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Fotografin Susi Ruth Iff Kolb

«Carl Roesch liebte Publicity und freute sich, fotografiert zu werden»

Die Schaffhauser Fotografin Susi Ruth Iff Kolb (88), die heute in Wald lebt, stellt ihre Fotografien aus den 1950er-Jahren im Kunstmuseum Thurgau in Warth aus («Thurgauer Köpfe – Frauen erobern die Kunst», bis 18. Oktober). Bekannt wurde sie durch Porträts der Maler Carl Roesch und Adolf Dietrich.

Urs Oskar Keller am 13. Juli 2020

• • 2002 nahm sie in der viel beachteten Ausstellung «Der Berlinger Maler in Fotografien» am Untersee teil. In Gesprächen mit dem Journalisten Urs Oskar Keller erzählt Susi Ruth Iff Kolb von den Künstlern Adolf Dietrich sowie Carl und Margrit Roesch-Tanner. Folgende Erinnerungen und auch ihre Fotos von 1952 sind in Kellers Buch «Adolf Dietrich – ein Künstlerleben am See» erschienen.

Susi Ruth Iff Kolb

Die Fotografin Susi Ruth Iff Kolb, Jahrgang 1932, in der Malstube des berühmten Schweizer Künstlers Adolf Dietrich in Berlingen am Untersee. (Foto: Urs Oskar Keller)

«Während meiner Ausbildung in der Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich bei Hans Finsler bekam ich im Frühling 1949 die Aufgabe, eine Fotoreportage über eine berühmte Persönlichkeit in unserer Region zu machen. Jakob ‹Schaggi› Schachenmann (1925-1995), ein Schaffhauser Weinhändler und Kunstmaler, der die regionalen Berühmtheiten kannte und mit meinen Bruder befreundet war, fand spontan, dass sich Carl Roesch (1884-1979) für dieses Vorhaben bestens eignen würde. Carl Roesch war damals weit über unsere Region hinaus als Künstler bekannt und sehr angesehen als Grand Old Man, sodass mir das Telefon für die Fototermine nicht gerade leicht fiel.

Wie es sich zeigte zu Unrecht, denn Carl Roesch liebte Publicity und freute sich, fotografiert zu werden. Zu meinem ersten Treffen, Rolleiflex umgehängt und mein kleiner Foxterrier an der Leine, ging ich zu Fuss von Schaffhausen dem Rhein entlang nach Diessenhofen. Ich liebte diesen Spaziergang, brauchte ihn aber gerade jetzt als Einstimmung und Vorbereitung auf die nicht alltägliche Begegnung. Es regnete in Strömen und triefend vor Nässe standen wir zwei – mein Hund und ich – unter der Haustüre von Roeschs – und ich war zum äussersten gespannt, was nun an Begegnung auf mich zu kommen würde. Carl Roesch nahm unseren regennassen Auftritt gelassen und sogar mein Hund erhielt Einlass, was, wie sich später herausstellte nicht der Hausordnung entsprach.

Diese erste Begegnung war der Beginn einer lebenslangen, tiefen Freundschaft zu Carl und Margrit Roesch. Meine Arbeit für die Schule hat er bestmöglich unterstützt und entsprechend wurde sie gut bewertet. Carl Roesch als Mensch faszinierte und beeindruckte mich, unnötig zu sagen, dass ich dort das Umfeld fand, erstens einmal um die von der Schule geforderte Aufgabe zu lösen, das mich aber stetig weiter brachte. Ein Umfeld, das ein künstlerische Kultur und Ästhetik repräsentierte, die mich zeitlebens prägte.

In dieser Zeit arbeitete Roesch an Mosaiktafeln eines Wandbilds für ein Schulhaus in Kreuzlingen. Es war eine grosse Arbeit, sie verlief in Phasen, sodass ich viel Zeit mit Margrit und Carl Roesch, die kinderlos waren, verbrachte. So wurde ich allmählich etwas in den Stand einer Tochter erhoben. Über Jahre, bis zu meiner Heirat, verbrachte ich jeden Mittwochnachmittag im Hause Roesch. Ich war weiterhin als Fotografin tätig, wobei Carl Roesch auch immer wieder meine Meinung zu seinen Bildern haben wollte.

Heute erschrecke ich fast darüber, wie ich mir damals 1951, als 20-Jährige anmasste, seine Bilder zu beurteilen. Durch die Verbindung zu Roeschs Werk über mein fortlaufendes Fotografieren und die Begegnung mit seiner Kunst bekam ich einen weiten Horizont und auch eine Übersicht über sein imposantes Werk und sein unermüdliches Schaffen, das beeindruckend war.

