Fast jedes Medium hat seine Corona-Bastelecke. Sie sind überfüttert mit Zahlen? Da hätte ich was garantiert was Neues für Sie.
Zahl der Neuinfektionen. Hospitalisierungen. Todesfälle. Reproduktionszahl. Untersterblichkeit und Übersterblichkeit. Tote, Infizierte und Genesene. Anzahl Tests, pro Tag und im 7-Tage-Durchschnitt. Erste Welle, zweite Welle, Hochrisikoländer.
Anzahl Tote, aber an Corona gestorben oder mit? Und überhaupt: Wie steht die Schweiz eigentlich da? Gut oder schlecht? Im Vergleich zu wem? Schwierig, Zahlenerhebungen sind unterschiedlich. Braucht es neuerdings mehr Restriktionen oder weniger? Ist das schwedische Modell nun gescheitert oder ein Erfolg?
Wenn es heute 304 bestätigte Neuinfektionen gab, und Ende Juni fast keine, ist das besorgniserregend oder nicht signifikant? Wie steht’s um die Betten in den Intensivstationen? Genügend da, oder bald Krise? Und die Beatmungsgeräte; haben wir genug oder zu wenig?
Gibt’s mehr Infizierte, weil mehr Tests durchgeführt werden? Die NZZ, wie meist vorbildlich, liefert in 29 Schaubildern und Tabellen täglich aufgefrischt alle Zahlen und Daten zu Corona. Super. Dann können Sie sicher drei einfache Fragen beantworten.
Welche sind die drei wichtigsten Indikatoren?
Aus welchen Gründen müssten schärfere Restriktionen beschlossen werden?
Wie bewältigt die Schweiz die Krise, im Vergleich zu Europa, zu Schweden, zu den USA?
Sie wissen alle drei Antworten? Gratuliere, dann können Sie hier aufhören zu lesen. Wenn nicht, ich verrate Ihnen die Antwort auf die erste Frage. Die Reproduktionsrate, die Übersterblichkeit und die Anzahl Corona-Patienten auf der Intensivstation.
Natürlich müssen alle drei Zahlen korreliert werden. Wenn zum Beispiel die Anzahl der Neuinfizierten sich verdoppelt, aber gleichzeitig doppelt so viele Tests durchgeführt werden, dann bedeutet das: keine Veränderung.
Eine Frage kann allerdings niemand so richtig beantworten: Wenn wir uns nun schon ganze sieben Monate bemühen, aussagekräftige Zahlen zu eruieren, aufgrund derer die Regierungen die richtigen Entscheidungen treffen können, wieso gibt es die nicht?
Wieso werden aus der Zahl der Infizierten weder die Genesenen, noch die Verstorbenen herausgerechnet? Wieso gibt es bis heute keine belastbaren Hochrechnungen, wie der Durchseuchungsgrad in der Schweiz aussieht? Wieso ist das sieben Monate lang nicht möglich, während nach jeden Wahlen fünf Minuten nach Schliessung der Wahlurnen die ersten Hochrechnungen vorliegen?
Ohne belastbare Zahlen, wie soll man entscheidende Massnahmen beschliessen, wenn es unter den Wissenschaftlern wie eigentlich immer sich völlig widersprechende Meinungen gibt? Soll man auf die Beamten des Bundesamts für Gesundheit hören, die noch nicht mal ein paar Zahlen richtig zusammenzählen können? Soll man auf die Ratschläge eines der vielen, vielen Krisenstäben hören?
Oder anders gefragt: Ist das noch Unfähigkeit – oder schon Absicht? Soll das Gemurmel von einer zweiten Welle davon ablenken, dass bei der ersten hyperventiliert und masslos reagiert wurde? Soll die Stigmatisierung von Menschen, die gegen die aktuelle Corona-Politik demonstrieren, alle Kritik an den Entscheidungen der Landesregierung niederbügeln, die uns mindestens 100 Milliarden Franken kosten werden?
Wir sind uns wohl einig: so viele Zahlen, so viele Fragen. So wenig Antworten.
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