte Personen können 1 Prozent ihres Erbes der Stiftung überlassen. Bereits 2017 konnte die Stiftung 120'000 Franken an Kulturschaffende vergeben. Die zentrale Frage der Stiftung lautet: Möchten Sie sinnstiftend vererben?
Manch eine betagte Person könnte durch diese Frage inspiriert werden. Ist man weder berühmt, besitzt keine Kunstsammlung, keine bedeutende Liegenschaft oder Land, noch kann man auf ein Lebenswerk zurückblicken, und hat dazu keine Nachfahren, kann man sich sagen: Wenn schon in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, dann mindestens sinnstiftend! Die Empfänger der Fördergelder werden es mir danken, und in meinem Sinne vielleicht etwas Bedeutendes erschaffen.
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Danielle Baumgartner (*1961) hat Betriebswirtschaft an der Copenhagen Business School studiert und in einem Zweitstudium Staatswissenschaften an der Hochschule St.Gallen. Sie wohnt in Wil. 2013 hat sie den Essay-Wettbewerb der Zeitung «Der Bund» gewonnen.
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