Mit dem Auto meiner Eltern machten wir Kunstreisen, besuchten Malerkollegen wie Amiet, besuchten die Sammlungen, in denen Carl Roeschs Bilder vertreten waren. Darunter waren auch die Sammlung E. G. Bührle und die Sammlung Schmidheiny in Heerbrugg, wobei wir immer von den Sammlern persönlich empfangen wurden. Roeschs hatten ein herzliches Verhältnis besonders zur Familie Schmidheiny. Bei diesen Ausflügen lernte ich wichtige Leute kennen, die mein Leben nachhaltig geprägt haben und durch sie sind mir beruflich viele Türen aufgegangen.

Carl Roesch

Ein Monolith in der Ostschweizer Kunst: Der Thurgauer Künstler Adolf Dietrich (rechts) 1952 zusammen mit dem Malerfreund Carl Roesch (1884-1979) aus Diessenhofen in Dietrichs Malstube in Berlingen am Untersee TG. (Bild: Susi Ruth Iff Kolb, Wald AR)

‹Jetzt lernst Du jemand ganz spezieller kennen›

Im Sommer 1952 machten wir mit Carl und Margrit Roesch einen Ausflug zu Adolf Dietrich nach Berlingen. Carl Roesch hatte mich auf der Fahrt darauf vorbereitet, sodass ich nicht allzu überrascht war, in diese mir völlig unbekannte Welt einzutreten. ‹Jetzt lernst Du jemand ganz spezieller kennen›, sagte er. Was meinen Blick als Erstes gefangen nahm, war der Garten des gegenüberliegenden Hauses. Der Garten: ein Sommerflor, der seinesgleichen suchte, inmitten ein Pavillon.

Adolf Dietrichs Haus auf der Seeseite war ganz anders. Im Eingang war so ziemlich alles aufgestapelt, was nicht unmittelbar gebraucht wurde. Ein rechtes Sammelsurium. Dabei waren aber auch Ställe mit Tieren - Meerschweinchen. Ein dunkler Gang. Im Garten waren noch weitere Ställe mit Kaninchen. Es war ziemlich schmutzig, man spürte sofort, dass man es mit einem Männerhaushalt zu tun hatte. Es war ein unwahrscheinlicher Kontrast zum Lebensstil von Roeschs in Diessenhofen, wo Schönheit und Ästhetik vorherrschte.

Er pinselte das Meerschweinchen noch fertig

Aber dann in der Malstube war alles anders. Da kam Adolf Dietrich vom Tisch, wo er malte und obwohl er hohen Besuch hatte, wie er sagte, wollte er nicht gleich unterbrechen. Er pinselte das Meerschweinchen noch fertig und erst dann begrüsste er uns. Der alte Mann war ganz sich selber, irgendwie kam er aus einer grossen Tiefe.

Seine Einfachheit und wie wenig er zum Leben brauchte, berührten mich. Er hatte eine starke Ausstrahlung von Güte, aber auch Schalk, und seine Augen bekamen ein Leuchten, wenn er von seinen Bildern und Tieren erzählte. Offensichtlich freute er sich ausserordentlich über den Besuch von Carl und Margrit Roesch, denn mein Gefühl war, dass er sehr einsam lebte, das aber so wollte.

Auf seinem Maltisch standen ein alter Teller mit Zwiebeln, Knoblauch und altem Brot sowie ein Krug vergorener Most. Das war sein Essen. Er zeigte uns stolz das wunderbare Bild mit Trauben am Rebberg, das er als Schulwandbild gemalt hatte und nun für 500 Franken verkaufen konnte. Dietrich malte während unseres ersten Besuchs an einem Meerschweinchen-Bild.

Er war umringt von ausgestopften Vögelchen und vielen Pinseln, die er sorgfältig aufzubewahren schien. Sein Werkzeug natürlich. Der mächtige Carl Roesch stand da und schaute Dietrich über die Schulter. Einerseits war er immer an seinen neuesten Arbeiten interessiert und hat die Bedeutung von Dietrichs Werk erkannt. So ist er Dietrichs Werk mit Respekt begegnet. Andrerseits empfand ich eine Verehrung von Dietrichs Seite Carl Roesch gegenüber, Bewunderung für einen schon damals anerkannten und gesuchten Maler. Auch er wollte wissen, an was er gerade arbeitete. Frau Roesch liebte die Bilder, die sie von Dietrich hatte.

Eines war eine Unterseelandschaft, die jetzt im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen hängt. Aber was sie besonders liebte war ein Aquarell eines Hasen, das an ihrem Lieblingsplatz hing und das sie immer an japanische Malerei erinnerte. Sie sagte ihm immer wieder, wie gerne sie seine Sachen habe. Sie hatten sich künstlerisch ausgetauscht.

