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Schweige-Gelübde

Neugewählte Parlamentarier sollen in einer ersten, zeitlich nicht genau begrenzen Phase, dem Treiben nur staunend zuschauen und gefälligst schweigen. Der historisch gewachsene Unsinn sollte endlich der Vergangenheit angehören.

Stefan Millius am 02. Dezember 2019

Nein, es ist kein Bestandteil der Parlamentsordnung. Es ist vielmehr eine dieser seltsamen inoffiziellen Regeln, die irgendwann mal eingesetzt und seither jeder neuen Generation weitergereicht werden. Diese hier lautet: Wer neu ins nationale Parlament gewählt wird, sollte sich weder vors Mikrofon trauen noch Vorstösse einreichen.

Das macht keinen Sinn. Wir wählen die Leute doch nicht, damit sie für die Startphase möglichst inaktiv bleiben. Das ist höchstens im Interesse altgedienter Parlamentarier, die nicht wollen, dass ihnen die Neulinge vor der Sonne stehen. Solange sich die neuen Leute an die wirklich existierenden Spielregeln punkto Redezeit und dem richtigen Prozedere für Vorstösse halten, spricht überhaupt nichts dagegen, dass sie sich vom ersten Tag an ins Zeug legen. Man verlangt ja von Fahrschülern auch nicht, dass sie die ersten zehn Fahrstunden auf dem Vorplatz einer Garage damit verbinden, die Pedale «trocken» zu bedienen.

Wann genau soll denn der richtige Zeitpunkt gekommen sein, wirklich mitzuarbeiten? Wie lange dauert diese «Anstandsphase»? Die erste Session? Als wenn eine erwachsene Person, die ja in den meisten Fällen bereits kantonale Parlamentserfahrung hat, so lange brauchen würde, um zu kapieren, wie es im Bundeshaus läuft.

Andererseits muss man ja auch zugeben: Ob ein Vorstoss einige Wochen früher oder später eingereicht wird, spielt keine Rolle. Bis er behandelt wird, vergehen ja ohnehin Monate oder Jahre.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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