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Barbara Müller

Ende mit Schrecken?

Zum Neuen Jahr ausnahmsweise eine positive Nachricht hinsichtlich den kaefkaesken Possen um die IV TG.

Barbara Müller am 07. Januar 2020

Nach 15 Jahren Dauerstreit, 17 Gerichtsfällen (die mehrheitlich zu meinen Gunsten ausfielen), die geschätzte Kosten von Fr. 250'000.- zu Lasten des Steuerzahlers verursacht haben: Nach massivem Druck von Vertretern von übergeordneten Stellen nahm im Juli 2019 die Amtsleitung der IV TG endlich Vernunft an und stimmte der Abtretung meines IV-Dossiers an die IV-Stelle des Kantons Zürichs zu.

Eine solche Abtretung bedeutet konkret, dass die IV ZH nun über die Leistungen befindet und der IV TG (obwohl noch immer Wohnkanton) nichts mehr nichts zu sagen hat. Ein solches Vorgehen ist in Ausnahmefällen möglich, wenn Mitarbeiter der IV Stelle des Wohnkanons befangen wären (z. B. bei kantonalen Angestellten, IV-Leistungen beantragen). Meine Tätigkeit als Kantonsrätin wird bekanntlich über kantonale Mittel finanziert und so wäre es bereits 2012 angebracht gewesen, das IV-Dossier einem anderen Kanton zu übergeben.

Es kann nur spekuliert werden, weshalb denn diese Zustimmung der Amtsleitung IV TG, dass dies die weitaus beste Lösung für alle Beteiligten gewesen wäre, nicht früher abgegeben wurde. Die ganze absurde Geschichte lässt sich wohl nur unter dem Ausdruck «persönliche Abrechnung Versicherten gegenüber» zusammenfassen. Unbegreiflicherweise handelte es sich bei den Gerichtsstreitereien grossmehrheitlich um Uneinigkeit bezüglich Hilfsmittel, die zur Arbeitsausübung benötigt wurden und nach wie vor werden. Im Kanton Zürich dagegen wird mir zugestanden, dass ich die Eigenverantwortung bezüglich Integration in den 1. Arbeitsmarkt wahrnehme und so meiner Mitwirkungspflicht nachkomme. Ebenso selbstverständlich wird meine wissenschaftliche Tätigkeit als Erwerbsarbeit taxiert, ich erhalte Unterstützung beim Arbeitsplatzerhalt und die Hilfsmittel werden ohne Aufbegehren übernommen. Wozu diente also der unsägliche, 15 Jahre dauernde Aufstand der IV TG? Der Kantönligeist könnte extremer wohl nicht mehr dargestellt werden.

Wie mehreren Artikeln im "Blick", "Sonntagsblick" und "Tages-Anzeiger" Ende 2019 zu entnehmen war, wurden die kantonalen IV-Stellen vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV, der Aufsichtsbehörde über die kantonalen IV-Stellen) mit Sparzielen unter Druck gesetzt. Dem Vernehmen nach sollten diese Vorgaben nicht nur hinsichtlich Renten gegolten haben, sondern wahnwitzigerweise auch hinsichtlich Leistungszusprachen im Einzelfalle - womit der Streit um Hilfsmittel erklärt werden könnte. Wie jedoch lautet der ach so oft zitierte Leitsatz der IV: "Integration vor Rente"?! Wohl ein Schelm, der hier böses denkt, aber an Heuchelei nicht mehr zu überbieten ist. Nun soll es Bundesrat Berset mit einer Untersuchung richten - eine Untersuchung notabene, die vor allem nach harscher Kritik am IV-Gutachterwesen in den obgenannten Zeitungen eingeleitet werden soll.

Auch bei mir wurde noch im Herbst 2017 ein sogenanntes polydisziplinäres Gutachten in Auftrag gegeben. Diese Gutachten kosten üblicherweise mehrere zehntausend Franken. Die Erstellung dieses Gutachtens dauerte volle zwei(!) Jahre, da die meisten der aufgebotenen Mediziner mit der komplexen Situation und den juristischen Implikationen völlig überfordert waren… Nichtsdestotrotz, mir wird in diesem Gutachten einmal mehr attestiert, dass ich hinsichtlich beruflicher Integration alles richtig ausgeführt habe…

Im Blog «ivinfo» von Marie Baumann fasst die Autorin die Funktionsweise der IV in den letzten 18 Jahren trefflich zusammen.

Ich gehe nun davon aus, dass ich in Zukunft meine wissenschaftliche Tätigkeit im Rahmen des Entwicklungshilfeprojekts in Nepal bezüglich der Eliminierung von Arsen aus dem Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird, ungestört ausüben kann. Ohne die Unterstützung durch den damaligen Direktor des BSV, Jürg Brechbühl, und Regierungsrat Jakob Stark wäre mein Dossier nie an die IV ZH abgetreten worden. Ich danke den beiden Herren an dieser Stelle herzlich für ihren Einsatz, auch wenn bei mir ein schaler Beigeschmack haften bleibt, da es sich für Angestellte von Behörden in einem demokratischen Rechtsstaates wohl geziemen würde, sie hätten sich auch ohne Druck von aussen zu einer einvernehmlichen Lösung durchringen können.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Barbara Müller

Dr. sc. nat. ETH Barbara Müller (*1963) ist Geologin. Für die SP ist sie Mitglied des Thurgauer Kantonsrates. Sie wohnt in Ettenhausen (TG).

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