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Sicheres Auffinden der Rehkitze

Rehkitzrettungskoordinator Oskar Trunz: «Der Drohneneinsatz in der Rehkitzrettung ist aus meiner Sicht unproblematisch»

Oskar Trunz ist in einer Jägerfamilie in Wittenbach aufgewachsen und engagiert sich seit rund 50 Jahren in der Rehkitzrettung. In einem Interview spricht er über seine Erfahrungen mit dem Einsatz von Drohnen und die möglichen Auswirkungen einer behördlichen Regulierung auf die Arbeit.

Dzana Muminovic am 27. April 2024

Aufgewachsen in einer Jägerfamilie in Wittenbach und durch seine Tätigkeit bei der Jagd- und Fischereiverwaltung sowie beim Veterinäramt war Oskar Trunz seit seiner Jugendzeit immer in Kontakt und am Puls der Jagd und Fischerei, der Natur, den Wildtieren und deren Lebensräumen. Seit 1965 ist er aktiv mit der Jagd verbunden, seit 1975 Jagdrevierpächter im Kanton St.Gallen und seit über 55 Jahren Mitglied des St.Gallischen Jägervereins Hubertus, den er auch während zehn Jahren präsidierte.

Oskar Trunz, was hat Sie motiviert, sich für die Rehkitzrettung zu engagieren?

Für die herkömmliche Rehkitzrettung mittels Verblendungen engagiere ich mich seit rund 50 Jahren. Nachdem ich von der Möglichkeit der Rehkitzrettung mit der Drohne mit Wärmebildkamera erfahren habe, war für mich klar, diese neue Technologie auch in unserem Jagdrevier zu prüfen und einzusetzen. Zumal im Jahr 2018 allein in unserem Revier acht Kitze vermäht wurden. Zusammen mit einem privaten Drohnenteam war dies der Start einer erfolgreichen Rehkitzrettung mit der Drohne mit Wärmebildkamera in unserem Jagdrevier Bernhardzell sowie in weiteren Jagdrevieren in der Agglomeration St.Gallen. Die gute Vorbereitung, die Zusammenarbeit mit den Landwirten und der entsprechende Erfolg haben dazu geführt, dass weitere Reviere im Kanton und der Verband «RevierJagd St.Gallen» auf diese neue Technologie aufmerksam wurden und sich dafür engagierten.

Können Sie mir etwas über Ihre Rolle als Koordinator der Rehkitzrettung erzählen?

Meine Anfänge haben dazu geführt, dass sich der Präsident von «RevierJagd St.Gallen», Peter Weigelt, der Rehkitzrettung mit Drohnen angenommen hat und diese, mit meiner Unterstützung als Koordinator, für die 144 St.Galler Jagdreviere mit verschiedenen Aktivitäten der Jägerschaft empfahl. Mit einer Crowdfunding-Aktion konnten erste Drohnen beschafft und Drohnenpiloten und Kitzretter ausgebildet werden. Meine Aufgabe ist die Koordination unter den Jagdrevieren, die Weitergabe der gemachten Erfahrungen anlässlich von Informationsveranstaltungen sowie Auswertungen der Erfolge der teilnehmenden Jagdreviere unseres Kantons.

Wie sieht die aktuelle Situation bei der Rettung von Rehkitzen in Ihrer Region aus?

Während den vergangenen fünf Jahren haben sich viele Jagdgesellschaften mit grossem finanziellem und zeitlichem Aufwand und viel persönlichem Engagement diesem wichtigen Tierschutzthema angenommen. Im letzten Jahr wurden so in unserem Kanton 5'400 ehrenamtliche Arbeitsstunden geleistet und 745 Rehkitze gerettet. Da wir in diesem Jahr nochmals mehr Drohnen einsetzen können, erwarte ich, dass diese Zahlen nochmals ansteigen.

Wie hat sich die Rehkitzrettung in den letzten Jahren entwickelt, insbesondere unter Berücksichtigung des Einsatzes von Drohnen?

