Die Digitalisierung ist zwar in aller Munde, sie wird aber in der aktuellen Politik zu kurz gesehen
Es zeichnet sich ab, die Digitalisierung wird im Eidgenössischen Wahlkampf 2019 eine zentrale Rolle einnehmen. Alle Parteien haben ihre Wahlprogramme um dieses Schlagwort ergänzt, leider aber oft mit zu wenig Tiefe. Denn oftmals wird die Digitalisierung nur technisch gesehen und bewertet, entweder als Chance für Innovation und Fortschritt oder als Gefahr für Arbeitsplätze und Privatsphäre.
Aussen vor bleiben aber mehrheitlich Positionsbezüge zu den gesellschaftlichen, sozialen, ökologischen und staatspolitischen Veränderungen des unausweichlichen digitalen Wandels.
Die meisten Parteien nehmen die Digitalisierung erstmals in ihr Wahlprogramm auf, mit Forderungen zur «digitalen Wirtschaft», «digitalen Verwaltung» oder «digitalen Infrastruktur». Alles wichtige Themen, die aber aus meiner Sicht noch breiter ausgerichtet werden müssen, etwa auf die Bereiche «Gesellschaft und Familie», «Arbeitswelt» oder «Bildung».
Digitalisierte Gesellschaft und Familie
Wir spüren es täglich selbst, das Leben in einer zunehmend digitalisierten Welt verändert unser Verhalten enorm. Für viele von uns bringt die Online-Welt grosse Vorteile; gebührenfreie Kommunikation, internationale Vernetzung, Austausch in sozialen Netzwerken, einfacher Zahlungsverkehr, Online-Shopping, Navigations- und Auskunftsdienste, Wissensdatenbanken etc.
Diese Dienste sind in unserem Alltag bereits selbstverständlich und ganz auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtet. Diesen neuen Optionen und Chancen stehen aber auch negative Veränderungen entgegen, etwa zunehmende Vereinsamung und soziale Entfremdung. Anstelle einer offenen und vernetzten Welt, wie sie zum Beispiel Social Media Dienste gerne darstellt, bewegen wir uns in Filterblasen, schlagen uns mit Fake News herum und bangen um den Schutz unserer persönlichen Daten.
Auf der einen Seite wird also vor einer wachsenden Gefahr für die Stabilität des Miteinanders gewarnt, während andererseits Potenzial erkannt wird, fremden Menschen und Kulturen offener und toleranter zu begegnen, sich zu vernetzen und den Alltag einfacher zu gestalten.
Diese Erkenntnis fordert von der Politik eine gezielte Förderung der Digitalisierung als verlässliche Kommunikations- und Wissensplattform bei gleichzeitiger Sensibilisierung für die Einbettung von digitalen Projekten und Prozessen in den gesellschaftlichen Alltag. Die Swiss ID ermöglicht beispielsweise erleichterten Zugang zu Online-Dienstleistungen grosser Schweizer Institutionen mit ein und demselben Login. Solche Angebote schaffen Vertrauen und erleichtern die digitale Transformation.
Mit Bezug auf die Familie steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund, die dank digitaler Technologien entscheidend verbessert werden kann. Cloud-Lösungen und ortsunabhändiger Austausch untereinander ermöglichen mehr Freiheiten. Gleichzeitig führt die dadurch geforderte Mobilität und Flexibilität dazu, dass sich private und berufliche Bereiche zunehmend überschneiden.
Die richtige Balance zu finden um auch abschalten zu können, wird zur Herausforderung. Hier gilt es politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die jedem Einzelnen grösstmögliche Freiheit bieten, das für ihn passende Lebensmodell zu wählen.
Digitalisierte Arbeitswelt
Damit sind wir bei der Arbeitswelt, die durch die Digitalisierung vertikal wie horizontal verändert wird. Vertikal verändern Unternehmen die interne Organisation, etwa durch kürzere Wege, flachere Hierarchien oder transparentere Prozesse. Horizontal wird der Austausch mit Lieferanten und Kunden beschleunigt, Prozesse in der Wertschöpfungskette werden dynamischer und effizienter oder gar übersprungen.
