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Wolf Buchinger

Zurück in die Höhle

Wir erleben derzeit gerade das Ende der positiven Mail-Kultur. Und bewegen uns zurück zu den Höhlenbildern unserer Vorfahren.

Wolf Buchinger am 01. Februar 2019

«Elektronische Mitteilungen sind wie Gespräche». Diesen Satz haben sich vor 30 Jahren die Erfinder des Internets als Leitmotiv gesetzt: weltweit wichtige Informationen in schriftlicher Form weiterzugeben. 

Der Schreibkodex der Mails blieb zumindest bis zur Jahrtausendwende die orthografisch richtige Schreibweise wie in einem Brief: höfliche Anrede, gut formulierter Text in logischen Abschnitten angeordnet, zum Schluss einen Gruss oder Dank, ganzer Name als Abschluss.

Doch dann kamen die Handys als zwangsmodisches Utensil des sogenannten modernen Jugendlichen. Abrupt war die Briefkultur zu Ende. Erst bemühte man sich noch halbwegs ordentlich zu schreiben, doch die Faulradikalen reduzierten Sprache zu einem Restbestand: «Ich Peter - du????»

Die Verben wurden abgeschafft, jeder schrieb, wie es ihm in den Sinn kam, Dialekt mischte sich mit Jugendsprache und Migrationsausdrücken: «Gib dir hart und feier, wir tun’s no lie!»

Bald wurden Milliarden von sogenannten Fotos als simple, unkreative Schnappschüsse in die Welt gejagt: «Hier unser Darling Chico, junger Kampfhund! Pinkelt an Türrahmen, dann er Oma in Arm beisst. Classy!» Bei echten Fotos hätte man wegschauen können, nun aber blockieren sie den Bildschirm.

Vier Millionen Jahre hat der Mensch gebraucht, bis er vernünftig reden und schreiben konnte, über die letzten Jahrhunderte strebte man nach einer Vervollkommnung der Sprache, bemühte sich zu perfekter Rhetorik und Gestik. Alles vorbei. Innerhalb nur einer Generation ist der Rückschritt um Millionen von Jahren geschehen. Wegen der modernen Elektronik.

Man redet nicht mehr wirklich miteinander, man wirft mit Wortfetzen um sich, und da es bei sehr vielen auch dazu nicht mehr reicht, benutzt man Emojis, die keine Zwischentöne mehr kennen, sondern nur noch radikale, schnelle Meinungen signalisieren: lächelndes Emoji = ich teile dir mit, abweisendes Emoji = ich bin nicht einverstanden, Daumen nach unten = ich finde dich beschissen, explodierende Bombe = und hätte Lust, dich in die Luft zu sprengen oder Todessymbol = am besten gleich umzubringen.

Steinzeitniveau in zeitgemässer Form. Tendenz: weiterer Abbau allen Schreibens. Bald wird man nur noch ins Mikrofon des Handys sprechen, also muss man auch nicht mehr lesen lernen, weil man die Message hören kann. Nur die Minibildchen muss man noch selbst einfügen, falls dies sich nicht auch über ein Sprachkommando regeln lässt.

Und in 10'000 Jahren wird man unsere heutige Kultur genauso definieren müssen, wie wir es mit den Höhlenbildern unserer Vorfahren machen.

(Wolf Buchinger, Autor des Fachbuches «Das @ und O der E-Mail-Kommunikation», das nun nur noch historischen Wert besitzt)

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Wolf Buchinger

Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete  25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).

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