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Geld, Gier, Gefahren

Der unsichtbare Feind: Wie Online-Betrug unsere Sicherheit bedroht. Ein Insiderblick mit Kurt Humm

Über 100 Millionen Franken werden schweizweit jährlich mit Hilfe von Online-Anlagebetrug erbeutet. Kurt Humm leitet die Abteilung für Wirtschaftsdelikte bei der Kapo SG. Weshalb Angst kein guter Ratgeber ist, er aber dennoch einer ungewissen Zukunft entgegenblickt.

Manuela Bruhin am 24. März 2024

Nein, ein Sherlock Holmes ist Kurt Humm nicht. Auch ist er nicht ausgerüstet mit einer typischen Detektivkappe. Oder einer Lupe. Vielmehr dienen ihm und seinem Team bei der Kantonspolizei St.Gallen, in der Abteilung für Wirtschaftsdelikte, die Computer dazu, die Spuren zu den Betrügern aufzunehmen. Keine leichte Aufgabe, denn: «Die Maschen werden immer professioneller», fasst es Kurt Humm im Gespräch zusammen. Seine Abteilung arbeitet Hand in Hand mit der Abteilung IT-Forensik und Cybercrime und der Staatsanwaltschaft zusammen. Die Bildschirmarbeit machen einen Grossteil seines Alltags aus, dazu kommen in manchen Fällen Hausdurchsuchungen oder verdeckte Ermittlungen.

Auch wenn es vielleicht weniger spektakulär zu und her geht als bei den Fällen im Fernsehen – umso wichtiger ist die Arbeit der Abteilung für Wirtschaftsdelikte. Der Online-Anlagebetrug floriert nämlich derzeit. Experten gehen davon aus, dass in der Schweiz jährlich über 100 Millionen Franken dadurch erbeutet werden. Und dies sind nur die angezeigten Fälle. Oftmals ist die Scham bei den Betroffenen so gross, dass sie davon absehen. Das Geschehene so schnell wie möglich vergessen wollen. Doch häufig ist der Schaden immens. Kurt Humm nennt Fälle, in welchen die Geschädigten um ihr gesamtes Ersparnis gebracht worden sind. Ihre Rente aufs Spiel gesetzt haben. Und nun vor einem riesigen Scherbenhaufen stehen. «Es sind Schicksale, die in keiner Statistik auftauchen», sagt er. «Das macht unsere Arbeit auch sehr anspruchsvoll – zu sehen, wie schnell das ganze Leben aus den Fugen geraten kann.»

Ein besseres Leben

Dabei fängt alles ganz harmlos an. Man klickt sich durch das Internet, eine Werbung ploppt auf oder man stösst auf einen interessanten Link. Mit Hilfe einer kleinen Anlage wird einem das grosse Geld versprochen. Schön verpackt in Worte, die auf ein besseres Leben hoffen lassen. Daraufhin hinterlegen die späteren Opfer die Telefonnummer oder ihre Mailadresse. Ein vermeintlicher Anlageberater meldet sich daraufhin, verspricht, mit einer kleinen Anlage von vielleicht 250 Franken könne man sehr vieles herausholen. Das Angebot der Investition ist unterschiedlich und reicht von Aktien über Devisen bis hin zu Kryptowährungen.

Das Geld wird anfänglich stets über die Kreditkarte bezahlt, ein persönlicher Account wird eröffnet. Nun lässt sich beinahe stündlich mitverfolgen, wie der investierte Betrag wächst. «Der Krux ist jedoch, dass in Wahrheit gar nichts gemacht wird», so Humm weiter. Der «Anlageberater» nimmt häufig mit dem Betroffenen Kontakt auf, manchmal sogar mehrmals täglich. Immer weist er darauf hin, wie der Gewinn ansteigt. Es werden «tolle Chancen» versprochen, wenn man weiteres Geld investiert.

«Die Leute werden neugierig – in manchen Fällen auch gierig», so Humm. Denn der vermeintliche Gewinn gibt ihnen ja recht. Die Spirale beginnt, sich immer schneller zu drehen. Die Betroffenen geraten dabei in solch einen Strudel, dass sie quasi «betriebsblind» werden.