Es herrschte ein kollegiales Verhältnis unter Malern. Dietrich passte nicht so ganz ins Klischee eines Künstlers. Bevor er malte, arbeitete er als Bauernknecht. Er war in dieser Zeit sehr arm. Etwas von dem ist an ihm hängen geblieben und so gab er sich auch. Bei allem empfand ich ihn als einfachen Menschen, der sich selbst treu geblieben ist. Carl und Margrit Roesch schätzten ihn.

Adolf Dietrich

Adolf Dietrich im Jahr 1952. (Foto: Susi Iff Kolb, Wald AR)

Dietrich lebte für das Malen und seine Tierli

Dietrich freute sich, als gleichzeitig ein Mädchen, das ihm Modell sass, zu Besuch kam. ‹Früher, als es mir schlecht ging und ich wirklich jemand brauchte, haben mich die Frauen von oben herab behandelt und keine wollte mich haben. Jetzt, wo ich Bilder verkaufe und es mir besser geht, könnte ich an jedem Finger eine Frau haben.

Eine kommt jetzt jeden Tag und fragt, ob sie mir nicht etwas helfen oder machen könne›, erzählte uns Dietrich. Er hat sich sehr über die Frauen beklagt. Das hat einen grossen Teil des Gesprächs ausgemacht. An dem hat er gelitten. Es war eine gewisse Bitterkeit dem weiblichen Geschlecht gegenüber zu spüren. Wieder hatte ich das Gefühl, Adolf Dietrich sei ein sehr einsamer Mensch. Seine Vögel und anderen Tiere waren für ihn menschliche Ersatzbeziehungen und sicher auch Trost.

Mit ihnen hat er Zwiesprache gehalten. Adolf Dietrich lebte für das Malen und seine Tierli. Tief beeindruckt kam ich nach Hause. Begeistert auch, denn liebend gerne hätte ich ein Bild von Adolf Dietrich gekauft. Damals hatte ich aber kein eigenes Geld. Ich lebte noch bei meinen Eltern, die leider kein Verständnis für Kunst hatten. Schon mein Bruder Otto Kolb (1921-1956), ein bekannter Architekt, der gleich nach dem Krieg in Paris Hans Arp und Paul Klee hätte kaufen können, stiess auf taube Ohren. Er war danach von 1948 bis 1958 als Professor am ‹New Bauhaus› in Chicago tätig.»

Information/Bibliographie:

Urs Oskar Keller: «Adolf Dietrich – ein Künstlerleben am See» (2002). Frauenfeld: Huber Verlag, 2002. 256 Seiten, über 200 Fotos. Bezug (Restauflage): www.urs-ok.ch

Susi Ruth Iff Kolb

Susi Ruth Iff Kolb wurde am 16. April 1932 in Schaffhausen geboren und ist in der Rheinstadt auch aufgewachsen. Sie ist Bürgerin von Güttingen TG am Bodensee und seit der Heirat Bernburgerin. Von 1950 bis 1953 besuchte Kolb die Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich. Ihr Lehrer für Fotografie war Hans Finsler (1891-1972), der zur Elite der Fotografen der Neuen Sachlichkeit im Deutschland der Zwanzigerjahre gehörte. Er gründete 1932 die Abteilung für Fotografie und leitete diese an der Kunstgewerbeschule Zürich. Im Frühling 1949 machte sie eine erste Fotoreportage über den Thurgauer Maler Carl Roesch in Diessenhofen. 1952 lernte Susi Ruth Iff Kolb den Künstler Adolf Dietrich persönlich kennen. Sie arbeitete als freie Fotografin für die Kunstzeitschrift «Du» und andere Zeitschriften. Als selbständige Fotografin arbeitete sie für die Schaffhauser Industrie. Von 1954 bis 1955 war sie Fotografin in der medizinischen Abteilung des Thurgauischen Kantonsspitals in Münsterlingen unter Professor Dr. med. Adolf Ritter. 1955 heiratete sie Hanspeter Iff, der 2016 verstarb. Zusammen haben sie vier Söhne und viele Enkel. Seit 25 Jahren lebt die Fotografin in den Appenzeller Hügeln in Wald AR. Heute fotografiert sie meist mit einer digitalen und handlichen Sony-Kamera. Ihre Nikon hat sie inzwischen verschenkt, die alte Rolleiflex wurde ihr gestohlen. «Es sind mehr emotionale als künstlerische Aufnahmen die ich heute mache», sagt die 88-Jährige. (uok)

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Autor/in
Urs Oskar Keller

Urs Oskar Keller (*1955) ist Journalist und Fotoreporter. Er lebt in Landschlacht.

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