logo

Kultur mit Lünstroth

Was ist Kunst wert?

Irre Preise für Kunstwerke hier, beschämende Bezahlung von Künstlern dort. Die Werte in der Kunstwelt haben sich verschoben. Wie konnte das passieren?

Michael Lünstroth am 17. Mai 2018

Kunst und Ökonomie galten lange als irgendwie gegensätzliche Welten. Hier das Wahre. Gute. Schöne. Und dort der schnöde Mammon. Inzwischen ist längst klar - so einfach ist das alles nicht mehr. Nicht erst seit Damien Hirst ist die Kunst auch ein ziemlich irrer Wirtschaftszweig. Nirgendwo kann man das präziser nachlesen als im Art Basel Global Market Report von Clare McAndrew. Darin schildert die Autorin die weltweite Lage des Kunsthandels.

Ein paar Zahlen: 56,5 Milliarden Dollar wurden 2016 im Handel mit der Kunst umgesetzt. In den USA wird nach wie vor am meisten gekauft - 40 Prozent des Umsatzes wurden dort erzielt - und die Verläufe bei Auktionen gehen zurück, Privatverkäufe von Galerien und Auktionshäusern legen zu. Und auch interessant: Das beliebteste Sammelgebiet ist die Nachkriegs- und Gegenwartskunst. Sie schlägt sich in 37 Prozent aller Verkäufe nieder. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: Es gibt nicht nur den Bericht von Clare McAndrew, sondern auch noch eine zweite Analyse zur Lage des Kunstmarktes - den Global Art Market Report 2017 der The European Fine Art Foundation (Tefaf) . Den finden Sie zum Nachlesen hier.

Neben diesen globalen Zahlen kann man den Wahnsinn des Kunstmarktes auch ganz konkret an einzelnen erzielten Preisen erkennen. Die drei teuersten Kunstwerke 2016 liessen sich die Käufer zwischen 81 und 63 Millionen Dollar kosten. Als da wären: Platz 1: Claude Monet, «Meule» von 1891. Versteigert bei Christie's New York am 16. November für 81,5 Millionen US-Dollar. Platz 2: Willem de Kooning, «Untitled XXV» von 1977. Versteigert bei Christie's New York am 15. November für 66,3 Millionen US-Dollar. Platz 3: Pablo Picasso, «Femme assise» von 1909. Versteigert bei Sotheby's London am 21. Juni für 63,5 Millionen US-Dollar. Eine ziemlich illustre Liste. Wenn Sie auch Platz 4 bis 10 der teuersten Kunstwerke des Jahres 2016 interessiert, müssen Sie hier lang.

Irre Vorstellung: Als wäre Gedankenarbeit keine Arbeit

Angesichts dieser immensen Wertzuschreibungen liesse sich auch mal über einen ganz anderen Wert diskutieren. Den Wert der Arbeit im Kulturbetrieb. Um es vorweg zu nehmen - er scheint nicht allzu hoch zu sein. In Deutschland haben Ende vergangenen Jahres dramatische Zahlen zum Einkommen von Künstlern die Runde gemacht. Demnach liegt das durchschnittliche Einkommen spartenübergreifend bei 12.372 Euro. Im Jahr. Vergleichsweise komfortabel ist da noch die Lage für Künstlerinnen und Künstler in der Schweiz. Aber auch hier schlagen Verbände Alarm: «Es gibt nur sehr wenige Kulturschaffende, die ‚nur’ aus den Einkünften ihres künstlerischen Engagements leben können. Die Regel ist, dass man/frau einen bis mehrere Zusatzjobs hat», sagt beispielsweise Alex Meszmer von Visarte, dem Berufsverband der visuell schaffenden Künstlerinnen und Künstler in der Schweiz.

Laut Suisseculture, dem Dachverband der Schweizer Berufsverbände der Kulturschaffenden, liegt der das Durchschnittseinkommen von Schweizer Kulturschaffenden bei etwa 40'000 Franken. Zum Vergleich: Das Schweizer Durchschnittseinkommen lag 2016 bei 59'000 Franken.

So weit die Zahlen. Es geht aber um mehr als Zahlen. Es geht auch um so etwas wie eine Haltung. Beispielhaft steht dafür folgender Satz: «Ach, Du hast also Dein Hobby zum Beruf gemacht?» Jeder, der seinen Lebensunterhalt mit kreativ-künstlerischer Gedankenarbeit verdient, kennt diesen Satz und den leicht despektierlichen Ton, der oft darin liegt. Als wäre es vermessen, einen Beruf auszuüben, der einem Spass macht. Fast noch schlimmer ist allerdings eine Konsequenz, die allzuoft daraus folgt. Wenn man schon sein Hobby zum Beruf gemacht hat, dann soll man doch bitte auch nicht so viel Geld erwarten. Schliesslich wird man ja schon durch Selbstverwirklichung entlohnt.

Dahinter schlummern oft ganz alte Weltvorstellungen wie diese hier. 1. Beruf und Spass gehören nicht zusammen. 2. Leidenschaft gibt es nur in der Freizeit 3. Kulturarbeit ist keine Arbeit. Ich bin immer wieder überrascht, wie weit verbreitet derlei Gedanken heute immer noch sind. Deshalb noch mal klar gesagt. Ja, Künstler und kreativ arbeitende Menschen haben ihren Job aus Leidenschaft und Überzeugung gewählt. Ihnen das vorzuwerfen, wäre absurd. Ja, Gedankenarbeit ist harte Arbeit und kein leichter Müssiggang. Wer anderes behauptet, weiss nicht, wovon er redet. Und nein, Selbstverwirklichung ist kein ausreichender Lohn für den Dienst an der Gesellschaft den Kreativlinge aller Art leisten. Nur mal so gesagt: Einem Wirtschaftsboss, dem eine aufgegangene Verhandlungsstrategie grosse Befriedigung bereitet; einem Arzt, der einen Euphorieschub bekommt, weil eine komplizierte Operation gut gelaufen ist; einem Ingenieur, der stolz auf seine neu entwickelte Technik ist, würde man ja auch nicht sagen: Du hast Spass bei der Arbeit gehabt, das ziehen wir von deinem Lohn ab. Oder?

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Michael Lünstroth

Michael Lünstroth (*1978) ist Redaktionsleiter von thurgaukultur.ch. Zuvor war er als freier Autor unter anderem für taz und den «Tagesspiegel» tätig. Vor seinem Wechsel in den Thurgau war Lünstroth neun Jahre lang für die lokale Kulturberichterstattung beim «Südkurier» zuständig. Er lebt in Konstanz.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.