Der Einsatz von Drohnen mit Wärmebildkameras ermöglicht ein sicheres, nahezu hundertprozentiges Auffinden der Rehkitze im hohen Gras vor dem Mähen. Bei guter Planung können an einem frühen Morgen je nach Feldgrösse und dem Rehkitzvorkommen acht bis zehn Wiesen abgeflogen und die georteten Kitze in Sicherheit gebracht werden. Je mehr Drohnenteams in unseren Jagdrevieren verfügbar sind, desto mehr Rehkitze können vor dem sicheren Mähtod gerettet werden. Das Aufsuchen der Rehkitze mit dem Drohnensystem ist weit effizienter als das herkömmliche Verblenden oder das Absuchen der Felder.

Drohne

Welche Ausbildung benötigen Drohnenpiloten, um an Rettungseinsätzen teilnehmen zu können?

Die Schweiz hat per ersten Januar 2023 die EU-Drohnenregulierung übernommen. Die Details werden vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) geregelt, wie zum Beispiel die Registrierung der Drohne beim BAZL oder die Absolvierung der notwendigen Schulungen und Prüfungen. Im Minimum ist der Drohnen-Pilotenschein A1/A3 erforderlich. Es muss eine gesetzeskonforme Drohne eingesetzt werden. Für die Rehkitzrettung ist eine weitere Ausbildung beim Verein rehkitzrettung.ch oder einem anderen Anbieter, beispielsweise der Organisation Fux&Dax, sehr empfohlen. Dabei werden das Handling mit der Drohne, das Programmieren der Felder, das Fliegen bei Nacht oder wenig Tageslicht sowie der systematische Wegpunkteflug geschult.

Warum wird eine zusätzliche Ausbildung empfohlen?

Dieses Verfahren stellt sicher, dass ein Feld automatisch lückenlos kontrolliert werden kann. Auch die Beurteilung der Wärmebilder bedarf einer Schulung. Entscheidend ist für mich vor allem das Team. Es muss eng zusammenarbeiten und immer von einem lokalen Jäger geführt werden. Er kennt das Gelände und stellt sicher, dass die gefundenen Kitze fachgerecht versorgt und nach dem Mähen wieder freigelassen werden.

Welche Rolle spielen die Landwirte und die Zusammenarbeit mit Ihnen bei der Rehkitzrettung?

Eine sehr grosse! Das aktive Mitwirken der Landwirte ist Voraussetzung für eine effiziente Rehkitzrettung. Der Rehkitzrettungskoordinator der entsprechenden Jagdgesellschaft informiert alle Landwirte im Jagdrevier in einem Informationsschreiben über den genauen Ablauf der Rehkitzrettung mit einem Plan, auf dem alle Felder mit der Benennung/Nummerierung sowie die Koordinaten des Drohnenteams und der Kitzrette verzeichnet sind. Anhand dieser Informationen informiert der Landwirt den Koordinator der Jagdgesellschaft über das oder die Felder, die er am Morgen mähen will. Der Koordinator organisiert das Abfliegen der Felder aufgrund der eingegangenen Meldungen je nach Grösse und Lage des Feldes und nach den betrieblichen Gegebenheiten des Landwirtschaftsbetriebes. In der Folge informiert er das Drohnenteam über das Programm, den Treffpunkt, den Ablauf sowie den aufgebotenen Kitzrettern.

Rehkitz

Wie wird sichergestellt, dass Rehkitze in Sicherheit gebracht und korrekt markiert werden, bevor sie in die Obhut der Rehmutter entlassen werden?

Nach erfolgtem Abfliegen des jeweiligen Feldes informiert der Koordinator den Landwirt, in der Regel per WhatsApp, ob durch das Drohnenteam Rehkitze geortet und in Sicherheit gebracht wurden oder ob zum Kontrollzeitpunkt keine Kitze geortet wurden. Die georteten Kitze werden durch die Kitzretter unter einen Harass verbracht, gesichert, beschattet und mit einer fahnenähnlichen Markierung gut gekennzeichnet. Der Landwirt wird im Informationsschreiben angewiesen, nach seinen Arbeiten im Stall möglichst bald mit dem Mähen zu beginnen, damit die Rehkitze nicht allzu lange unter dem Harass verbleiben müssen. Nach dem Mähen informiert der Landwirt unverzüglich den Koordinator, damit die Rehkitze rasch wieder freigelassen werden können. In der Regel wartet die Rehmutter bereits in der Nähe und nimmt ihr Junges wieder an. Dieser Ablauf zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den Landwirten ist.

