Vielleicht ist eines der Ziele der Corona-Berichterstattung schon erreicht: «kä Luscht», sagt der Leser, wie weiland unser Bundesrat. Für alle anderen eine Orientierungshilfe.
Die Kampfzone verändert sich ständig. Neben einem drohenden zweiten Lockdown wegen einer angeblichen zweiten Welle, wird das Ausland wieder zunehmend zur Bedrohung, zu Hochrisikogebieten, zu No-go-Areas, zu Zonen, bei denen man sich nach einem Besuch in eine zehntägige Quarantäne zu begeben hat.
Wie schlimm steht es eigentlich zurzeit um das Wüten des Killervirus? Da nehmen wir uns doch den täglichen «Situationsbericht zur epidemiologischen Lage» des BAG vor. Der wirkt etwas kurzatmig, was natürlich an seiner ständigen Aktualisierung liegen mag.
Aber nehmen wir die einzig interessanten Zahlen heraus. Wie viele Todesfälle gab es in den letzten sieben Tagen, dahingestellt, ob es an oder mit Corona war? 6. Wie viele Hospitalisierungen gab es im gleichen Zeitraum, wegen oder mit Corona? 29. Kann man das in Relation zu 100'000 Einwohnern setzen? Knapp ja, 6 Todesfälle ist < als 0,1, die Hospitalisierungen machen 0,3 aus. Wie viele Todesfälle gab es bisher insgesamt? 1734, wenn man den einzigen Todesfall in Liechtenstein mitzählt.
Abgesehen davon, dass das natürlich in jedem einzelnen Fall eine Tragödie ist; Zahlen werden nur verständlich, wenn man sie in Relationen setzt. Wie viele Menschen sterben täglich in der Schweiz? Rund 185. Wie viele davon alleine an Herz- Kreislauferkrankungen? 58. Wie viel Prozent dieser Verstorbenen (alle Zahlen beziehen sich auf 2017) waren über 80 Jahre alt? 61 Prozent. Wenn man die Altersgruppe ab 65 dazunimmt: 87 Prozent. Davon war täglich im Schnitt weniger als ein einziger Mensch in der Schweiz an Corona verstorben.
Wegen einer Grippewelle kam es 2017 in den ersten sechs Wochen zu einer Übersterblichkeit, also zu Todesfällen über dem Mittel, von 1500. Wie viele Tote insgesamt werden bislang Corona zugeschrieben? Rund 250 mehr als bei dieser nicht sonderlich starken Grippewelle.
Wie viel Todesfälle werden in der Schweiz jährlich dem Tabakkonsum zugerechnet? 9500. Wie viel Alkoholabhängige gibt es in der Schweiz? Mindestens 250'000 Personen. Wie viele Todesfälle werden Alkoholmissbrauch zugeschrieben? 1600. Welcher volkswirtschaftliche Schaden wird durch Alkoholmissbrauch angerichtet? Über 4 Milliarden Franken.
Machen diese Vergleiche das COVID-19-Virus weniger gefährlich, soll nun auf alle Vorsichtsmassnahmen verzichtet werden? Nach der Devise: 87 Prozent aller Schweizer sterben sowieso erst ab 65. Viel mehr Schweizer sterben an Tabakmissbrauch, fast gleich viele an Alkoholmissbrauch. Und bislang hat die Anzahl Verstorbener diejenige einer mittleren Grippewelle kaum überschritten.
Also endlich weg mit der Maske, allgemeines Umarmen und Abknutschen, gemeinsame Feierlichkeiten zu Hauf, volle Fussballarenen, endlich wieder Leib an Leib im Club? Nicht unbedingt.
Aber: All die anderen aufgeführten Todesursachen haben niemals auch nur im Entfernten solch drakonische Massnahmenwie Lockdown von Wirtschaft und Gesellschaft bewirkt. Und der volkswirtschaftliche Schaden durch Alkoholmissbrauch wird zum Klacks im Vergleich zu den konservativ geschätzten 100 Milliarden Franken, die der Lockdown bislang angerichtet hat.
Aber ohne wäre es noch viel schlimmer geworden? Das ist als hypothetische Frage nicht zu beantworten. Aber auch hier kann man in Relation setzen. Mit Ländern, die mit der Schweiz vergleichbar sind und eine andere Politik verfolgt haben. Genau, zum Beispiel mit Schweden. Der «schwedische Sonderweg» wurde allenthalben kritisiert, ja beschimpft. Als fahrlässig, unverantwortlich, eine ungeheuerliche Übersterblichkeit in Kauf nehmend.
Es ist zwar richtig, dass auch in Schweden schwere Fehler gemacht wurden beim Schutz von Hochrisikogruppen wie Alten mit Vorerkrankungen. Mit bislang rund 5800 Todesfällen (bei 10,2 Millionen Einwohnern) liegt Schweden tatsächlich deutlich oberhalb der Schweiz. Aber: Seit Ende Juli verzeichnet Schweden täglich zwischen 0 bis maximal 4 Todesfälle wegen COVID-19.
Von einer zweiten Welle, einem dramatischen Anstieg von Neuinfektionen (wie in Spanien, wo einer der drakonischsten Lockdowns in Europa durchgeführt wurde) kann in Schweden keine Rede sein. Aber das kommt halt davon, wenn auch die Schweizer Regierung ihre Entscheidungen für alternativlos hält, sich nur an den Nachbarländern orientiert und, angefeuert von betriebsblinden Epidemiologen, mit der üblichen Verzögerung einfach das macht, was die anderen auch machen.
Also was die Mehrheit macht. Denn in der Herde fühlt sich auch die Schweizer Regierung wohler als alleine auf weiter Flur. Ob das gut oder schlecht für die Schweiz ist, ist eigentlich nebensächlich.
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