Es müsste ein kleines Wunder geschehen, damit am Sonntag nicht der St.Galler Regierungsrat Benedikt Würth zum neuen Ständerat gewählt wird. Aber weil jede Partei ihre eigenen Zahlenspiele anstellt, hofft auch jede einzelne von ihnen weiterhin.
Szenario 1: Die Frauen machen mobil, die drohende krasse Untervertretung im Ständerat ist für sie nicht hinnehmbar. Also werden die Frauen in Scharen an die Urne gehen am 19. Mai und Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP) zur neuen St.Galler Ständerätin wählen.
Szenario 2: Das neue Waffenrecht polarisiert bis weit in die Reihen der Stammtische. Es wird eine hohe Stimmbeteiligung geben am Sonntag, und angelockt werden vor allem Gegner des Gesetzes. Sie fühlen sich von Mike Egger (SVP) vertreten, also wird er neuer Ständerat.
Das sind stark verkürzt zwei Hoffnungsszenarien von FDP und SVP. Diesen gegenüber steht die Tatsache, dass CVP-Kandidat Benedikt Würth in der ersten Runde klar am meisten Stimmen erhalten und sich die Groswetterlage nicht stark verändert hat. Was zu Szenario 3 führt: Würth wird gewählt.
Denn jedes der beiden anderen Szenarien greift nur, wenn es explizit Würth Stimmen wegnimmt. Ihm und nur ihm gilt die Aufholjagd. Zudem führen umstrittene Vorlagen wie das erwähnte Waffenrecht nie nur zur Mobilisierung einer Seite; die andere wird gerade dadurch auch auf den Plan gerufen.
Gut möglich also, dass alles, was jetzt für den einen und gegen den anderen Kandidaten angeführt wird, neutralisiert wird von der entsprechenden Gegenbewegung. Und damit das scheinbare Drama des zweiten Wahlgangs ziemlich spannungslos und mit einem deutlichen Resultat verlaufen könnte.
Was die Frauenfrage angeht: Der Ständerat ist ein schlechtes Tummelfeld für diese. Es wäre tatsächlich unschön, wenn nach den ordentlichen Wahlen im Herbst nur noch eine Handvoll Frauen - wenn überhaupt - im Ständerat wären. Aber gewählt werden zwei Personen pro Kanton (von den ganz kleinen abgesehen), und bei zwei Sitzen ist eine inoffizielle Geschlechterquote von 50 Prozent verfehlt.
Ja, ein gemischtes Doppel hat seine Vorteile. Aber wurde die Forderung durchdacht? Es könnten ja im Gegenteil sogar dereinst einmal zwei Frauen im Amt sein, und dann würde bei den folgenden Wahlen ja auch kaum von Frauenseite der Ruf nach einem «gemischten Team» und der Wahl eines Mannes aufkommen. Wenn man mal hat, was man möchte, sind die früheren Forderungen oft überholt und werden totgeschwiegen.
Und wer argumentiert, dass das gemischte Doppel im St.Galler Ständerat «Tradition» habe, weil das viele Jahre so war: Es war davor viele Jahre so, dass zwei Männer die Ständeratssitze inne hatten. Aber deshalb wird kaum einer sagen, es sei schade, dass man diese alte Tradition gebrochen hat.
Deshalb läuft es letztlich auf Wissen, Können, Erfahrung, Netzwerk und politische Positionierung heraus - und auf nichts anderes. Der letzte Punkt wird erfahrungsgemäss von parteigebundenen Wählerinnen und Wählern höher gewichtet. Die grosse Masse gehört aber keiner Partei an und wählt davon losgelöst. Und da hat Würth ganz einfach einen Vorsprung. Ob man das nun mag oder nicht.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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