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Thomas Stucki | SGKB

«Die Wirtschaft wird sich im Verlaufe des Jahres von der aktuellen Delle erholen»

Thomas Stucki ist Leiter des Investment Centers der St. Galler Kantonalbank. Im Interview spricht er über den Aktien- und Immobilienmarkt und wagt eine Prognose, wie sich 2024 die Wirtschaft, der Euro gegenüber dem Schweizer Franken, die Inflation und die Gehälter entwickeln werden.

Michel Bossart am 05. Dezember 2023

Rückblickend: Wie würden Sie das Finanz­jahr 2023 für Anleger und Anlegerinnen beschreiben?

Das Jahr hat gut begonnen, konnte den Schwung aber nicht halten. Die immer wieder auftretenden Krisensituationen haben wie bei einem Boxer mit der Zeit Wirkung gezeigt und die Unsicherheit an den Finanzmärkten steigen lassen. Das hat die Risikofreude der Anlegerinnen und Anleger, die zu Beginn des Jahres dominierte, ins Gegenteil gedreht.

Letztes Jahr wurde vorausgesagt, dass die Aktien 2023 ein Comeback erfahren würden. Haben sich die Analysten geirrt?

Nicht unbedingt. Der Blick auf den Schweizer Aktienindex zeigt nicht das ganze Bild. Die Schweizer Aktien haben im internationalen Vergleich schlecht abgeschnitten, vor allem die grossen Aktien wie Nestlé oder Roche. Viele Aktien haben aber schöne Kursgewinne aufzuweisen. Geprägt wurde das Aktienjahr von ein paar Technologieaktien, die mit künstlicher Intelligenz in Verbindung gebracht werden. Diese waren so stark gesucht, dass der Nasdaq in den USA über 20 Prozent zugelegt hat. Die meisten Aktienindizes liegen irgendwo dazwischen.

Wie beurteilen Sie die Situation des Schwei­zer Immobilienmarktes?

Er muss sich an die neue Situation mit den höheren Zinsen gewöhnen. Es finden deutlich weniger Transaktionen statt als in den letzten Jahren. Die Preise sinken, insbesondere bei den Renditeliegenschaften. Das ist nicht ungesund und führt dazu, dass auf diesen Liegenschaften wieder eine angemessene Rendite erzielt werden kann. Bei den Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen nimmt die Nachfrage ab, das Angebot ist aber nach wie vor klein. Deshalb gehen wir nicht davon aus, dass die Preise in diesem Segment stark zurückgehen.

Und was sagen Sie zum Euro? Wird sein Wert gegenüber dem Franken noch weiter sinken?

Davon ist auszugehen. Die Schulden Italiens werden wieder zum Thema, was das Vertrauen in den Euro senkt. Gleichzeitig profitiert der Franken von der politischen Unsicherheit in vielen Teilen der Welt und der im Vergleich zur Eurozone tiefen Inflation in der Schweiz.

Schauen wir voraus: Was passiert 2024 mit der Inflation? Wie wird sich die Wirtschaft entwickeln und wie die Gehälter?

Die Inflation wird langsam sinken. In der Schweiz wird sich die Inflationsrate nach dem Anstieg zu Jahresbeginn durch die höheren Strompreise zwischen 1,5 und 2 Prozent einpendeln. Die Wirtschaft wird sich im Verlaufe des Jahres von der aktuellen Delle langsam erholen, weil die Nachfrage aus dem Ausland wieder zunehmen wird. Die Gehälter werden in diesem Umfeld moderat steigen und zumindest die Inflation kompensieren.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Michel Bossart

Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).

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