Einige Entwicklungen sind nicht aussergewöhnlich. «Die unspektakulärste Erkenntnis ist, weil wir das vermutlich alle so einschätzen, das Bedürfnis der Beschäftigten nach flexibler Aufteilung zwischen Arbeit im Büro und Zuhause ist gewachsen und hat sich verstetigt», führt Thomas Mickeleit an.
Auch dass die Arbeitswelt angesichts von Videokonferenzen, in denen Haustiere sich regelmässig im Bild präsentieren, menschlicher geworden zu sein scheint und Beschäftigte authentischer agieren, mit positiven Folgen für Produktivität und Wohlbefinden, überrascht nicht. Die Zunahme von Remote Jobs ist ebenfalls kein Geheimnis.
Bedenkliche Entwicklungen
Andere Strömungen, welche die Microsoft-Studie aufzeigt, können dagegen durchaus beunruhigend sein. Dazu gehört, dass Führungskräfte in der Schweiz «in einer wesentlich anderen Realität als ihre Angestellten» leben. 74 Prozent der Führungspersonen gaben an, dass es ihnen insgesamt gut geht, während der Wert bei den Angestellten bei nur 42 Prozent liegt. Zudem sind die Führungskräfte mit den Beziehungen zu den direkten Teams und ihren Vorgesetzten zufriedener als ihre Angestellten. «Man kann daraus den Schluss ziehen, Führungskräfte sind zu oft disconnected von ihrem Team», so Thomas Mickeleit. Das kann tatsächlich ein Warnsignal sein, ist doch die Verbindung eine wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende Führung.
Einen für eine nachhaltig gute Produktivität sehr wichtigen Faktor stellt die Gesundheit der Mitarbeiter dar. Deshalb ist es nicht übertrieben, von einer alarmierenden oder besorgniserregenden Entwicklung zu sprechen, wenn sich Mitarbeiter zwar produktiv, aber platt fühlen. Der Studie zufolge beklagen in der Schweiz 59 Prozent eine Überarbeitung, 41 Prozent Erschöpfung – mehr als im Durchschnitt. Dennoch ist dies nach Formulierungen von Thomas Mickeleit «kein Wunder».
Denn die Zeit in Teams-Meetings sei in einem Jahr etwa um das 2,5-Fache gestiegen und nebenbei wurden 40,6 Milliarden E-Mails geschrieben. In diesem Zusammenhang ist auch bedenklich, dass insbesondere junge Menschen mit ihrem Wohlbefinden und ihrer psychischen Gesundheit ringen. «Besonders in der Schweiz ist das ein Problem: 70 Prozent der Befragten sagen, dass sie in der momentanen Lage bloss ums Überstehen kämpfen. Das sind zehn Prozentpunkte mehr als bei den globalen Gen-Z-Befragten», heisst es in der Studie. Dabei wird vor allem dieser Generation eigentlich eine hohe Resilienz zugeschrieben, wie im Blogbeitrag «J'etzt komm ich‘ – die Generation Z betritt die Arbeitswelt» erläutert ist.
Grundlagen werden hinterfragt
Von allen Erkenntnissen ist für den ehemaligen Microsoft-Mitarbeiter am meisten beunruhigend, dass Netzwerke schrumpfen. Während der Austausch im engeren Netzwerk am Arbeitsplatz in der Pandemie zunächst stark gewachsen sei, erodiere er über die Zeit. Zudem gingen Kontakte im weiteren Netzwerk drastisch zurück. Spannend sei, dass es hier eine unmittelbare Korrelation zu Produktivität und Innovationen gebe.
Darüber hinaus sollte der Fakt, dass 41 Prozent der Beschäftigten überlegen, ob sie ihren Arbeitgeber verlassen, Entscheider wirklich zum Nachdenken bewegen. Denn die Pandemie hat diesen Wert laut Thomas Mickeleit «auf einen Höchststand gebracht». Viele Menschen sinnen darüber nach, wie es mit ihrem Leben weiter gehen soll und sind bereit, Grundsätzliches infrage zu stellen.
Die Arbeitswelt bewusst gestalten
Die Zustimmung in den Kommentaren ist ein Zeichen dafür, dass die Work Trends nicht direkt mit anderen Entwicklungen verglichen werden können, etwa zur Digitalisierung der Arbeitswelt. Denn diese sind häufig umstritten. So steht der Angst, die Automatisierung könnte Millionen Menschen arbeitslos machen, die Überzeugung gegenüber, dass die digitale Transformation auch neue Jobs schafft, wie auf der Website des German ICT & Media Institute e. V. dargelegt ist. Dennoch sollten diese Tendenzen berücksichtigt werden. Denn sie verdeutlichen, dass es Veränderungen und mit ihnen eindrückliche Formulierungen schon immer gab und weder Alarmismus noch Verharmlosung angebracht ist. Dennoch braucht es manchmal wachrüttelnde Worte, um die erforderliche Aufmerksamkeit auf die anstehenden Aufgaben zu lenken. Das trifft insbesondere in einer Welt der Informationsüberflutung zu.
Doch auch trotz bewegender Feststellungen gilt es sachlich zu bleiben. Eine solche Haltung hilft, sich der eigenen Fähigkeiten, um Einfluss zu nehmen, bewusst zu werden. «Der Umgang mit Komplexität gelingt dann, wenn Führungskräfte einen kühlen Kopf bewahren, einen Schritt zur Seite treten, das System aus der Distanz und von aussen betrachten und andere Blickwinkel einnehmen können», lautet eine Empfehlung von Franz Kühmayer, Experte für die Zukunft der Arbeit, im Leadership Report 2017, die nach wie vor aktuell ist. Da Veränderungen viele Facetten aufweisen, muss Massgabe sein, sich differenziert mit Neuerungen zu beschäftigen. Entscheider sollten nicht jedem Trend hinterherlaufen. Denn: «Studien hin, Wissenschaftlichkeit her: Die Lehrmeinung von heute kann der erkannte Irrtum von morgen sein», wie Marco Settembrini di Novetre vor Jahren feststellte. Dennoch ist es wichtig, vielen Entwicklungen mit adäquaten Massnahmen zu begegnen.
Madeleine Grawehr ist Partner / Chief Operating Officer bei Nellen & Partner in St.Gallen.
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