Der Kanton St.Gallen braucht einen neuen Staatssekretär. Falls Sie interessiert sind: Wir sagen Ihnen alles, was Sie wissen müssen, aber nicht in der Stellenanzeige steht.
Staatssekretär: Das klingt irgendwie wichtig. Und ist es durchaus. Man spricht bei dieser Funktion auch gerne mal vom «achten Regierungsrat» des Kantons St.Gallen. Dennoch bleibt die Funktion im Dunkeln. Hier einige Informationen, die Ihnen die Entscheidung vereinfachen soll, ob sie Ihre Bewerbungsmappe einsenden oder nicht.
1. Sie sind einzigartig
Staatssekretär: Das ist eine St.Galler Besonderheit. Den Titel Staatssekretär kennt man zwar in vielen Ländern. In Deutschland beispielsweise sind es in der Regel die höchsten Beamten in einem Ministerium, die so heissen. Und in der Schweiz wird der Titel eigentlich durch den Bundesrat verliehen, dort geht es um Spitzenbeamte, die das Land auf höchster Ebene im Ausland vertreten. Die rechte Hand der Kantonsregierungen heisst bei uns aber in der Regel «Staatsschreiber». Gerüchtehalber fand der einstige St.Galler Staatsschreiber vor der Jahrtausendwende, der Titel werde seiner Arbeit nicht gerecht, und man änderte ihn zu Staatssekretär. Was an der Aufgabe an sich gar nichts änderte.
2. Sie sind die graue Eminenz
Wir hören ja nicht, was bei Regierungssitzungen so läuft. Rein technisch ist es so, dass Sie als Staatssekretär bei diesen Sitzungen beratend dabei sind, also ohne Stimmrecht. Aber weil Sie Sie als Leiter der Staatskanzlei die Schnittstelle aller Departemente sind, haben Sie neben dem Chef des jeweiligen Departements am meisten Ahnung von den jeweiligen Geschäften - mehr als die anderen Regierungsräte. Deshalb hört man auf Sie. Wer braucht schon ein Stimmrecht, wenn man das ganze Gremium beeinflussen kann?
3. Sie wissen mehr als andere
Leiter der Staatskanzlei, beratender Teilnehmer an Regierungssitzungen - und dasselbe auch bei den Sitzungen des Kantonsratspräsidiums. Sie haben also verschiedene Quellen für Ihre Informationen, und Sie lauschen bei Exekutive und Legislative gleichermassen mit. Mit etwas Geschick und einem gerüttelt Mass an Manipulationslust können Sie den Wissensvorsprung auf jeder Ebene nutzen. Was Sie aber natürlich nur tun, wenn es dem Wohl des Kantons dient, ist ja klar.
4. Anonyme Macht
Vermutlich könnten bei einer Strassenumfrage neun von zehn Leuten nicht alle sieben St.Gallen Regierungsmitglieder aufzählen. Und wenn es einer doch schafft, dann scheitert er spätestens beim Staatssekretär. Dieser segelt unter dem Radar der Öffentlichkeit. Gott sei Dank! Böse Leserbriefe wegen Spitalpolitik, Steuerfuss oder irgendwelchen Bauvorlagen betreffen nie den Staatssekretär, immer das zuständige Regierungsmitglied. Was gibt es Schöneres, als mitreden zu können, aber die negativen Seiten nicht mittragen zu müssen?
5. Sie sind vermutlich der einzige
Falls Sie alles erfüllen, was die Stellenanzeige von Bewerbern fordert, haben Sie wohl keine Konkurrenz. Das Anforderungsprofil würde bedingen, dass Bewerber etwa 100 Jahre alt sind, sonst lässt sich das alles gar nicht unterbringen - ausser natürlich, man hat die Matura mit vier Jahren gemacht. Akademische Ausbildung, danach «mehrjährige erfolgreiche Berufstätigkeit», dann «mehrjährige Führungserfahrung», und das erst noch «in vergleichbarer Position», was auch immer das sein soll. Man muss nüchtern feststellen: Ein Staatssekretär muss offenbar viel mehr können als ein Regierungsrat. Vor allem, weil auch noch Charakterstärke verlangt wird, was ja bei Politikern eigentlich nie einverlangt wird.
6. Sie müssen gewählt werden
Die Regierung macht Vorschläge für die Besetzung des Amts, der Kantonsrat wählt. Theoretisch kann sich auch Max Muster ins Rennen werfen, obwohl die Regierung sein Dossier nicht einmal angeschaut hat. Aber eben: Jede Partei ist schwer daran interessiert, den sogenannten achten Regierungsrat zu stellen. Will heissen: Das oben skizzierte Anforderungsprofil rückt plötzlich in den Hintergrund, wenn man das richtige Parteibuch hat.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.