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Mit Begriffen wird Stimmung gemacht

Zuerst Coronaleugner, dann Coronaskeptiker - und was heisst es morgen?

Hoch umstrittene Massnahmen wie die allgegenwärtige Schutzmaske dürfen bekanntlich nicht hinterfragt werden. Was aber immer geht: Die Fragenden diffamieren. Neuerdings heissen Coronaleugner einfach Coronaskeptiker. Besser wird damit leider gar nichts.

Stefan Millius am 18. September 2020

Mit dem «Fussvolk», also den ganz normalen Bürgern, die die Welt nicht mehr verstehen, kann man fast alles machen. Man kann sie zum Beispiel ungestraft als «Coronaleugner» bezeichnen. Der Begriff ist irreführend, wenn man es nett sagen will. Im Grunde ist er eine Diffamierung erster Klasse. Es ist eine verschwindend kleine Gruppe, welche die Existenz des Coronavirus generell abstreitet, also leugnet. Aber man will ja eine grosse Gruppe damit treffen.

Das Etikett erhalten deshalb seit mehreren Wochen auch Menschen, die lediglich finden, dem Virus werde unverhältnismässig oder mit den falschen Massnahmen begegnet. Das ist beileibe keine kleine, irre Truppe. Das sind weite Teile der Bevölkerung. Selbst Wissenschaftler von Weltrang sind damit plötzlich Coronaleugner. Aber ein paar Dutzend Journalisten können buchstäblich hunderttausende von Menschen damit diskreditieren.

Das ist, wie wenn jemand bezweifelt, dass Sonnencréme das beste Mittel gegen Sonnenbrand ist. Sind das dann Sonnenbrandleugner? Kaum. Sie leugnen nicht den Sonnenbrand, sondern stellen die Methode dagegen in Frage. Verzeihung für das sehr banale Beispiel, aber Banalität hilft oft, banale Dinge zu verstehen.

Was mit dem Fussvolk geht, geht bei anderen nicht mehr. Die Bühnenkünstler Marco Rima und Andreas Thiel beispielsweise, zwei heftige Kritiker der Coronaschutzmassnahmen, werden von den an der Seite des Bundesamts für Gesundheit kämpfenden Massenmedien nicht als Coronaleugner bezeichnet. Weil man dort weiss, dass das keiner glauben würde. Also erfindet man einen neuen Begriff, quasi einen für die Promikategorie. Er lautet: Coronaskeptiker.

Das klingt ein bisschen sanfter, abgeschwächt. Das Problem ist nur: Es ist genau so falsch wie Coronaleugner. Und Menschen, die mit der Sprache arbeiten, allen voran Journalisten, wissen das genau. Denn ob Hans Müller oder Marco Rima, Klärly Meier oder Andreas Thiel: Fast niemand «leugnet» das Virus an sich, und fast niemand ist «skeptisch», was die Existenz des Virus angeht.

Es ist ein sehr subtiler, sehr hinterhältiger und auch sehr durchsichtiger Versuch, kritische Menschen ins Abseits zu stellen. Ihre eigentliche Mission, den Dialog über den richtigen Umgang mit dem Virus zu eröffnen, wird torpediert, indem man sie mit dem Prädikat «Leugner» oder «Skeptiker» ins Abseits stellt.

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Dasselbe hat schon beim Klima funktioniert. Leute, die den Klimawandel nicht abstreiten, aber finden, die Ursachenforschung und die angedachten Gegenmittel seien fehlerhaft, waren «Klimaleugner». Wäre die Debatte noch eine Weile weitergegangen, hätten wir mit Sicherheit auch bald «Klimaskeptiker» gehabt, aber Greta wurde von Corona abgelöst, so weit kamen wir nicht.

Erstaunlich ist das Ganze vor allem, weil die von den angeblichen Skeptikern oder Leugnern angesprochenen Themen derart auf kritische Fragen anfällig sind, dass sie eigentlich jeder stellen sollte, allen voran die Journalisten, die diese diffamierenden Begriffe verwenden. Inzwischen hat im Grunde jedes halbwegs ernstzunehmende wissenschaftliche Institut, das sich mit dem Thema befasst, den Effekt von Schutzmasken relativiert. Alle weisen darauf hin, dass kaum jemand mit der Maske richtig umgeht und diese damit sinnlos ist, dass man wenn überhaupt für unterschiedliche Situationen verschiedene Masken tragen müsste, dass die Schutzmaske andere, weit effektivere Massnahmen wie die Distanz torpediert und so weiter. Es liegt eine solche Flut von Zweifeln auf dem Tisch, dass das Hinterfragen der Maskenpflicht nicht etwa exotisch, sondern der Standard sein sollte.