Rehkitz

Was sind die grössten Herausforderungen bei der Rehkitzrettung, und wie können diese bewältigt werden?

Die grösste Herausforderung für eine möglichst flächendeckende Rehkitzrettung im Kanton mit der Wärmebildkamera-Drohne ist die Mittelbeschaffung für diese Systeme. Für ein gut taugliches Equipment müssen zwischen 6'000 und 7'000 Franken aufgewendet werden. Gehen wir von einer wünschbaren Anzahl von rund 50 Drohnen aus, so entspricht dies einer Investition von über 300'000 Franken, die bis heute im Kanton St. Gallen ausschliesslich von der Jagd getragen werden muss. Auch die Ausbildung der Drohnenpiloten und der Rehkitzretter ist zu gewährleiten. Ebenso die aufwändige Erfassung aller Felder. Hinzu kommt die bereits erwähnte Organisation mit den Landwirten sowie das grosse Engagement der Jägerschaft.

Rehkitz

Wie beurteilen Sie die geplante behördliche Regulierung des Drohneneinsatzes zur Rehkitzrettung durch die Kantone?

Aus meiner Sicht gibt es zwei Gründe, die für eine Regulierung sprechen. Zum einen muss der Drohnenpilot über eine fundierte Ausbildung verfügen, damit er nicht nur die Drohne korrekt bedienen kann, sondern auch weiss, wie er sich im Luftraum zu verhalten hat. Mit einer entsprechenden Prüfung kann er dieses Fachwissen bestätigen. Zum andern ist es wichtig, dass Rehkitzrettungsaktionen von einer jagdberechtigten Person geleitet werden. Denn nur diese verfügt über die Fachkunde, die zum Behändigen der Rehkitze berechtigt. Dies ist auch rechtlich von Bedeutung, da auch die nur «vorübergehende Behändigung» der Rehkitze als Fang gewertet wird. Damit sind nur Jägerinnen und Jäger zu dieser Handlung berechtigt.

Wie bewerten Sie die Aussage des Bundesamts für Umwelt, dass Drohnen eine erhebliche Störquelle für Wildtiere darstellen?

Dass Drohnen in den meisten Fällen eine massgebliche Störung für Wildtiere darstellen, ist unbestritten. Ich denke dabei vor allem an Fotodrohnen, mit denen Wildtiere verfolgt und oft in Panik versetzt werden, was gerade im Gebirge immer wieder tragische Folgen hat. Der Drohneneinsatz in der Rehkitzrettung ist aus meiner Sicht aber unproblematisch. Wir fliegen in der Regel nicht über 50-60m hoch und vor allem sehr kurz. Die programmierten Drohnen fliegen ein Feld in wenigen Minuten ab und dann ist wieder Ruhe.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen dieser Regulierung auf die Arbeit von Organisationen wie Ihrer und auf die Effektivität der Rehkitzrettung ein?

Das Problem, dass jedermann sich eine Drohne kaufen kann und damit dann, durchaus mit guten Absichten, auf Rehkitzsuche geht, wird sicherlich entschärft. Die Jäger organisieren und leiten die Einsätze als fachkundige Personen und die Drohnenpiloten gewährleisten einen sicheren und rechtmässigen Drohnenflug. Wenn die neuen Regelungen dieses Zusammenspiel flächendeckend gewährleisten können, dann schafft die neue Regulierung nicht nur Klarheit, sondern auch zusätzliche Effektivität.

(Bilder: Oskar Trunz)

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Autor/in
Dzana Muminovic

Dzana Muminovic (1999) aus der Au hat an der Universität Zürich Kommunikationswissenschaften und Medienforschung studiert. Zurzeit absolviert sie ein Trainee-Programm bei der Galledia AG und arbeitet als Redaktorin bei «Die Ostschweiz».

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