Heute morgen ist die Sonne aufgegangen. Wir können leider nicht schreiben, dass sie am Abend untergeht. Denn das wäre eine reine Spekulation.
Was darf, was soll eine Zeitung tun? Auf Twitter hat sich eine Debatte über diese Frage entwickelt. Auslöser war unser Artikel über eine mögliche Amtsgeheimnisverletzung zwischen einer Regierungsrätin und «ihrer» Fraktion.
Anlass für den Beitrag waren Gerüchte, die im Regierungsgebäude kursieren. Was einen Leser dazu brachte, zu fordern, man solle News nicht «generieren, sondern rapportieren.» Wir hätten das Gerücht also nicht thematisieren dürfen, solange es sich nicht erhärtet (was übrigens leider gar nicht passieren kann, solange kein Medium das Gerücht erwähnt).
Rapportieren statt generieren: Ein interessanter Ansatz. Denken wir ihn zu Ende. Verunfallt ein Kind an einer Kreuzung, darf man das melden. Fordern besorgte Anwohner ganz ohne Unfall eine bauliche Entschärfung der Kreuzung, weil sie finden, es könnte mal was passieren, darf man das nicht thematisieren. Denn es ist schliesslich nichts passiert. Alles reine Ängste und Mutmassungen.
Wer so argumentiert, muss eine Jahreschronik lesen. Dort ist fein säuberlich aufgeführt, was wirklich passiert ist. Was hingegen hätte sein können, was vielleicht war, worüber gesprochen wird: Das ist dort nicht enthalten. Ein interessanter Fundus für Lokalhistoriker und eine tolle Lektüre in einigen Jahren zur Auffrischung des Gedächtnisses, keine Frage - aber kein relevantes aktuelles Medium.
Was auf den Strassen gesprochen wird (oder in einem Regierungsgebäude), muss Stoff sein für die Medien. Dazu gehören auch Gerüchte, Einschätzungen und Mutmassungen. Und sei es nur, um es sie zu relativieren oder sogar auszuräumen. Im Fall von Onlinemedien kommt die spezielle Situation dazu, dass sie rollend berichten: Am Anfang steht das Gerücht, es folgen erste Reaktionen, dann ein erhellender Hinweis, schliesslich die «Auflösung». Wenn es eine gibt.
Im vorliegenden Fall dürfte uns das Thema übrigens weiter beschäftigen. Denn selbst wenn sich das besagte Gerücht als nicht zutreffend erweist, kursiert immer noch das generellere Gerücht, dass zwischen den Vorstehern einzelner Departemente recht kurze Wege zu ihren Parteikollegen in den Fraktionen bestehen, was die Weitergabe von Dokumenten angeht. Was, wenn es stimmt, durchaus politischen Zündstoff hätte.
Ein Gerücht, wie gesagt. Aber so hat noch jede Story begonnen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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