Langwierige Geschichte

Irgendwann ist der Wunsch da, einen Teil des Gewinns herauszunehmen. Dann fangen die Probleme jedoch an. «Die ‘Anlageberater’ scheuen keine Ausreden, weil es gerade nicht möglich ist, eine Auszahlung zu machen. Oftmals ist dann die Geschichte jedoch noch nicht zu Ende», sagt Humm weiter. Die Betroffenen werden viele Wochen oder gar Monate später erneut kontaktiert – von Personen, die sich als Anwälte oder Behördenvertreter ausgeben. Das Geld sei natürlich noch da, versprechen sie, der Gewinn würde weiter ansteigen. Um die Auszahlung tätigen zu können, seien jedoch «Steuern» fällig. In der Hoffnung, an das Geld heranzukommen, wird auch dieser Betrag beglichen.

Bis den Betroffenen die Augen geöffnet werden, verstreichen oftmals viele Wochen oder gar Monate. Die Schadenssumme ist laut Humm häufig extrem hoch – nicht selten sechs- oder gar siebenstellig. Aber nicht nur der finanzielle Schaden ist verheerend. Die psychische Belastung kann vieles zerstören: Beziehungen gehen in die Brüche, Familien brechen auseinander oder Suizidgedanken treten auf. Denn: In den meisten Fällen ist das Geld endgültig weg. Dennoch rät die Polizei dringend, jeden Fall zur Anzeige zu bringen. «Es ist nicht unmöglich, immerhin einen gewissen Betrag zu retten», so Humm.

Öffentlichkeit informieren

Kein Wunder also, möchte die Kantonspolizei St.Gallen die Öffentlichkeit vor den Betrugsmaschen warnen. Haben die Opfer erst einmal «angebissen», werden sie häufig resistent gegen Ratschläge von aussen. «Sie sind so tief in der Situation drin, dass sie nicht mehr zugänglich sind für Tipps von einem Aussenstehenden oder beispielsweise der Bank, wenn den Mitarbeitern die regelmässigen Zahlungen verdächtig vorkommen», sagt Humm.

In Vorträgen, die Humm für die Bevölkerung abhält, erläutert der Fachmann die Strategie der Täter und gibt Tipps, wie man sich vor Online-Betrugsmaschen schützen kann. Davor gefeit ist wohl niemand. Meist sind laut Humm die Geschädigten etwas über 50 Jahre alt, es gibt mehr männliche als weibliche Opfer – und sie sind häufig ausgewiesene Berufsleute mit sehr guten Abschlüssen.

Ein weiteres Indiz dafür, wie gut die Maschen der Betrüger funktionieren. Oftmals steht der Wunsch der Betroffenen im Vordergrund, die Neugier wächst zu einer Gier an – und dies machen sich die Täter zu Nutze. «Die Emotionen sind ein Wellenbad der Gefühle», fasst es Humm zusammen.

KI auf Vormarsch

Und die werden wohl auch in Zukunft nicht abreissen. Im Gegenteil. Künstliche Intelligenz nimmt eine immer grösser werdende Rolle ein. Mithilfe der modernsten Technik ist es möglich, Stimmen zu verändern, Bilder entstehen zu lassen, die Realität verschwimmt. Worauf müssen wir uns also gefasst machen? «Künstliche Intelligenz wird einen sehr grossen Einfluss auf unsere Arbeit haben und uns vor grosse Herausforderungen stellen», ist Humm überzeugt. So schnell die Technologie fortschreite, könne man nur darauf reagieren – aber nicht agieren.

Umso wichtiger sei deshalb die Sensibilisierung der Bevölkerung. Angst sei ein schlechter Ratgeber. «Aber ein gesundes Misstrauen ist angebracht», sagt Humm. Stosse man auf ein Angebot im Internet, müsse man das Ganze kritisch betrachten: Ist es wirklich möglich, damit so einfach Geld zu verdienen? Vielleicht sei es angebracht, eine Drittperson oder seinen Bankberater um Rat zu fragen. Oder direkt bei der Polizei einen Tipp zu holen.

Ein solch persönliches Netzwerk würden die Betrüger nicht gerne sehen. Denn dies sei nach wie vor das beste Mittel, um sich vor Missbrauch zu schützen, sagt Humm. Der übrigens lachend zugibt, dass auch sein Beruf auf sein Privatleben abfärbt – zumindest in gewissen Bereichen. «Natürlich nutze auch ich das Internet. Aber ein gewisses Misstrauen hilft, sich in der modernen Welt zurechtzufinden.»

(Bild: Depositphotos/PD)

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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