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Wort von der Kanzel

Konfessions-Puzzle

500 Jahre Reformation: Was hat sie der katholischen Kirche gebracht?

Beat Grögli am 17. Mai 2018

Die Konfessions-Kriege im Zuge der Reformation haben Europa fast ruiniert. Man wollte den anderen mit Gewalt von der eigenen Wahrheit überzeugen. Es war nahezu unmöglich geworden, im Frieden zusammenzuleben. So konnte es nicht weitergehen. Europa musste sich etwas einfallen lassen, wenn es weiter existieren wollte, wenn hier Menschen zusammenleben sollten, die unterschiedlich glaubten und verschiedenen Kirchen angehörten.

«Cuius regio, eius religi»“ war ein erster politischer Lösungsansatz: Wess‘ Land, dess‘ Religion. War der Landesherr katholisch, so hatten es auch die Landsleute zu sein, war er evangelisch-reformiert, so waren es auch seine Untertanen. Das hatte zur Folge, dass die europäische Landkarte zu einem konfessionellen Puzzle wurde.

Es blieb aber nicht bei diesem politischen Lösungsansatz. Viel wichtiger für die Kultur- und Geistesgeschichte Europas und für unsere Fragestellung: «Was hat die Reformation der katholischen Kirche gebracht?» ist etwas anderes. Aus der Not heraus, dass so etwas wie ein religiöser Einheitsstaat nicht mehr möglich war, verstärkte sich etwas, das zwar immer schon im Christentum da gewesen, aber oft auch vergessen worden war: die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Man kann, man darf den anderen nicht zwingen, so oder anders zu glauben. Nur in Freiheit kann einer Ja sagen zu Gott. Als überzeugter Christ kann ich verkünden, vorleben, überzeugen, anmahnen, einfordern, anklagen – aber nicht mit Gewalt zwingen.

«Sie [die Kirche] respektiert sorgfältig die Würde des Gewissens und seiner freien Entscheidung». Bis zu dieser Aussage des II. Vatikanischen Konzils (1962-65) in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute war es ein weiter Weg. Aber dahinter gibt es keinen Weg mehr zurück. In seinem Schreiben «Amoris laetitia» (2016) bringt es Papst Franziskus auf seine Weise auf den Punkt: «Wir tun uns ebenfalls schwer, dem Gewissen der Gläubigen Raum zu geben, die oftmals inmitten ihrer Begrenzungen, so gut es ihnen möglich ist, dem Evangelium entsprechen und ihr persönliches Unterscheidungsvermögen angesichts von Situationen entwickeln, in denen alle Schemata auseinanderbrechen. Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.»

Als gläubiger Katholik kann ich mich fragen, wie weit ich das schon verinnerlicht habe. Und ich kann meine Kirche als ganze kritisch befragen, wie weit das wirklich zu ihrer Haltung geworden ist und ihr Handeln prägt. Auch wenn wir als Christen überzeugt sind, dass die Botschaft des Evangeliums wichtig ist, dass der Mensch sie braucht, dass es dem Menschen gut tut und der Welt wohl bekommt, in der Spur Jesu das Leben zu gestalten; auch wenn wir hoffen, dass die Botschaft des Evangeliums sich ausbreitet und stark wird in den Herzen der Menschen – auf Kosten der Glaubens- und Gewissenfreiheit ist das nicht zu verkündigen. Diese Grundhaltungen gehören wesentlich zur Botschaft des Evangeliums.

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit hatten sich allerdings in der Reformationszeit weder die Evangelisch-Reformierten noch die Katholiken auf die Fahne geschrieben. Das gehörte weder zum Programm der Reformation (wenn wir von der Täuferbewegung oder Ähnlichem einmal absehen), noch war das Teil der katholischen Reform. Dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit einen solchen Platz und eine solche Bedeutung erlangt haben, ist eine gemeinsame Frucht aus bitteren Erfahrungen der konfessionellen Auseinandersetzungen und dem Bemühen der Aufklärung. Keiner kann also für sich beanspruchen, diese Grundhaltung sei nur auf seinem eigenen Mist gewachsen. Und das ist gut so – denn nur so, alle gemeinsam, können wir dem auch Sorge tragen.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Beat Grögli

Beat Grögli (*1970) ist Dompfarrer in St.Gallen

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