Unbestritten ist, dass vor diesem Hintergrund von den Arbeitskräften höhere Qualifikationen und mehr Flexibilität gefordert wird. Allein schon die Kompetenz, mit der stetigen Veränderung Schritt zu halten, fordert in hohem Masse heraus.
Damit aktive wie künftige Arbeitnehmer diese Herausforderungen bewältigen können, muss die Politik dafür sorgen, dass Erwerbstätige auf diese Entwicklungen gut vorbereitet sind. Im Zentrum steht dabei die Förderung von Kompetenzen, die der digitalisierte Arbeitsmarkt fordert; etwa Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft oder lebenslanges Lernen.
Gerade für die Schweiz als rohstoffarmes Land bietet die Industrie 4.0 ein grosses Chancenpotenzial. Die dazu notwendigen Rahmenbedingungen sind bei uns offensichtlich noch zu wenig ausgestaltet. Denn beim Ländervergleich «The Global Innovation Index 2017» steht die Schweiz beispielsweise beim E-Government auf Platz 64 von 127 bewerteten Staaten. Auch eine kürzlich erschienene Studie des WEFs zeigt, dass die Schweiz ihre Spitzenposition bei der Wettbewerbsfähigkeit abgeben musste. Der Auftrag an die Politik ist damit klar!
Digitalisierte Bildung
Wer Veränderungen in der Arbeitswelt fordert, muss in der Bildung ansetzen. Dies um so mehr, als rund 60 Prozent der heutigen Erstklässler einmal einen Job ausüben werden, den es heute noch gar nicht gibt.
Vordergründig werden Veränderungen im Schulbetrieb gefordert; etwa digitale Unterrichtsformen, Befähigung zu individuellem Lernen oder der Wandel der Lehrperson vom Wissensvermittler zum Ratgeber, Mentor und Supporter. Daten und Informationen sind heute überall verfügbar, die Herausforderung liegt im sinnvoll bewerten und anwenden.
Nachhaltiger Wandel im Bildungswesen darf sich aber nicht auf den Informatikeinsatz im Unterricht oder den Umgang mit Internettechnologien beschränken. Vielmehr muss sich die Grundeinstellung der Lernenden zum Lernen und Arbeiten selbst verändert.
Lernen darf kein Selbstzweck mehr sein, sondern muss motivieren, Freude bereiten und Neugier wecken. Wissenstransfer und Selbststudium sind dazu genauso wichtige Stichworte wie kulturübergreifender Austausch und gesellschaftliche Interaktionen.
Einen besonders hohen Stellenwert erhält im Bildungswesen die Steigerung der Sprach- und Kommunikationskompetenzen. Denn im beruflichen Alltag der Zukunft wird vermehrt im virtuellen Raum in Echtzeit und grenzüberschreitend kommuniziert. Basis dafür sind Fremdsprachen-Kenntnisse, insbesondere in Englisch. In Zukunft werden sich einige wenige Sprachen weltweit etablieren, die durch Sprachprogramme perfekt umgewandelt und damit auf allen Kontinenten verstanden werden.
Digitalisierter Generationenwechsel
Natürlich könnte das Themenfeld «Digitalisierung» noch breiter auf unseren Alltag, unsere Gesellschaft und unsere direkte Demokratie ausgerollt werden. Mir geht es mit diesen drei plakativen Darstellungen darum aufzuzeigen, dass Digitalisierung uns alle in jedem Lebensbereich und über unseren ganzen Life Cycle herausfordert.
Die Politik ist daher gut beraten, das Thema «Digitalisierung» nicht nur auf Wirtschaft, Technologie und Infrastruktur zu reduzieren, sondern die digitale Revolution als Umbruch unserer Gesellschaft und unseres Zusammenlebens zu begreifen.
Es braucht in den politischen Gremien vielleicht zuerst einen Generationenwechsel, damit dieser ganzheitliche Ansatz im politischen Alltag verstanden und die notwendigen Schritte zeitgerecht eingeleitet werden.
Karin Weigelt (*1984) ist eine ehemalige Schweizer Handballnationalspielerin. Sie ist Unternehmerin und kandidiert 2019 als FDP-Politikerin für den Nationalrat. Karin Weigelt wohnt in Sargans.
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