Die Schemata F verhindern die Integration beziehungsweise Inklusion und führen oft zu einer doppelten Diskriminierung.
Unglaublicherweise gehören in unserer digitalisierten und ach doch so aufgeklärten Welt Vorurteile beziehungsweise Vorgehen nach Schema F (noch?) nicht der Vergangenheit an. Frauen gehören an den Herd beziehungsweise übernehmen die Familienarbeit, Menschen mit Behinderungen werden als Scheininvalide beziehungsweise Sozialschmarotzer verunglimpft und könnten angeblich und bestenfalls in einer geschützten Werkstatt integriert werden, wo sie wie in solchen Institutionen üblich mit einem Taschengeld für ihre Arbeit abgespeist werden.
Gleichstellung ist weder in Genderfragen noch im Behindertenwesen auch nur ansatzweise festzustellen. Frauen verdienen bekanntlicherweise aus teils unerfindlichen Gründen immer noch weniger als Männer in vergleichbaren Tätigkeiten. Und nun soll das Rentenalter für Frauen heraufgesetzt werden? Bewahre, solange die salärmässige Gleichstellung eine leere Worthülse bleibt.
Worauf müssen sich unter diesen geschilderten Umständen Frauen mit einer Behinderung gefasst machen? Eine doppelte Diskriminierung ist da wirklich nicht ausgeschlossen beziehungsweise an der Tagesordnung. Ausser Ausbildungen als Haushaltshilfe gibt es bis zum heutigen Tage kaum Tätigkeiten, die für junge Frauen mit Behinderung zur Verfügung stehen.
Und erst recht dick kommt es jetzt hinsichtlich doppelter Diskriminierung: Wie ich unlängst aufgrund von Informationen einer gutunterrichteten Quelle feststellen musste, werden auch im Jahre 2019 bei der Berechnung der einkommensmässigen Grundlage zum Bezug einer IV-Rente weiterhin Tabellenlöhne verwendet, die nach geschlechtsspezifischen Kriterien errechnet und aufgelistet sind. Mit anderen Worten: Die Frauenlöhne gemäss diesen Tabellen sind weit geringer als die Männerlöhne.
Damit jedoch laufen Frauen Gefahr, dass sie geringere IV-Renten erhalten als Männer. Ja, sind denn die Lebenshaltungskosten für Frauen günstiger als für Männer? Ebenso bekannt sein dürfte die Tatsache, dass AHV-Renten für Frauen in der Regel tiefer ausfallen als für Männer. Zahlen Frauen eigentlich weniger Steuern als Männer? Dies wäre nur recht und billig, da Männer grundsätzlich weitaus höhere Kosten in Sachen Strafverfahren und Strafvollzug verursachen.
Ganz im Sinne von «Diversity» hat eine vollständige Gleichstellung, also nicht nur spezifisch zwischen Frauen und Männern, sondern zwischen allen Menschen, die allesamt Individuen darstellen, angestrebt zu werden. Es ist wahrlich mehr als beschämend für unser Land, wie mancherorts noch von festgefahrenen Schemata ausgegangen wird und Einzelpersonen auf zwangshafte Art und Weise diesen Schemata entsprechen zu haben.
Dr. sc. nat. ETH Barbara Müller (*1963) ist Geologin. Für die SP ist sie Mitglied des Thurgauer Kantonsrates. Sie wohnt in Ettenhausen (TG).
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