Aber was passiert stattdessen? Kantone weiten die Maskenpflicht aus, Medien rapportieren die Pflicht brav weiter, keiner stellt Fragen, und wer es dennoch tut, ist je nach Promigehalt ein Coronaleugner oder ein Coronaskeptiker. Nie in der Geschichte dieses Landes hat ein ganzer Berufsstand seine angestammte Aufgabe dermassen verweigert wie derzeit Journalisten. Es ist, als würde Jesus zu seinen Jüngern sprechen, sobald das BAG oder Kantonsregierungen Massnahmen verordnen. Nicken allenthalben. Alles andere wäre Majestätsbeleidigung. Oder eben Gotteslästerung.

Fragen sind schwer aus der Mode gekommen. Und das ausgerechnet bei dem Berufsstand, dessen einzige Daseinsberechtigung Fragen sind: Journalisten.

Ein kleines Beispiel. Die Schweiz hat 26 Kantone. Waadt ist derzeit der Corona-Hotspot. 40 Prozent der gemeldeten Fälle stammen von dort. Weit mehr als ein Drittel. Diese Zahl wurde vom BAG veröffentlicht und schön weiterverbreitet von den Medien. Niemand hinterfragte sie.

26 Kantone, ein einziger generierte nach einer der jüngsten Auswertungen 40 Prozent der neuen Ansteckunger. Jeder, der von wissenschaftlicher Methodologie auch nur ansatzweise Ahnung hat, weiss: Wenn ein solcher Wert auftaucht, den der gesunde Menschenverstand nicht nachvollziehen kann, beginnt sofort die Suche nach dem Fehler. Sprich: Man muss zwingend einfach einmal davon ausgehen, dass das gar nicht stimmen kann. Und darauf folgen Fragen: Gab es Messfehler? Hat sich jemand bei einer Kommastelle vertan? Gibt es sonst eine schlüssige Erklärung?

Das ist eine unausweichliche Massnahme. Wenn man nach diesem Prozess zum Schluss kommt, dass alles sauber gelaufen und berechnet worden ist, dann ist es in der Tat so: Waadt, so unglaublich es klingt, ist im Alleingang für 40 Prozent der neuen Fälle verantwortlich. Und wir wissen es mit Sicherheit. Aber vor dieser Erkenntnis muss der Zweifel stehen, weil schlicht alles dagegen spricht, dass das so ist.

Aber das passiert nicht. Kein Journalist zweifelt die nackte Zahl auch nur für einen Moment an. Viel wichtiger, als sie zu hinterfragen, ist es, dem Volk möglichst schnell zu sagen, dass es so ist. Ohne die Stirn zu runzeln. Die meisten Zeitungen sind heute nichts anderes als grosse Anschlagbretter, an die Vertreter von BAG und Kantonen ihre Post-it-Zettel hängen können. Ungefiltert. Nicht einmal die offensichtlichsten Absurditäten dürfen hinterfragt werden.

Warum? Vermutlich, weil es Redaktionen in der Vergangenheit in der Tat immer mal wieder mit ziemlich durchgeknallten Wirrköpfen zu tun hatten. Menschen, die einfach hinter jeder noch so gut abgestützten wissenschaftlichen Erkenntnis eine Weltverschwörung sahen. Ja, es gibt Leute, die ohne den geringsten abgestützten Ansatz selbst das einfachste Naturgesetz bezweifeln. Sie haben den Journalisten das Leben schwer gemacht, haben den Begriff der «Lügenpresse» - oder harmloser: Mainstreammedien - geprägt und den ganzen Berufsstand in Sippenhaft genommen. Sehr oft zu Unrecht.

Aber jetzt in einem Umkehrreflex jedem Menschen, der berechtigte Fragen stellt, unterzuschieben, ebenfalls ein verwirrter Verschwörungstheoretiker zu sein, ist unprofessionell und unfair. Im Moment übernehmen Heerscharen von kritischen Laien die Arbeit, die eigentlich Journalisten machen müssten: Das in Zweifel zu ziehen, was sehr offensichtlich anzuzweifeln ist. Wo man einfach fragen muss. Nicht darf. Muss.

Aber wenn man selbst zu faul ist, zu hinterfragen, dann gibt es ja ein einfaches Mittel, der Arbeit aus dem Weg zu gehen. Man bezeichnet Kritiker einfach als Coronaleugner. Oder Coronaskeptiker.

Job erledigt.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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