Wir gratulieren uns. Wir freien Eidgenossen sind wieder in den Zustand des verschärften Lockdowns eingetreten. Das ist natürlich nur zu unserem Besten. Wozu denn sonst?
Es gibt den angeblich von Churchill stammenden Spruch, dass er nur Statistiken glaube, die er selber gefälscht habe. Das ist ein hübsches Bonmot und wird gerne in jeder Debatte über die Aussagekraft von Statistiken angeführt. Natürlich vor allem von denen, die diesen Aussagen nicht über den Weg trauen.
Das war vor Corona erlaubt. Mit oder ohne Begründung konnte man sagen: glaube ich nicht. Im Sozialismus war das eher riskant, wenn man es wagte, an der neuerlichen Planüberfüllung in der Höhe von 127 Prozent zu zweifeln. Ob mit oder ohne Begründung, egal, ein Konterrevolutionär erhob sein hässliches Haupt.
Lockerer ging man mit solchen Kritiken im freien Westen um. Blieb es bei der begründungslosen Behauptung: «Ich glaube nicht, dass die Arbeitslosenzahl tatsächlich so stark gesunken ist», dann wurde das auch nicht mit einem Gegenargument gewürdigt.
Wird begründet, wird meistens dagegen argumentiert oder einfach mit den Schultern gezuckt. Es ist zum Beispiel altbekannt, dass die Art, mit der die Inflation gemessen wird, nur begrenzt etwas mit der Realität zu tun hat. Deshalb spricht man auch von «gefühlter Inflation», wenn zum Beispiel Immobilienpreise oder KK-Prämien durch die Decke gehen. Weil sie nicht im Warenkorb enthalten sind, macht aber der Inflationsindex keinen Wank.
Nun gut, aber auch diese Zeiten sind in den neuen Zeiten vorbei. Wer, auch wohlbegründet, etwas gegen Corona-Statistiken sagt, kann sich aussuchen, was er ist. So vom Harmlosen zum Crescendo: Er ist ein Laie. Hat von Statistiken und Mathematik keine Ahnung. Er ist verantwortungslos und fahrlässig. Er ignoriert die Realität. Ist ein Corona-Leugner. Ihm sind die Corona-Toten egal. Er ist ein Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikaler, Aluhutträger.
Mit einem Wort: Volltrottel. Harmlos oder gefährlich, je nachdem. Nun ist es doch so, dass Statistiken einen bedeutenden Einfluss auf gravierende Entscheidungen haben. Auch von Fachleuten und Wissenschaftlern dafür verwendet werden, um Einschätzungen, Forderungen zu begründen.
Das gilt auch für den Bundesrat. Der R-Faktor, die Infektionsrate, die Anzahl von Neuinfizierten, die Anzahl von Corona-Toten. Extrapolieren, wie lange es bei gleichbleibenden Zahlen dauert, bis es das Gesundheitssystem lupft. Sind diese Zahlen wirklich richtig, aussagekräftig, belastbar? Reichen sie aus, um ein zweites Mal zu rechtfertigen, Gesellschaft und Wirtschaft in ein künstliches Koma zu versetzen?
Sind die damit verbundenen Kosten verhältnismässig, zu verantworten? Ausserhalb von Kreisen, die moralisch erschüttert jeden Zusammenhang zwischen Geld, Wirtschaft und Leben zurückweisen. Aber die Ersten wären, die sich genauso vehement gegen eine Verdoppelung der KK-Prämien wehren würden, wenn man versuchte, ihr Credo «die Rettung eines Lebens kann nie eine Geldfrage sein, weil es unbezahlbar ist» umzusetzen.
Gut, das ist die übliche Heuchelei des «da sollte man mal, da müsste man, wieso tut man nichts. Was? Ich? Aber nein, als Einzelner, ausgeschlossen.» Aber zurück zu den Statistiken: Es ist auch dort keine Frage der Anschauung, Moral oder Gesinnungsbrille, dass man diverse Fragezeichen hinter die offizielle Interpretation setzen kann und muss.
Vorsicht, der unschuldige Leser wird hier ausdrücklich gewarnt: Jetzt beginnt die Zone der zweifelhaften, verantwortungslosen, unqualifizierten Stänkerei. Damit ich das nicht selbst tun muss, biete ich eine Plattform als Lese- und Verständnishilfe an: Sie heisst Bon pour la tête.
Nein, das ist keine Webseite für den Austausch von Ratschlägen, wie man den Aluhut richtig faltet. Sondern sie wurde 2017 nach dem Ende von «L’Hebdo» gegründet und von durchaus zurechnungsfähigen Journalisten betrieben. Leider hindert der Röstigraben daran, dass sie auch in der Ostschweiz genügend Beachtung findet.
Zugegeben, es ist überraschenderweise auf Französisch, aber das sollte man ja noch schaffen. Wer damit Mühe hat, ich bitte um besondere Beachtung von «Tableau 3». Hier geht es um die Alarmschreie, dass 2020 mit einer dramatischen Übersterblichkeit geendet habe, was die Gefährlichkeit des Virus belege und alle Stänkerer, die die drastischen Reaktionen kritisieren, als unverantwortliche Unmenschen demaskiert.
Öhm. Oder doch nicht. Aber wer soll da auch noch drauskommen, Gesundheitsminister Berset wird schon das Richtige machen. Macht er das? Von Wissenschaftlern beraten, die sich widersprechen, falsche Prognosen in die Welt setzen, sich darüber beschweren, dass man nicht einfach ihren Forderungen und Ratschlägen folgt?
Als lebenslanger Berufspolitiker, der von Medizin, Virologie, Pandemie eigentlich keine Ahnung hat? Der behauptet, die völlig normalen Mutationen bei dieser Art Virus seien ein «Gamechanger»? Der Wissenschaftler weiter fröhlich rumkrähen, twittern, sich widersprechen, absurde Forderungen und Prognosen aufstellen lässt? Öffentlich?
Man schaue sich einfach mal eine Impfdosis andere Interpretation der gleichen Zahlen an. Und ziehe seine Schlüsse selbst. Nur begleitet von der Packungsbeilage: ich behaupte keinesfalls, dass diese Analyse von «Bon pour le tête» die einzig richtige Wahrheit sei. Ich behaupte nur: die offizielle Interpretation wohl auch nicht. Das würde ich noch gerne weiter ausführen, aber ich merke gerade, dass ich eine neue Schicht auf meinen Aluhut packen muss; die Todesstrahlen werden intensiver.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.
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